OLG Naumburg – Keine Kürzung der Sachverständigenvergütung trotz Verletzung der Hinweispflicht wegen Kostenvorschussüberschreitung! (Beschluss vom 19. Juni 2012, Az.: 1 W 30/12)

Leitsätze der Entscheidung

Hat ein Sachverständiger gegen seine Hinweispflicht nach § 407a Abs. 3 ZPO verstoßen, kann dies im Einzelfall eine Kürzung seiner Vergütungsansprüche zur Folge haben. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Eine Kürzung unterbleibt insbesondere in den Fällen, in denen davon ausgegangen werden kann, dass auch bei erfolgter Anzeige die Tätigkeit des Sachverständigen nicht eingeschränkt oder ihre Fortsetzung nicht unterbunden worden wäre.

Sachverhalt / Entscheidungen

In einem selbständigen Beweisverfahren wies das Landgericht Magdeburg einen Antrag des Gerichtssachverständigen, soweit damit eine Vergütungssumme von mehr als 3.750 € geltend gemacht wurde, zurück. Zur Begründung verwies das Landgericht darauf, der Sachverständige habe es versäumt, rechtzeitig gemäß § 407 a Abs. 3 ZPO auf eine Überschreitung des zuvor eingezahlten Kostenvorschusses von 3.000,- € hinzuweisen. In diesem Fall sei eine Überschreitung des Vorschusses um mehr als 25% nur zulässig, wenn die Begutachtung auch im Fall der Anzeige durchgeführt worden wäre. Davon könne aber nur ausgegangen werden, wenn die Begutachtung bei entsprechenden weiteren Kosten fortgesetzt werde. Der Sachverständige machte mit seinem Vergütungsantrag Kosten in Höhe von 5.920,95 € geltend, die als solche vom Gericht nicht beanstandet wurden. Auch die Bezirksrevisorin erhob in ihrer Stellungnahme keinerlei sachliche oder rechnerische Einwände gegen die Berechnung der Entschädigung, sondern verteidigte nur die Kürzung wegen Verstoßes gegen § 407 a Abs. 3 ZPO.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts Magdeburg legte der Sachverständige Beschwerde ein und begehrte die Festsetzung der ungekürzten Vergütung, mithin weiterer 2.170,95 €. Schließlich hat die im selbständigen Beweisverfahren antragstellende Partei die Fortsetzung der Begutachtung im Wege eines Ergänzungsgutachtens desselben Sachverständigen beantragt und hierfür einen weiteren Kostenvorschuss von 2.000 € bei Gericht eingezahlt. Dessen ungeachtet hat das Landgericht der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die zulässige Beschwerde des Sachverständigen hatte in der Sache Erfolg. Die Vergütung des Sachverständigen wurde antragsgemäß vorläufig auf 5.920,95 € festgesetzt.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht ausgeführt, ein Überziehen des Auslagenvorschusses (§ 379 ZPO) berühre den Entschädigungsanspruch eines Sachverständigen grundsätzlich nicht, wenn die Mehrleistung für ein sachgerechtes Gutachten nötig gewesen sei. Dass diese Voraussetzung gegeben sei, sei von dem Sachverständigen ausführlich dargelegt und vom Landgericht und den Beteiligten auch nicht in Abrede gestellt worden. Ebenso sei die sachliche und rechnerische Richtigkeit des Vergütungsanspruchs weder vom Landgericht noch von der Bezirksrevisorin oder den Verfahrensbeteiligten beanstandet worden, so dass hierzu im Beschwerdeverfahren keine weiteren Ausführungen veranlasst seien.Wie das Landgericht zu Recht ausgeführt habe, komme aber eine Kürzung der Entschädigung in Betracht, wenn der Sachverständige seine Hinweispflicht gemäß § 407a Abs. 3 ZPO verletzt habe. Eine solche Pflichtverletzung liege hier vor, was der Sachverständige auch nicht bestreite. Die in § 407a Abs. 3 ZPO normierte Pflicht des Sachverständigen, frühzeitig auf höhere Kosten hinzuweisen, solle den Parteien Gelegenheit geben, die Fortführung des Verfahrens zu überdenken. Die Hinweispflicht diene der möglichen Reduzierung der Verfahrenskosten und der wirtschaftlichen Risiken der Parteien. Habe der Sachverständige gegen diese Hinweispflicht verstoßen, so könne dies im Einzelfall eine Kürzung seiner Vergütungsansprüche zur Folge haben. Ob auf Grund der Pflichtverletzung eine Kürzung gerechtfertigt sei, hänge aber von den Umständen des Einzelfalls ab, wie auch die Bezirksrevisorin zutreffend angenommen habe. Sie unterbleibe insbesondere in den Fällen, in denen davon ausgegangen werden könne, dass auch bei erfolgter Anzeige die Tätigkeit des Sachverständigen nicht eingeschränkt, oder ihre Fortsetzung nicht unterbunden worden wäre. Davon müsse in der Regel ausgegangen werden, wenn Beweiserheblichkeit bestünde und die vorschusspflichtige Partei selbst nach Kenntnis von der Vorschussüberschreitung eine kostenpflichtige Fortsetzung der Beweisaufnahme beantrage und einen weiteren Vorschuss einzahle. Diese Rechtslage habe wohl auch das Landgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt.

