OLG Rostock: Sachverständigenvergütung auch für sachverständige Zeugen! (Beschluss vom 08.04.2008, 1 U 32/08)

Leitsätze der Entscheidungen

  • Grundsätzlich ist ein sachverständiger Zeuge als „echter“ Zeuge zu behandeln.
  • Ob ein Sachverständiger im Einzelfall eine Vergütung als Sachverständiger oder als sachverständiger Zeuge erhält, richtet sich nach dem Inhalt des gerichtlichen Auftrags und dem Inhalt seiner Bekundungen.
  • Als Sachverständiger kann auch derjenige einzustufen sein, der als sachverständiger Zeuge geladen, aber – im Laufe der Vernehmung – von dem Gericht als Sachverständiger angehört und befragt worden ist.
  • Entscheidend ist, ob der Sachverständige im Laufe der Vernehmung überwiegend als (sachverständiger) Zeuge oder als Sachverständiger vernommen worden ist.

Sachverhalt / Entscheidung

Ein Sachverständiger wurde als Zeuge geladen und von dem zuständigen Senat des OLG Rostock (Az. 1 U 32/08) angehört. Nach der Anhörung beantragte der sachverständige Zeuge eine Vergütung für Verdienstausfall, Fahrtkosten, Parkgebühren und für gutachterliche Tätigkeit (als Sachverständiger). Während die Bezirksrevisorin des OLG die Meinung vertrat, der sachverständige Zeuge sei bei der ihm zustehenden Vergütung als Zeuge zu behandeln, äußerte die Kostenbeamtin des Senats im konkreten Fall Bedenken, ob dies der Einvernahme des sachverständigen Zeugen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gerecht würde.

Nach Auffassung des Senats (Beschluss vom 08.04.2008) stehen dem sachverständigen Zeugen Vergütungsansprüche entsprechend der Vergütung eines Sachverständigen zu, da er im vorliegenden Fall wie ein Sachverständiger zu behandeln sei. Im Grundsatz treffe zwar zu, dass der sachverständige Zeuge ein echter Zeuge sei, der lediglich die zu bekundenden Wahrnehmungen aufgrund einer besonderen Sachkunde gemacht habe. Er sei von einer Partei zu benennen (§ 373 ZPO), als Zeuge zu beeidigen (§ 392 ZPO) und zu entschädigen (§ 401 ZPO). Im Einzelfall würden sich jedoch Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben. Ob eine Auskunftsperson in solchen Fällen sachverständiger Zeuge oder Sachverständiger sei, richte sich dann zunächst nach dem ihr vom Gericht erteilten Auftrag, im Übrigen nach dem Inhalt ihrer Bekundungen. Der sachverständige Zeuge solle über vergangene Tatsachen aussagen, zu deren Wahrnehmung eine besondere Sachkunde erforderlich gewesen sei; er sei daher nicht ohne weiteres ersetzbar, wie das in der Regel für einen Sachverständigen zutreffe, der dem Richter allgemeine Erfahrungssätze ohne besondere Kenntnisse des jeweiligen Tatsachengeschehens zu vermitteln bzw. aufgrund von Erfahrungssätzen oder besonderen Fachkenntnissen Schlussfolgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zu ziehen habe.

Für die Entschädigung als sachverständiger Zeuge oder als Sachverständiger sei entscheidend darauf abzustellen, ob er nach dem Inhalt der Ladung (§ 377 Abs. 2 Satz 2 ZPO) und dem Gegenstand seiner Befragung durch das Gericht im Ergebnis als Zeuge, also über seine (selbst sachkundig wahrgenommenen) Tatsachenkenntnisse vernommen worden sei oder als Sachverständiger Fragen des Gerichts über auf seiner Sachkunde beruhende subjektive Wertungen, Schlussfolgerungen oder Hypothesen beantwortet habe. Daher wird als Sachverständiger (in seiner prozessualen Stellung und gebührenrechtlich) im Endeffekt auch derjenige herangezogen, der zuvor als sachverständiger Zeuge geladen worden sei, danach aber als Sachverständiger vernommen werde, auch wenn sich dies erst im Verlaufe der Vernehmung ergebe.

So liege es auch im vorliegenden Fall. Zwar sei der Sachverständige zum Termin der Beweisaufnahme als (sachverständiger) Zeuge geladen worden. Dies bestimme indes nicht seine prozessuale Rolle. Auch dann nicht, wenn der Sachverständige in der durchgeführten Beweisaufnahme zunächst Fragen beantwortet habe, die ihm in seiner Eigenschaft als (sachverständiger) Zeuge zu stellen waren, im weiteren aber zu Bewertungsfragen vernommen wurde, die er nur ob seiner besonderen Stellung als Sachverständiger beantworten konnte. In der Abfolge zeige sich mithin, dass der Senat den Sachverständigen in der Vernehmung sowohl als (sachverständigen) Zeugen wie als Sachverständigen in seiner Rolle als Auskunftsperson „benutzt“ und „gebraucht“ habe, wobei ganz überwiegend im Verlaufe seiner Anhörung die sachverständige Kompetenz abgefragt und gesucht worden sei. Schon dies allein rechtfertige seine Behandlung als Sachverständigen.

