(Beschluss vom 10.5.2011, Az.: L 11 SB 285/09 B)
Leitsatz der Entscheidung
Gegen einen Sachverständigen kann nach Fristsetzung und fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist ein zuvor angedrohtes Ordnungsgeld verhängt werden, wenn der Sachverständige seiner Verpflichtung zur Erstattung eines Gutachtens bis dahin nicht nachgekommen ist. Eine hinreichende Entschuldigung setzt voraus, dass trotz gebotener Sorgfalt die Fristversäumnis nicht vermeidbar gewesen ist.
Sachverhalt / Entscheidung
Einem Sachverständigen wurde in einem Rechtsstreit eine Frist zur Abgabe des Gutachtens von drei Monaten gesetzt. Nach fruchtlosem Fristablauf und einem Erinnerungsschreiben wurde dem Sachverständigen in einem weiteren gerichtlichen Schreiben eine Nachfrist von einem Monat ab Zugang dieses Schreibens gesetzt. Schon in diesem Schreiben wurde er auf die Möglichkeit hingewiesen, dass im Falle des fruchtlosen Ablaufs der Frist Ordnungsgeld gegen ihn verhängt werden könne. In einem weiteren Schreiben wurde dem Sachverständigen erneut eine Nachfrist von einem Monat ab Zugang dieses Schreibens gesetzt und wiederum auf die Möglichkeit der Verhängung eines Ordnungsgeldes hingewiesen. Innerhalb dieser Frist erklärte der Sachverständige, ein erster Begutachtungstermin habe jetzt stattfinden können. Er werde das Gutachten innerhalb der zweiten Nachfrist vorlegen. Nachdem auch diese Frist fruchtlos abgelaufen war, hat das zuständige Gericht ein Ordnungsgeld gegen den Sachverständigen in Höhe von 500,- € verhängt. Gegen den Beschluss hat der Sachverständige Beschwerde eingelegt und am gleichen Tag das Gutachten vorgelegt. Die Beschwerde des Sachverständigen hatte keinen Erfolg (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 10.5.2011, Az.: L 11 SB 285/09 B)! Gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 411 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung könne gegen einen Sachverständigen nach Fristsetzung und fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist ein zuvor angedrohtes Ordnungsgeld verhängt werden, wenn der Sachverständige seiner Verpflichtung zur Erstattung eines Gutachtens bis dahin nicht nachgekommen sei. Bei der hier vorliegenden Sachlage sei die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen den Sachverständigen nicht zu beanstanden. Hinreichende Entschuldigungsgründe für die Nichterstattung des Gutachtens habe der Beschwerdeführer nicht angeführt. Er habe vorgetragen, seine Gutachtenaufträge nach Dringlichkeit abzuarbeiten. Zum Beleg seiner Belastungssituation habe der Sachverständige eine Aufstellung der Fälle vorgelegt, für die bei ihm in der Zeit vom 2. September 2008 bis zum 22. April 2009 Gutachtenaufträge eingegangen seien. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner Belastungssituation mögen zwar sein Verhalten erklären, seien jedoch keine hinreichende Entschuldigung. Eine solche setze voraus, dass trotz gebotener Sorgfalt das Fristversäumnis nicht vermeidbar gewesen sei. So sei es nicht nachvollziehbar, dass sich der Sachverständige zur Fristsetzung von drei Monaten durch das Gericht überhaupt nicht geäußert habe, auf eine Erinnerung sowie die erste – nicht formal zugestellte Nachfristsetzung – nicht reagierte und auf die zweite Nachfristsetzung auf seine Überlastungssituation einerseits nicht hingewiesen und die von ihm selbst genannte zweite Frist andererseits nicht eingehalten habe. Er hätte frühzeitig auf seine Überlastung hinweisen und gegebenenfalls beantragen müssen, dass das Gericht ihn vom Gutachtenauftrag entbinde. In Anbetracht der extrem langen Zeitspanne zwischen Gutachtenauftrag am 1. August 2008 und dem Gutachteneingang am 9. Juli 2009 sei das Verhalten des Sachverständigen nicht entschuldbar.
