Verwaltungsgericht Lüneburg: Mangelnde Eignung als Sachverständiger, wenn gerichtliche Gutachtenaufträge mit erheblicher Verzögerung bearbeiten werden! (Beschluss vom 31. August 2011, Az.: 5 A 51/10)

Leitsatz der Entscheidung

Bedenken gegen die Eignung als öffentlicher Sachverständiger bestehen in der Regel, wenn der Sachverständige wiederholt gerichtliche Gutachtenaufträge zeitlich erheblich verzögert bearbeitet hat und gegen ihn deshalb in mehreren Fällen Ordnungsgelder angedroht und verhängt worden sind.

Sachverhalt / Entscheidungen

Der Kläger hat sein Sachverständigenbüro bereits seit 1982 betrieben. Er begehrte mit der Klage beim Verwaltungsgericht Lüneburg die Neubescheidung seines Antrages auf erneute Bestellung als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger. In dem vom Kläger ausgefüllten Fragebogen zum Antrag auf Verlängerung seiner Bestellung zum öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen gab er unter anderem an, dass er in den letzten drei Jahren 52 Gutachten für Gerichte und Staatsanwaltschaften, 14 für sonstige Behörden, 17 für Versicherungen und 723 für andere private Auftraggeber erstellt habe. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer für Gerichtsaufträge habe sechs Monate, für Privataufträge zwei Tage betragen. In neun Fällen hätten Gerichte ihm ein Ordnungsgeld angedroht oder gegen ihn verhängt. Nachdem der Kläger auf Anforderung der beklagten Bestellungsbehörde die Deckblätter sämtlicher Gutachten aus den Jahren 2006-2009, in denen Auftraggeber ein Gericht war, vorgelegt hatte, schrieb die Beklagte in ausgewählten Fällen die jeweiligen Gerichte an und bat um nähere Darlegung der Bearbeitung der Gutachtenaufträge durch den Kläger. Danach teilte die Beklagte dem Kläger mit, nach ihren Ermittlungen seien gegen ihn in vier Fällen von verschiedenen Gerichten Ordnungsgelder wegen der Überschreitung der gesetzten Bearbeitungsfristen verhängt worden. Darüber hinaus sei in neun weiteren Fällen gegen ihn jeweils ein Ordnungsgeld angedroht worden, weil die Gutachten nicht innerhalb der gesetzten Bearbeitungsfristen vorgelegt worden seien. Nachdem der Kläger hierzu eine Stellungnahme vorgelegt hatte, beschloss der Sachverständigenausschuss der Beklagten, dass die hohe Zahl der von Gerichten gegen den Kläger aufgrund überlanger Bearbeitungsdauer angedrohten bzw. verhängten Ordnungsgelder gravierende Zweifel an der persönlichen Eignung und Zuverlässigkeit des Klägers für seine Tätigkeit als öffentlich bestellter Sachverständiger begründen würden. Die Voraussetzungen für seine öffentliche Bestellung würden nicht mehr vorliegen. Der Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Bestellung als Sachverständiger wurde abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger eine Klage erhoben.

