Leitsätze der Entscheidung
- Gegen einen Sachverständigen, der ein Gutachten trotz Sachstandsanfrage und Androhung von Ordnungsgeld nicht erstellt, kann ein Ordnungsgeld festgesetzt werden.
- Bei der Höhe des Ordnungsgeldes kommt es darauf an, wie hoch das Verschulden des Sachverständigen an der verspäteten Gutachtenerstellung einzustufen ist.
- Ist die Frist zur Gutachtenerstellung zu gering bemessen und kann der Sachverständige eine unvorhergesehene hohe Arbeitsbelastung darlegen, so ist nur ein geringes Ordnungsgeld festzusetzen.
Sachverhalt / Entscheidung
Beim Landgericht Ingolstadt wurde der Beschwerdeführer als Sachverständiger mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Trotz Aktenzusendung erfolgte keine Auftragsbestätigung. Das Gutachten wurde nicht innerhalb der gesetzten Frist erstellt. Eine Sachstandsanfrage blieb unbeantwortet. Nachdem der Sachverständige auf die Möglichkeit eines Ordnungsgeldes von bis zu 1.000,- EUR hingewiesen wurde, wurde eine weitere Frist zur Vorlage des Gutachtens nicht eingehalten. Nunmehr setzte das Gericht gegen den Sachverständigen ein Ordnungsgeld in Höhe von 600,- EUR fest. Gegen diesen Beschluss legte der Sachverständige Einspruch ein und berief sich auf seine hohe Arbeitsbelastung durch einen personellen Engpass.
Die sofortige Beschwerde des Sachverständigen hatte teilweise Erfolg. Nach § 411 Abs. 2 ZPO könne gegen den Sachverständigen ein Ordnungsgeld festgesetzt werden, wenn dieser die Frist zur Erstattung des Gutachtens versäumt habe. Zwar sei der Sachverständige im Beweisverfahren seiner Stellung nach lediglich Gehilfe des Gerichts bei der Auswertung und Bewertung ihm vorgegebener Tatsachen, doch setze ein für beide Seiten gewinnbringendes und zufrieden stellendes Ergebnis eine beiderseits von Vertrauen und Respekt getragene Zusammenarbeit voraus. Darum sollte mit dem Sachverständigen möglichst schon vor der Erteilung des Auftrags über die voraussichtliche Dauer der Bearbeitung gesprochen werden und eine Nachfrist mit Ordnungsgeldandrohung erst nach Rückfrage beim Sachverständigen erfolgen. Auf der anderen Seite habe der Sachverständige das Gericht unverzüglich über Umstände zu unterrichten, die einer Gutachtenerstattung im Wege stehen können, § 407 a ZPO. Hierzu zähle auch die Mitteilung, dass eine fristgerechte Anfertigung des Gutachtens nicht möglich sei. Die Informationspflicht diene der Prozessbeschleunigung. Sie solle unnötigen Zeitverlust vermeiden.