Aus der vorgelegten Liste könne der Senat im Übrigen die behauptete Dringlichkeit der jeweiligen Gutachtenaufträge und warum eine Einbestellung der Klägerin nicht deutlich früher möglich war, nicht erkennen. Die Voraussetzungen zur Verhängung von Ordnungsgeld seien damit erfüllt.
Auch die Höhe des festgesetzten Ordnungsgeldes begegne keinen Bedenken. Die diesbezügliche Ermessensausübung habe sich insbesondere an der Schwere der Pflichtverletzung und der Bedeutung des Gutachtens für die Entscheidung zu orientieren. Die Schwere der Pflichtverletzung ergebe sich neben der extrem langen Dauer bis zum Eingang des Gutachtens auch aus der bereits dargestellten Nichtreaktion auf mehrere gerichtliche Schreiben und der Tatsache, dass der Sachverständige auch die von ihm selbst genannte Frist nicht eingehalten habe. Bei dieser Sachlage sei das festgesetzte Ordnungsgeld von 500,- Euro nicht zu beanstanden, da es sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens von 5,- bis 1.000,- Euro (vgl. Artikel 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch) im mittleren Bereich bewege.
Sachverständigenpraxis
Wann muss ein Gericht in Fällen der verzögerten Gutachtenerstellung einschreiten und den Gutachter von Amts wegen entbinden und einen neuen Gutachter einsetzen? Zunächst ist selbstverständlich zu klären, ob die ursprüngliche Frist angemessen war und deren Überschreitung nicht durch eine unzureichende Unterstützung des Sachverständigen durch die Parteien (Übersendung von Unterlagen, Terminverlegungsanträge, etc.) verursacht wurde. Statt oder neben den Maßnahmen nach §§ 409, 411 ZPO kann anderenfalls jedoch die entschädigungslose Entziehung des Gutachtenauftrags und Beauftragung eines neuen SV angezeigt sein, vgl. §§ 408 Abs. 1 S. 2, 404 Abs. 1 S. 3, 360 S. 2, 3 ZPO.
Ist der Sachverständige gem. § 407 ZPO zur Gutachtenerstattung verpflichtet und weigert er sich dennoch ohne Angabe von Gründen oder nach deren rechtskräftiger Verwerfung, ein schriftliches Gutachten zu erstellen, ist es am einfachsten, den Sachverständigen unverzüglich durch Beschluss zu entbinden, § 408 Abs. 1 S. 2 ZPO, sowie telefonisch einen anderen (schnelleren) Sachverständigen zu suchen und zu bestellen, § 404 Abs. 1 S. 3 ZPO. Gerade, wenn der Sachverständige noch keinerlei verwertbare Arbeit abgeliefert hat, ist dies in der Regel der beste Weg, um den Prozess effektiv zu beschleunigen. Spätestens dann, wenn ein Gutachter auf mehrere gerichtliche Anschreiben und Fristsetzungen nicht reagiert, kann aus einem Fristversäumnis gem. § 411 Abs. 2 ZPO eine Gutachtenverweigerung im Sinne des § 409 Abs. 1 ZPO werden. Anstatt in solchen Fällen Ordnungsgelder festzusetzen, sollte überlegt werden, ob nicht aus Beschleunigungsgründen, nach Anhörung der Parteien und Ankündigung gegenüber dem Sachverständigen gem. § 404 Abs. 1 S. 3 ZPO, ein neuer Sachverständiger anstelle des säumigen Sachverständigen beauftragt werden sollte. Dann verlieren das frühere Gutachten seinen Wert und der bisherige Sachverständige seinen Vergütungsanspruch, worauf dieser zuvor hinzuweisen ist. Daneben wird der Gutachter mit großer Wahrscheinlichkeit von diesem Gericht keine weiteren Aufträge mehr erhalten. Gerade jetzt, nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, werden solche Überlegungen in der Praxis zunehmend an Bedeutung gewinnen.
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Dr. Felix Lehmann, Vorsitzender Richter am Landgericht Kiel
Datum
2013