Ohne Erfolg! Die zulässige Klage sei unbegründet (Beschluss des VG Lüneburg vom 31.08.2011, Az. 5 A 51/10). Ob gegen die Eignung des Klägers als Sachverständiger Bedenken im Sinne des § 36 Abs. 1 GewO bestünden, richte sich nach seinen Aufgaben als öffentlich bestellter Sachverständiger. Dazu gehöre, dass der Sachverständige die ihm übertragenen Aufträge in einem zeitlich angemessenen Rahmen erledige. Das gelte neben den Aufträgen von Privaten oder Versicherungsunternehmen in besonderem Maße auch für die Erledigung der dem Sachverständigen von Gerichten übertragenen Aufträge. Die Prozessparteien und das Gericht könnten und müssten in einem Zivilprozess erwarten, dass ein aufgrund eines gerichtlichen Beweisbeschlusses angefordertes schriftliches Gutachten, zu dessen Erstattung der öffentlich bestellte Sachverständige gemäß § 407 Abs. 1 ZPO verpflichtet sei, nicht nur sachlich ordnungsgemäß erstellt, sondern auch in angemessener Zeit oder in der vom Gericht vorgegebenen Bearbeitungsfrist fertig gestellt und vorgelegt werde. Dass dies eine wesentliche Pflicht sei, ergebe sich auch daraus, dass gemäß § 411 Abs. 2 ZPO gegen den Sachverständigen nach Setzen einer Nachfrist bei schuldhafter Fristüberschreitung ein Ordnungsgeld verhängt werden könne. Wegen der von der Beklagten festgestellten Unregelmäßigkeiten in den Jahren 2006-2009 bei der Erledigung von gerichtlichen Sachverständigenaufträgen durch den Kläger bestünden durchgreifende Bedenken gegen dessen Eignung als öffentlich bestellter Sachverständiger im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 GewO. Der Kläger sei in den Jahren 2006 – 2009 in 13 von insgesamt 52 Fällen, in denen er von Gerichten zur Erstellung von Sachverständigengutachten aufgefordert worden sei, wegen der jeweils verspäteten Erstellung und Vorlage der Sachverständigengutachten gerügt worden. Gegen den Kläger seien, was nur selten vorkomme, von verschiedenen Amtsgerichten in vier Fällen nach entsprechenden Androhungen Ordnungsgelder zwischen 300,- EUR und 500,- EUR festgesetzt worden. In weiteren neun Fällen, die im Einzelnen im angefochtenen Bescheid aufgeführt seien, sei dem Kläger neben der Mahnung zur Vorlage der Gutachten jeweils ein Ordnungsgeld angedroht worden.

Im Übrigen ergebe sich aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen, dass er in den Jahren 2006-2009 in 24 der 52 angeforderten gerichtlichen Sachverständigengutachten mehr als sechs Monate für die Erstellung der Gutachten benötigt habe. Auch wenn in dem einen oder anderen Fall die Bearbeitungsdauer aus sachlichen Gründen gerechtfertigt gewesen sein möge, spreche die Vielzahl der Fälle ebenfalls gegen die Eignung des Klägers.

Sachverständigenpraxis

Bei öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ist vom Gericht stets zu erwägen, ob die Bestellungsbehörde bei erheblichen Fristüberschreitungen informiert wird. Liegen mehrere Beschwerden gegen einen Sachverständigen wegen tatsächlich erfolgter Fristüberschreitungen binnen kurzer Zeit vor, so kann die Bestellungskörperschaft den Widerruf der Bestellung aussprechen. Voraussetzung ist dabei, dass eine Rechtsverordnung existiert, die den Widerruf der Bestellung des Sachverständigen zulässt .Der Arbeitskreis Sachverständigenrecht des 1. Deutschen Baugerichtstages in Hamm hat im Jahre 2006 empfohlen, das Gerichte bei erheblichen Pflichtverletzungen durch Sachverständige oder einer Nichtverwertbarkeit von Sachverständigengutachten in wesentlichen Teilen den jeweiligen Bestellungskörperschaften Mitteilung machen sollten. Hierbei ist jedoch viel Fingerspitzengefühl erforderlich. Allein die Andeutung einer solchen Beschwerde kann im Falle einer Fristversäumnis je nach dem Charakter des Sachverständigen und der persönlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der Sachverständigentätigkeit bereits Wunder wirken. Genauso kann dadurch das Vertrauensverhältnis zwischen Gericht und Sachverständigem aber schwer beschädigt werden. Hat sich ein Sachverständiger allerdings im Rahmen eines Gutachtenauftrages mehrfach unzuverlässig verhalten, so kann eine Beschwerde andere Richter und Prozessbeteiligte zukünftig vor ähnlichen Erfahrungen schützen. In den einzelnen Gerichten ist zudem davon auszugehen, dass solche Vorkommnisse schnell allen Richtern bekannt werden, sodass der Sachverständige von dort keine Aufträge mehr erhält.

Es ist daher dringend zu empfehlen, dass Sachverständige bei einer temporären Auftragshäufung dem Gericht unverzüglich nach Auftragseingang in ihrer Auftragsbestätigung mitteilen, bis wann sie zuverlässig ihr Gutachten spätestens vorlegen werden.

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Dr. Felix Lehmann, Vorsitzender Richter am Landgericht Kiel

Datum

2913