Kammergericht Berlin: Kosten für Privatgutachten im Strafverfahren sind in der Regel nicht erstattungsfähig! (Beschluss vom 20. Februar 2012, Az.: 1 Ws 72/09)

Leitsätze der Entscheidung

  • Im Strafverfahren sind Kosten für eigene Ermittlungen und Privatgutachten grundsätzlich keine notwendigen und somit erstattungsfähigen Auslagen.
  • Beauftragt ein Angeklagter zur Entlastung vom Anklagevorwurf einen privaten Sachverständigen, so sind die dadurch entstehenden Aufwendungen, ohne dass es entsprechender Beweisanträge, Beweisanregungen oder Hinweise an das Gericht bedarf, dem Grunde nach als notwendige Auslagen jedoch dann zu erstatten, wenn ein Beweisverlust durch die Verschlechterung der Spurenlage droht und wenn das Privatgutachten für den späteren Freispruch ursächlich ist.
  • Bei einer erheblichen Abweichung von 20% oder mehr vom Stundensatz der entsprechenden Honorargruppe des JVEG muss die Vergütung des Sachverständigen in der Regel entsprechend gekürzt werden.

Sachverhalt / Entscheidungen

Das Landgericht Berlin hat eine Angeklagte von mehreren Vorwürfen freigesprochen und der Landeskasse die notwendigen Auslagen auferlegt. Einer der von der Freigesprochenen beauftragten Sachverständigen hat für das von ihm erstellte Gutachten Zahlung von insgesamt 54.031,20 € (!) verlangt. Den Rechnungen lag ein Zeitaufwand von 453 Arbeitsstunden zugrunde, wobei 28 Stunden bei einem ermäßigten Stundensatz auf eine Hilfskraft, 404 Stunden auf den Sachverständigen und 21 Stunden auf einen – im Übrigen selbst liquidierenden – Diplomkriminalisten entfallen sollten. Als Stundensatz wurden für den Sachverständigen und den Kriminalisten jeweils 100,- Euro berechnet. Die notwendigen Auslagen der Freigesprochenen wurde jedoch nur auf 40.963,22 € festgesetzt. Hiergegen legte sie sofortige Beschwerde ein.

Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg! (Beschluss des KG Berlin vom 20.02.2012, Az.: 1 Ws 72/09). Unter Betonung des Ausnahmecharakters seien Kosten für ein Privatgutachten zwar dann zu erstatten, wenn ein Beweisverlust durch die Verschlechterung der Spurenlage drohe. Bei einer derartigen Konstellation erkenne der Senat an, dass es entsprechender Beweisanträge, Beweisanregungen oder Hinweise an das Gericht ausnahmsweise nicht bedürfe, sofern das Privatgutachten für die spätere Entscheidung ursächlich gewesen sei. Für die Höhe des erstattungsfähigen Stundensatzes sei das JVEG zwar nicht maßgeblich. Der Auffassung, erstattungsfähig seien die Aufwendungen grundsätzlich nur nach dessen Sätzen, folge der Senat nicht. Sie verkenne den privatrechtlichen Charakter der zugrunde liegenden Honorarvereinbarung. Denn das JVEG regle nur die Vergütung des gerichtlich oder anderweitig hoheitlich herangezogenen Sachverständigen, dessen Zahlungsanspruch sich – anders als bei dem privatrechtlich tätigen Sachverständigen – gegen die Staatskasse richte und der daher mit einem Zahlungsausfall nicht rechnen müsse. In der zivilrechtlichen Rechtsprechung sei daher auf der Grundlage einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Januar 2007 (Az.: VII ZB 74/06) anerkannt, dass sich die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines prozessbegleitend eingeholten Privatgutachtens gemäß § 91 ZPO nicht unmittelbar nach den Vergütungssätzen des JVEG richte. Der BGH habe darüber hinaus klargestellt, dass eine entsprechende Anwendung des JVEG nicht in Betracht komme, weil es einer Partei in der Regel nicht möglich sein werde, einen geeigneten Sachverständigen zu den im JVEG vorgesehenen Vergütungssätzen zu gewinnen. Er habe aber weiter ausgeführt, dass es einer besonderen Darlegung ihrer Notwendigkeit bedürfe, wenn die Stundensätze eines Privatgutachters „ganz erheblich von den im JVEG vorgesehenen Sätzen“ abwichen. Nach dieser auf den strafrechtlichen Bereich übertragbaren Grundsatzentscheidung seien die Stundensätze des JVEG als Richtlinie anzusehen, auf deren Grundlage der privatrechtlich vereinbarte Stundensatz einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen sei. Als erheblich erachte der Senat eine Abweichung von 20% oder mehr vom Stundensatz der entsprechenden Honorargruppe des JVEG.

Der Sachverständige habe mit seiner Tätigkeit die Ursache des der Freigesprochenen zur Last gelegten Brandes zu ermitteln versucht. Derartige Verrichtungen seien nach der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG in das Sachgebiet „Brandschutz und Brandursachen“ der Honorargruppe 5 mit einem Stundensatzhonorar von 70,00 Euro einzuordnen. Zuzüglich 20% ergebe sich für seine gutachterliche Tätigkeit ein plausibler und mithin erstattungsfähiger Stundensatz von höchstens 84,00 Euro. Die Notwendigkeit eines darüber hinausgehenden Stundensatzes sei nicht plausibel dargelegt worden. Ihr Vortrag, dass sie sich im Zeitpunkt der Auftragserteilung nicht auf freiem Fuß befunden habe, erfülle diese Voraussetzung nicht. Denn sie sei anwaltlich vertreten gewesen. Auch die erhebliche Bedeutung, welche die Angelegenheit gehabt habe, vermöge einen darüber hinausgehenden Satz nicht zu rechtfertigen. Schließlich wurde auch die Kilometerpauschale des Sachverständigen in Anlehnung an § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG von 0,56 € auf 0,36 € gekürzt.

Sachverständigenpraxis

Diese Entscheidung wendet das Berliner Motto „Arm, aber sexy“ auf die Vergütung von Privatgutachtern an. Gerade vor dem Hintergrund der beabsichtigten deutlichen Erhöhung der Stundensätze im JVEG erscheint es nicht angemessen, Stundensätze von Sachverständigen in Privatgutachten nur bei einer Abweichung von bis zu 20% zu erstatten. So hat auch das OLG Schleswig  (Beschluss vom 25.8.2008, Az.: 9 W 52/08) vor knapp vier Jahren entschieden, dass für die Angemessenheit der Privatgutachterkosten bei Gericht das JVEG nicht herangezogen werden kann. Maßgeblich sind nach Auffassung des OLG Schleswig die Kosten, wie sie in der freien Wirtschaft aufgewendet werden müssen. Ansonsten wird es einer Partei nämlich in der Regel nicht möglich sein, einen geeigneten Sachverständigen zu den Vergütungssätzen nach dem JVEG + 20% zu gewinnen. Werden dann dennoch kompetente Sachverständige zu höheren Stundensätzen mit schwierigen und umfangreichen Gutachten beauftragt, kann dies gerade einkommensschwache Parteien wie die Freigesprochene im Fall des Kammergerichts in den finanziellen Ruin treiben.

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Dr. Felix Lehmann, Vorsitzender Richter am Landgericht Kiel

Datum

2013