Darüber hinaus spiegele sich in dem weiteren Ergebnis der Beratungen nach Durchführung der mit dem Sachverständigen durchgeführten Beweisaufnahme die „Verwendung“ des (sachverständigen) Zeugen als Sachverständigen wider. Denn der Senat habe in der Erörterung des Ergebnisses der Beweisaufnahme (§ 285 ZPO) zu erkennen gegeben, dass fraglich – und zu entscheiden – sein würde, ob die Vernehmung des Sachverständigen ausreichen könnte, von der Einholung eines Gutachtens abzusehen, oder ob solches nach seiner Einvernahme gefordert bliebe und (weiter) anzustellen wäre. Dies bedeute nichts Anderes, als dass der Senat – auch aus Kostengründen (und damit im wohlverstandenen wechselseitigen Parteiinteresse) – von der Erhebung eines förmlichen Sachverständigenbeweises bis zu der Befragung des Sachverständigen abgesehen habe, um zu klären, ob nicht durch seine Vernehmung – und seine Sachkunde – von der Einholung eines Gutachtens Abstand genommen werden könne. In der Sache habe also der Senat den – im Ergebnis erfolglosen – Versuch unternommen, einen in Betracht zu ziehenden Beweis in der Form der Erforderung eines Sachverständigengutachtens durch die vorrangige Vernehmung des (sachverständigen) Zeugen zu ersetzen. Das aber heiße: der Senat habe – in der Vernehmung – den geladenen (sachverständigen) Zeugen ganz überwiegend als einen Sachverständigen vernommen.

Sachverständigenpraxis

Wann erfolgt eine Vernehmung als sachverständiger Zeuge, wann als Sachverständiger? Sowohl für die Parteien als auch für die Sachverständigen ist diese Frage für die Höhe der zu zahlenden Vergütung bedeutsam. Das OLG Rostock zeigt in seiner Entscheidung auf, dass es bei dieser Abgrenzung nicht rein formal darauf ankommt, ob eine Ladung als sachverständiger Zeuge oder als Sachverständiger erfolgt ist. Bei der Abgrenzung sollte  sich der Bausachverständige, der m.E. nur in absoluten Ausnahmefällen  allein als (sachverständiger) Zeuge befragt werden wird, von folgenden Fragen leiten lassen:

  • Bezieht sich der Schwerpunkt der Befragung durch das Gericht und der Schwerpunkt des sachlichen Inhalts der Aussage des Sachverständigen auf eigene Tatsachenwahrnehmungen oder auf sachverständige Schlussfolgerungen und Wertungen?
  • Wird der Sachverständige als grundsätzlich unersetzbarer Zeuge oder als in aller Regel gegen einen anderen Sachverständigen mit vergleichbarer Sachkunde austauschbarer Sachverständiger befragt?
  • Soll der Sachverständige als Zeuge auf Grund seiner Erinnerung frühere Wahrnehmungen schildern, oder als Sachverständiger aus Tatsachen, die er selbst oder auch Dritte wahrgenommen haben, auf Grund seiner Fachkenntnisse Schlüsse ziehen oder Wertungen vornehmen?

Schon bei Erhalt der Ladung als (sachverständiger) Zeuge sollte der Sachverständige prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang er eigene Wahrnehmungen in einem Gerichtstermin bekunden könnte. Werden einem als (sachverständigen) Zeugen geladenen Sachverständigen „Sachverständigenfragen“ gestellt, so sollte er das Gericht darauf hinweisen und darum bitten, dass sein Hinweis – sowie die Fragen und Antworten – in das Verhandlungsprotokoll aufgenommen werden. In solchen Fällen kann es dann hilfreich sein, keine Abrechnung über den Kostenbeamten vorzunehmen, sondern die richterliche Festsetzung nach § 4 JVEG zu beantragen, die gem. § 4 Abs. 3 JVEG ein Beschwerderecht beinhaltet. Schließlich ergibt sich aus der Entscheidung des OLG Rostock noch, dass ein Indiz für die Vernehmung als Sachverständiger ist, dass durch sie – aus Kostengründen – versucht wird, die Einholung eines förmlichen Sachverständigengutachtens zu vermeiden.

Datum

2012