OLG Koblenz: Zum Urheberrechtsschutz für Sachverständigengutachten! (vgl. Hinweisbeschluss vom 11.5.2011, Az.: 24 U 28/11)

Leitsätze der Entscheidung

  • Gutachten sind – was die Frage ihrer Urheberrechtsschutzfähigkeit angeht – grundsätzlich nicht dem literarischen Bereich zuzuordnen, sondern dem wissenschaftlichen Bereich.
  • Bei derartigen Schriftwerken kann die persönliche geistige Schöpfung nicht mit dem wissenschaftlichen oder technischen Inhalt der Darstellung begründet werden.
  • Ob ein wissenschaftlicher oder technischer Text unter dem – zwar nicht in erster Linie aber gleichwohl auch in Betracht kommenden – Blickwinkel der Gedankenformung und -führung den nötigen geistig-schöpferischen Gehalt hat, beurteilt sich danach, ob der betreffende Text eine individuelle – originelle – eigenschöpferische Darstellung enthält.
  • Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass gutachterliche Schriftwerke die für ein Sprachwerk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG notwendige Schöpfungshöhe erreichen, trägt grundsätzlich der sich auf den Urheberrechtsschutz Berufende.

Sachverhalt / Entscheidung

Ein Sachverständiger, der ein Verkehrswertgutachten erstellt hatte, machte einen urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend. Das Landgericht Berlin (Urteil vom 22.2.2011, Az.: 16 O 271/10) wies den Anspruch mit der Begründung ab, die streitgegenständlichen gutachterlichen Ausführungen des Klägers würden keine die notwendige Schöpfungshöhe nach § 2 Abs. 2 UrhG erreichenden Sprachwerke im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG darstellen.

Nach Auffassung des Kammergerichts Berlin ist die landgerichtliche Entscheidung zutreffend (Hinweisbeschluss vom 11.5.2011, Az.: 24 U 28/11). Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger habe bereits auf der Darlegungsebene nicht ausreichend aufgezeigt, dass seine streitgegenständlichen gutachterlichen Schriftwerke die für ein Sprachwerk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG notwendige Schöpfungshöhe erreichten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den vom Kläger eingereichten Gutachten.

Der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, aus welchen Merkmalen und Umständen sich ein hinreichender schöpferischer Eigentümlichkeitsgrad seiner Gutachten ergeben solle. Das Vorbringen des Klägers, seine Gutachten wiesen Gestaltungsmerkmale wie „strukturierte Gedankenführung, sprachliche Gestaltung, Verständlichkeit für den Laien sowie fachlicher Input“ auf, stelle eine bloße eigene zusammenfassende Bewertung dar, der es indes an der erforderlichen Unterlegung mit konkreten Tatsachenangaben fehle.

Dem Kläger verhelfe insoweit auch nicht zum Erfolg, dass er noch in der ersten Instanz die streitgegenständlichen Gutachten eingereicht habe. Zutreffend habe das Landgericht diese als zwar übersichtliche und gelungene Darstellungen der den Wert bestimmenden Faktoren der einzelnen Immobilien angesehen, in ihnen aber keine solche Eigentümlichkeit, Originalität oder Besonderheit zu erkennen vermocht, dass sie als Sprachwerke im Sinne des Urheberrechtsgesetzes anzusehen seien. Ausgehend davon, dass die dem Kläger jeweils gesetzte Aufgabenstellung, den Wert von zu versteigernden Immobilien unter Berücksichtigung der insoweit bestehenden Vorschriften festzustellen, eine die Möglichkeiten des Urheberrechtsschutzes einschränkende Gliederung und Fachsprache vorgegeben habe, würden die streitgegenständlichen Gutachten des Klägers nach ihrem geistig-schöpferischen Gesamteindruck weder unter dem Blickwinkel der Form und Art der Sammlung, der Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffs noch unter dem Aspekt der Gedankenformung und –führung den nötigen geistig-schöpferischen Gehalt aufweisen. Der Kläger habe, die vom den Auftrag jeweils erteilenden Gericht vorgegebene Anleitung beachtend, einen den Geboten der Zweckmäßigkeit gehorchenden Aufbau seiner Gutachten gewählt, die nach dem Zweck der Gutachten erforderlichen Daten festgestellt und diese sowie das von ihm geförderte Ergebnis in für derartige Gutachten üblicher Weise und ohne eigene Individualität erkennen lassende Ordnungs- und Gestaltungsprinzipien angeordnet und dargestellt. Die in – dem jeweiligen Auftrag angemessener – sachlicher Sprache unter Verwendung der durch den Auftrag vorgegebenen Terminologie einschließlich der entsprechenden Fachbegriffe gehaltenen Gutachten könnten auch nicht für sich in Anspruch nehmen, sich durch eine sprachliche Gestaltungskunst auszuzeichnen, eine souveräne Beherrschung der Sprach- und Stilmittel erkennen zu lassen und die Voraussetzungen und die Durchführung der Verkehrswertermittlung einfach und leicht verständlich darzustellen. Es fehle den Gutachten an schöpferischen Eigenheiten und an ausreichender individueller Gestaltung. Der Kläger habe bei Erstellung der betreffenden Texte nicht die für die Annahme urheberrechtlich geschützter Sprachwerke erforderliche schöpferische Phantasie und Gestaltungskraft offenbart.

