Leitsatz der Entscheidung
Die Streitverkündung gegenüber einem Sachverständigen ist auch in einem Folgeprozess gem. § 72 Abs. 2 ZPO unzulässig, wenn mit der erneuten Ernennung des Sachverständigen zu rechnen ist.
Sachverhalt / Entscheidungen
In einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Schwerin verklagte die Käuferin einer teilweise mangelhaften Eigentumswohnung ihren früheren Rechtsanwalt. Dieser Rechtsstreit hatte folgenden Hintergrund:
Die jetzige Klägerin schloss mit einer Bauträgerin einen notariellen Kaufvertrag über eine Eigentumswohnung in Schwerin ab. Nach Errichtung des Bauvorhabens und Übergabe der Wohnung beantragte die Klägerin beim Landgericht Schwerin die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zur Feststellung diverser Mängel, insbesondere hinsichtlich des Schallschutzes und der Wärmedämmung. Das Landgericht bestellte einen Sachverständigen, der sodann ein Gutachten erstellte.
Daraufhin hat die Klägerin, vertreten durch den Beklagten dieses Rechtsstreits als Rechtsanwalt, die Bauträgerin verklagt. In diesem Rechtsstreit erstellte der Sachverständige zwei Ergänzungsgutachten und er wurde ergänzend mündlich angehört. Soweit das Gericht aufgrund der Gutachten zu der Überzeugung gelangte, die Mängel seien nicht gegeben, wies es die Klage ab. Nunmehr begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihr früherer Rechtsanwalt verpflichtet sei, ihr die Kosten zu ersetzen, die ihr durch die Beseitigung verschiedener Mängel aus eigenen Mitteln entstehen würden.
Zum Beweis ihres Vortrages bezieht sich die Klägerin auf Gutachten des Sachverständigen aus dem selbständigen Beweisverfahren und dem Vorprozess. Zudem bietet sie zum Beweis die Beiziehung der Akten des vorangegangenen selbständigen Beweisverfahrens und des Vorprozesses gegen die Bauträgerin an. Zudem benennt sie den Sachverständigen als Zeugen für ihre Sachverhaltsschilderung. Auch der beklagte Rechtsanwalt bezieht sich zum Beweis für seine Ausführungen auf ein Gutachten des Sachverständigen. Danach verkündete der Beklagte auch noch dem Sachverständigen den Streit. Hiergegen legte der Sachverständige Beschwerde ein. Die Zustellung der Streitverkündungsschrift sei gemäß § 72 Abs. 2 ZPO bereits unzulässig, da er nicht Dritter im Sinne dieser Vorschrift sei. Der Sachverständige ist der Ansicht, dass jeder vom Gericht ernannte Sachverständige nicht Dritter im Sinne von § 72 Abs. 2 ZPO sein könne. Es sei dabei unbedeutend, ob es sich um einen Sachverständigen handele, der im Ausgangsverfahren tätig gewesen sei oder nicht. Maßgeblich sei, dass es sich im vorliegenden Fall um einen einheitlichen Lebenssachverhalt handele. Des weiteren könne eine Streitverkündungswirkung auch deshalb nicht eintreten, da er als Sachverständiger gemäß § 839a BGB nur dann zum Schadensersatz verpflichtet wäre, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig ein falsches Gutachten gegenüber einem Verfahrensbeteiligten erstellt hätte. Der beklagte Rechtsanwalt falle aber nicht in den drittschützenden Wirkungsbereich des § 839a BGB, da er im Vorprozess nicht Partei gewesen sei. Das Landgericht Schwerin hat der Bewerde des Sachverständigen nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Beschwerde des Sachverständigen hatte Erfolg (Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 13.10.2009, Az. 4 W 41/09). Sie sei zulässig, obwohl in der Regel wegen § 74 Abs. 2 ZPO erst vom Gericht des Folgeprozesses die Zulässigkeit und Begründetheit der Streitverkündung zu prüfen sei. Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn die den Sachverständigen sowie den Prozess unzumutbar belastenden Auswirkungen der Streitverkündung bereits mit Zustellung der Streitverkündungsschrift im laufenden Prozess eintreten würden. Die Beschwerde sei ebenfalls begründet, da die Streitverkündung des Beklagten gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 72 Abs. 2 ZPO unzulässig sei. Die Zustellung der Streitverkündungsschrift sei daher rechtswidrig erfolgt. Gemäß § 72 Abs. 1 ZPO könne eine Partei, die für den Fall des ihr ungünstigen Ausganges des Rechtsstreits einen Anspruch auf Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaube, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits dem Dritten gerichtlich den Streit verkünden. Ein vom Gericht ernannter Sachverständiger sei gemäß § 72 Abs. 2 ZPO nicht Dritter im Sinne dieser Vorschrift. Der Sachverständige und Beschwerdeführer sei als „vom Gericht ernannter Sachverständiger“ im Sinne dieser Vorschrift zu behandeln. Zwar sei eine Ernennung des Sachverständigen in diesem Rechtsstreit noch nicht erfolgt. Das Gericht habe seine Ernennung jedoch zumindest in Erwägung gezogen und beide Parteien hätten jedoch zum Beweis ihrer Behauptungen die Gutachten des Sachverständigen aus dem selbständigen Beweisverfahren sowie aus dem Vorprozess angeboten und somit die Anordnung der Ersetzung einer schriftlichen Begutachtung durch die vorherigen Gutachten des Sachverständigen gem. § 411a ZPO beantragt. Daher würde eine weitere schriftliche Begutachtung voraussichtlich durch die Verwertung der bereits von dem Sachverständigen erstellten Gutachten gemäß § 411a ZPO in Betracht kommen. Zwar stünde die Ersetzung im Ermessen des Gerichts, bei übereinstimmender Antragstellung der Parteien werde das Gericht dem jedoch in aller Regel entsprechen. Dabei sei die Anordnung gemäß § 411a ZPO als Ernennung des Sachverständigen mit der Maßgabe zu verstehen, dass er kein neues schriftliches Gutachten zu erstatten habe. Somit bestünde für den Sachverständigen bereits zum jetzigen Zeitpunkt ein Interessenkonflikt, durch welchen seine Rolle als unparteilicher Verfahrensbeteiligter an der Seite des Gerichts gefährdet sei. Ein Beitritt gemäß § 74 ZPO an die Seite einer Prozesspartei würde seine verfahrensrechtliche Position völlig verändern und dazu führen, dass er der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 406 ZPO ausgesetzt wäre. Das Gericht könnte in diesem Fall trotz des übereinstimmenden Antrages der Parteien keine Anordnung gemäß § 411a ZPO erlassen. Eine solche Prozesssituation sei jener nach Ernennung des Sachverständigen gleichzusetzen.
Sachverständigenpraxis
Eine zwar schon etwas ältere Entscheidung aus dem Baurecht, die aber für alle Gerichtssachverständige äußerst bedeutsam ist! Es ist nämlich immer häufiger der Fall, dass auch in baurechtlichen Rechtsstreitigkeiten Gutachten aus Strafverfahren oder Vorprozessen in den Folgeprozessen gem. § 411a ZPO verwendet werden. Damit steht automatisch die Frage im Raum, ob in einem solchen Folgeprozess den Sachverständigen der Streit verkündet und das „Schreckgespenst der Streitverkündung“ auf die Prozessbühne zurückkehren kann. § 72 Abs. 2 ZPO neuer Fassung nimmt den vom Gericht ernannten Sachverständigen eigentlich seit dem 31.12.2006 aus dem Kreis der Dritten, denen der Streit verkündet werden kann, heraus. Kann einem solchen Sachverständigen dann aber in einem Folgeprozess der Streit verkündet werden? Anders als das LG Dresden (vgl. den Beschluss vom 20.11.2009, 10 O 444/09) hält das OLG Rostock als „Ghostbuster“ eine Streitverkündung auch in einem Folgeprozess für unzulässig, wenn mit einer Ernennung des Sachverständigen zu rechnen ist. In solchen Fällen darf das zuständige Gericht schon entsprechende Streitverkündungsschriften nicht an Sachverständige zustellen. Dadurch wird verhindert, dass eine Partei das weitere Tätigwerden eines unliebsamen Sachverständigen einfach durch eine Streitverkündung in einem Folgeprozess ausschalten kann. Erst wenn eine weitere Sachverständigentätigkeit im Zusammenhang mit der ursprünglichen Gutachtertätigkeit ausgeschlossen ist, sollte eine Streitverkündung zulässig sein. Nur so wird der Sinn und Zweck des § 72 Abs. 2 ZPO erfüllt.
Datum
2013