Im konkreten Fall habe der Beschwerdeführer unstrittig nicht innerhalb der gesetzten Frist das Gutachten erstattet. Er habe weiter weder die dem Gutachtenauftrag beiliegende Auftragsbestätigung, die auch eine Anfrage zur voraussichtlichen Dauer der Gutachtenerstattung enthielt, dem Gericht übersandt noch auf die Sachstandsanfrage und die Androhung von Ordnungsgeld reagiert. Hierin liege ein vorwerfbarer Verstoß gegen die ihn treffende Pflicht zur fristgemäßen Gutachtenerstattung. Der Senat verkenne hierbei nicht, dass der Beschwerdeführer arbeitsmäßig stark belastet gewesen sei und auch dass personelle Veränderungen zu Engpässen führen könnten. Andererseits müsse der Beschwerdeführer auch dafür Verständnis aufbringen, dass Gerichte Verfahren in einem für die Parteien zumutbaren Zeitraum zu entscheiden haben und sie dabei auf die Mithilfe und die Mitwirkung von Sachverständigen angewiesen seien. Auch bei einer übermäßigen Arbeitsbelastung bedeute eine kurze Mitteilung an das Gericht keinen unverhältnismäßigen und unzumutbaren Arbeitsaufwand. Das Ordnungsgeld sei jedoch herabzusetzen, da das Verschulden des Beschwerdeführers als nicht sehr hoch einzustufen sei. Zum einen lag wegen der personellen Ausfälle und der damit für den Beschwerdeführer verbundenen Mehrarbeit in der Tat ein Grund dafür vor, dass das Gutachten nicht in der vom Gericht gesetzten Frist erstattet werden konnte. Zum anderen sei die vom Gericht gesetzte Erstfrist in Anbetracht des zu erwartenden Gutachtenumfangs recht knapp bemessen gewesen. Zudem habe sich das Gericht erst nach dem Erlass des angegriffenen Beschlusses erstmals telefonisch in einem persönlichen Gespräch mit dem Beschwerdeführer nach den Gründen für die Nichteinreichung des Gutachtens erkundigt. Unter diesen Umständen erscheine dem Senat ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,- EUR angemessen und ausreichend zu sein.
Sachverständigenpraxis
Nachdem früher in einer sogenannten „Kann-Regelung“ in § 411 Abs. 1 Satz 2 ZPO a. F. offen gelassen wurde, ob das Gericht dem Sachverständigen eine Frist zur Erstellung des Gutachtens setzt, enthält § 411 Abs. 1 ZPO n. F. nunmehr eine sogenannte „Soll-Vorschrift“: „Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, soll das Gericht dem Sachverständigen eine Frist setzen, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.“ Diese Regelung dient der Prozessbeschleunigung. Auf sie sollte aber nur mit Augenmaß zurückgegriffen werden. Läuft die gesetzte Frist zur Gutachtenerstellung ab, ohne dass der Eingang des Gutachtens festzustellen ist, sollte zunächst überprüft werden, ob die Frist Umfang und Schwierigkeitsgrad des Beweisthemas sowie die Arbeitsbelastung des Sachverständigen hinreichend berücksichtigt. Zudem ist die seit Aktenübersendung vergangene Zeit festzustellen. Statt Ordnungsgeldandrohung sollte als nächstes eine schriftliche und dann auch eine telefonische Sachstandsanfrage – wie auch vom OLG München in seiner Entscheidung ausgeführt – gestellt werden. Im Normalfall kann man auf diesem Weg einen zeitnahen Gutachteneingang erreichen. Erst wenn ein Sachverständiger seine Zusagen mehrfach nicht einhält, muss das Gericht den Weg des § 411 Abs. 2 ZPO im Interesse der Parteien mit aller Konsequenz bestreiten. Leider gibt es nämlich auch Sachverständige die auf kein noch so freundliches Schreiben des Gerichts überhaupt antworten und erst auf die Ankündigung oder Festsetzung von Zwangsmaßnahmen reagieren. In solchen Extremfällen kann es im Einzelfall auch angezeigt sein, dass bei öffentlich bestellten Sachverständigen die Bestellungsbehörde informiert wird. Aus Sicht des Sachverständigen sollte bereits mit der Auftragsbestätigung eine realistische Bearbeitungszeit mitgeteilt werden. Dies ist gerade dann von besonderer Bedeutung, wenn das Gericht eine zu kurz bemessene Frist gesetzt hat. Kann eine Frist dennoch nicht eingehalten werden, so sollte der Sachverständige mit kurzer Begründung das Gericht hiervon umgehend in Kenntnis setzen und mitteilen, bis wann (spätestens!) mit Gutachteneingang gerechnet werden kann. Diese „Nachfrist“ sollte vom Sachverständigen großzügig bemessen werden. Sie muss unbedingt eingehalten werden, um eine unangemessene Verfahrensverzögerung zu vermeiden.
Datum
2012