Das Landgericht habe hier jedoch im Rahmen seiner Nichtabhilfeentscheidung offenbar den Inhalt des letzten Schriftsatzes der antragstellenden Partei nicht berücksichtigt. Denn in diesem Schriftsatz werden die Fortsetzung der Beweisaufnahme beantragt und auch die Einzahlung eines weiteren Kostenvorschusses von 2.000,- € nachgewiesen. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin auch schon zuvor die Fortsetzung der von ihr beantragten Beweisaufnahme nicht unterbunden, sondern den weiteren Vorschuss gezahlt hätte, wenn der Sachverständige auf die höheren Kosten rechtzeitig aufmerksam gemacht hätte. Etwas anderes habe die vorschusspflichtige Antragstellerin auch zu keinem Zeitpunkt behauptet. Eine Kürzung sei daher im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt.

Sachverständigenpraxis

Die Hinweispflichten nach § 407a Abs. 3 ZPO sollten selbstverständlich jedem Gerichtssachverständigen gut bekannt sein. Dementsprechend sollte bereits beim ersten „Aktenkontakt“ die Höhe des Kostenvorschusses dem Beweisbeschluss entnommen und notiert werden. Sollte nach einem ersten Aktenstudium schon feststehen, dass der Vorschuss zu knapp bemessen worden ist, muss das Gericht unverzüglich gebeten werden, einen ergänzenden Vorschuss bei der beweispflichtigen Partei anzufordern. Im weiteren Verlauf der Begutachtung gilt: Sobald sich eine Überschreitung des Vorschusses andeutet (Bauteilöffnungen, Laboruntersuchungen, Ergänzungsfragen, zusätzliche Ortstermine etc.), ist der Sachverständige ebenfalls verpflichtet, das Gericht sofort zu informieren und um eine entsprechende Erhöhung des Kostenvorschusses zu bitten. Jede Anforderung eines weiteren Kostenvorschusses des Gerichts bei den Parteien bietet diesen die Gelegenheit die wirtschaftlichen Risiken des Falles neu zu überdenken und möglicherweise eine Einigungsmöglichkeit zu finden. Hinweise auf eine Vorschussüberschreitung sollten daher fast zum Tagesgeschäft des Gerichtssachverständigen gehören. Der Sachverständige ist daneben ebenfalls zu einem Hinweis verpflichtet, wenn die Kosten der Begutachtung „erkennbar außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstandes stehen“. Dies ist dann gegeben, wenn die Sachverständigenvergütung voraussichtlich mindestens halb so teuer wie der eigentliche Streitgegenstand sein wird (z. B. 2.500,- Sachverständigenvergütung bei 5.000,- € Schadensersatzansprüchen). Den Wert des Streitgegenstandes kann der Gerichtssachverständige in der Regel der Klageschrift entnehmen. Da sich dieser Streitwert im Laufe eines Verfahrens noch verändert kann, sollte man jedoch sicherheitshalber in das letzte Verhandlungsprotokoll schauen. Dort sind in der Regel von den Parteien Anträge gestellt worden. Normalerweise entspricht der dort gestellte Antrag der klagenden Partei dem Streitwert.

Sollte ein Sachverständiger trotz aller Sorgfalt jedoch einmal eine dieser Hinweispflichten verletzen, so ist seine Vergütung dennoch nicht automatisch verloren. Denn in der Regel hätten die Parteien auch in Kenntnis der höheren Sachverständigenkosten der Fortsetzung der Begutachtung zugestimmt. Dementsprechend sollten Sachverständige, falls es zur Verletzung einer Hinweispflicht gekommen ist, stets in Überstimmung mit der voranstehend zusammengefassten Entscheidung des OLG Naumburg behaupten, es könne davon ausgegangen werden, dass auch bei erfolgter Anzeige die Tätigkeit des Sachverständigen nicht eingeschränkt oder ihre Fortsetzung nicht unterbunden worden wäre.

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Dr. Felix Lehmann, Vorsitzender Richter am Landgericht Kiel

Datum

2013