Die hiernach zu treffende Feststellung, dass es an einem deutlichen Überragen des Alltäglichen, nämlich von durchschnittlichen Gutachten mit vergleichbarem Gutachtenauftrag, fehle, können auch der Senat vor dem Hintergrund seiner gegebenen Erfahrungen mit Wertgutachten leisten, ohne dass, da ein Gesamtvergleich gegenüber vorbestehenden Gestaltungen vorzunehmen sei, ein Einzelvergleich mit einer Vielzahl von anderen Gutachten darzustellen wäre.

Um Missverständnissen vorzubeugen weise der Senat darauf hin, dass hiermit keine fachliche Kritik an den Gutachten des Klägers verbunden sei. Der Kläger könne in dem vorliegenden Verfahren nicht den Schutz wissenschaftlicher und fachlicher Erkenntnisse erlangen. Der Kläger versuche vorliegend, für seine Gutachten den Schutz des gerade nicht auf fachliche Inhalte zugeschnittenen Urheberrechtsgesetzes zu erringen. Gerade weil der Kläger, der weder den Auftrag noch – offensichtlich – die Absicht hatte, literarisch-schöpferisch tätig zu sein, seine Gutachtenaufträge in dafür angemessener und üblicher Weise erledigt habe, könne er für seine gutachterlichen Ausführungen nicht in den Genuss des Schutzes nach dem Urheberrechtsgesetz, welches schöpferische Eigentümlichkeit, Originalität und Individualität schützen will, gelangen.

Ob und gegebenenfalls mit welchem Erfolg bzw. Misserfolg der Kläger sich im Verhältnis zu den ihn mit der Erstellung von Wertgutachten beauftragenden Gerichten auf die in den Gutachten jeweils abgedruckte Erklärung, eine Weitergabe, Vervielfältigung oder Veröffentlichung des Gutachtens sei nur mit Zustimmung des Klägers gestattet, stützen könne, sei für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung, da eine derartige Erklärung dem Kläger jedenfalls nicht den Schutz des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG gegenüber der Beklagten vermitteln könne.

Sachverständigenpraxis

Der konkrete Hintergrund des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs des Sachverständigen ergibt sich leider nicht aus den Entscheidungsgründen. Voraussetzung für die Geltendmachung der urheberrechtlichen Schutzansprüche nach den §§ 97ff. UrhG ist gem. § 2 Abs. 2 UrhG allerdings, dass Werke im Sinne dieses Gesetzes nur persönliche geistige Schöpfungen sind. Als eine solche „persönliche geistige Schöpfungen“ sind die Gutachten des Klägers nach Auffassung des Kammergerichts nicht einzuordnen. Dieses Wertungsergebnis ist jedoch keinesfalls unumstritten (vgl. Landgericht Hamburg, Urteil vom 15.05.2009 – 308 O 580/08). Nach Ansicht dieser Urheberrechtsspezialkammer des LG Hamburg ist ein Wertermittlungsgutachten für ein amtsgerichtliches Zwangsversteigerungsverfahren als wissenschaftliches Sprachwerk urheberrechtlich geschützt und das Zurverfügungstellen im Internet sowie das Einscannen und Übersenden als PDF-Datei stellen unzulässige Vervielfältigungen dar. Die Regeln des ZVG führen nach Ansicht des LG Hamburg nicht zu einem Vervielfältigungsrecht über die dort genannte öffentliche Bekanntmachung in einem für das Gericht bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem hinaus. Schließlich soll nach Meinung des LG Hamburg die angemessene Vergütung für eine unzulässige Kopie 200,- € betragen. Es ist daher bedauernswert, dass das Gericht von § 522 ZPO Gebrauch gemacht hat. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes wäre für alle Beteiligten zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sinnvoll gewesen. Wenig geklärt ist weiter, ob die Aufnahme eines konkreten Urheberrechtszusatzes dem Sachverständigen ergänzenden Schutz bietet. Trotz des fehlenden Vertrages bei Gerichtsgutachten ist ein solcher Zusatz zumindest nicht schädlich und kann eine gewisse, abschreckende Wirkung haben.

Datum

2012