Leitsätze der Entscheidung
- Der Lauf der Frist zur Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit beginnt frühestens mit seiner Ernennung, weil zuvor eine Ablehnung nicht möglich ist.
- Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen kann sich daraus ergeben, dass ihm bei Aufnahme und Auswertung des Sachverhalts in für die Partei auch bei objektiver Sicht der Dinge wichtigen Punkten Fehler unterlaufen, die deutlich auf mangelnde Sorgfalt schließen lassen.
Sachverhalt / Entscheidungen
Die zuständige Kammer ordnete in einem Schadensersatzprozess beim Landgericht Offenburg die Einholung von zwei Gutachten zum Umfang eines Schadens an, für dessen Folgen die Beklagte unstreitig in vollem Umfang einzustehen hatte. In der Folgezeit empfahl einer der beauftragten Sachverständigen in seinem Gutachten die Einschaltung eines zusätzlichen Sachverständigen aus einem weiteren Fachgebiet. Zudem erwähnte er im Gutachten eine konkrete Person als in Betracht kommenden zusätzlichen Gutachter. Daraufhin teilte der andere ursprünglich beauftragte Sachverständige unter Hinweis auf diesen Vorschlag dem Landgericht mit, er habe diese Zusatzbegutachtung „in ihrem Namen und auf ihre Kosten“ in Auftrag gegeben. Das Gericht stimmte dieser Vorgehensweise zu. Nun erstattete jedoch nicht der vorgeschlagene Zusatzgutachter sondern einer seiner Mitarbeiter das weitere Gutachten. Dieses Gutachten beanstandete der Kläger, weil seine Angaben in vielen Punkten, insgesamt in elf Punkten, unzutreffend wiedergegeben worden seien. Auch habe der Mitarbeiter des Zusatzgutachters ohne einen Auftrag des Gerichts sein Gutachten erstattet. Nunmehr bestellte das Landgericht den Mitarbeiter zum Sachverständigen und bat ihn zu den vom Kläger erhobenen Beanstandungen Stellung zu nehmen. Darauf lehnte der Kläger diesen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er wies auf die schon erwähnten elf Fehler hin und darauf, dass das Gutachten darüber hinaus nicht nachvollziehbar sei. Der zuständige Einzelrichter wies das Befangenheitsgesuch als unbegründet zurück. Hiergegen legte der Kläger eine sofortige Beschwerde ein.
Die sofortige Beschwerde des Klägers hatte in der Sache Erfolg (Beschluss des OLG Karlsruhe vom 09.11.2009, Az.: 14 W 43/09). Die Ablehnung des Sachverständigen sei rechtzeitig erfolgt, da er vor seiner Ernennung noch nicht abgelehnt werden konnte und die Ablehnung eine Woche nach Ernennung daher innerhalb der gesetzlichen Frist erfolgte. Nach § 406 Abs. 1 Satz 2 ZPO könne ein Sachverständigen aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Richtig sei auch, dass eine Ablehnung möglich sei, wenn objektive Umstände oder Tatsachen vorliegen, die vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet seien, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Dabei komme es als Maßstab auf eine besonnen denkende Partei in der konkreten Situation des Ablehnenden an, während rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen der Partei auszuscheiden haben.
Im Grundsatz würden inhaltliche Mängel eines Gutachtens keine Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Allerdings habe der Kläger nach Kenntnisnahme des Gutachtens umgehend die Fehler beanstandet und ausgeführt, ihm sei unerklärlich, dass derartig viele Fehler in dem Sachbericht des Gutachters einfließen konnten. Ein derartiger Sachverhalt weise enge Parallelen zu einer Fallkonstellation auf, in der schon mehrfach die Ablehnung eines Richters für begründet angesehen worden sei. Beim Richter werde zwar mit Recht die Auffassung vertreten, sachliche Fehler begründeten nicht ohne weiteres eine Besorgnis der Befangenheit. Anders sei es aber, wenn einem Richter eine Häufung von Verfahrensfehlern zum Nachteil einer Partei zur Last zu legen seien. Bei einer Verschiedenheit der Aufgaben von Richtern und Sachverständigen im Zivilprozess und der damit einhergehenden Problematik der Übertragung von Ablehnungsgründen vom Richter auf den Sachverständigen werde dieser Ablehnungsgrund auch auf einen Sachverständigen zu erstrecken sein, dem vergleichbare Fehler bei Aufnahme und Auswertung des Sachverhalts in für die Partei auch bei objektiver Sicht der Dinge wichtigen Punkten unterlaufen.
Wie es zu den vom Kläger als fehlerhaft beanstandeten Passagen im Gutachten gekommen sei und ob mangelnde Sorgfalt des Gutachters dafür verantwortlich zu machen sei, sei streitig. Während die Beklagte nur einen einzigen Fehler eingeräumt habe und im Übrigen davon ausgehe, dass die Ausführungen im Gutachten auf entsprechende Angaben des Klägers zurückzuführen seien, sehe der Kläger den Fehler allein beim Gutachter: „Ein Gutachter, der nicht richtig zuhören kann, ist ungeeignet“. Das Landgericht habe die Entstehung des unstreitigen und der angeblich weiteren Mängel des Gutachtens nicht näher untersucht. Dies werde nunmehr zu klären sein. Wegen der Sachnähe zur ohnehin dem Landgericht obliegenden Erhebung der Beweise und im Hinblick auf den Umfang der anzustellenden Prüfung erschien es dem OLG Karlsruhe daher sachgerecht, den Ablehnungsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.
Sachverständigenpraxis
Sachliche Mängel eines Gutachtens rechtfertigen in der Regel keine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Ansonsten würde jede fachliche Meinungsverschiedenheit in einen Befangenheitsantrag münden. Gerade wenn jedoch Angaben einer Partei mehrfach unrichtig wiedergegeben werden, kann der Eindruck entstehen, dass der Gutachter seine Tätigkeit nicht neutral und unparteiisch wahrnimmt. Das Gefühl einer Partei von dem Gutachter „gehört“ zu werden, ist für eine spätere Akzeptanz der Gutachtenergebnisse von erheblicher Bedeutung. Daher sollte der Vortrag der Parteien stets sorgfältig wiedergegeben werden und das Gutachten selbstverständlich vor Abgabe beim Gericht jedenfalls mehrfach auf Fehler durchgesehen werden. Unterlaufen nämlich einem Gutachter zu Lasten einer Partei zahlreiche Fehler bei der Feststellung des zu begutachtenden Sachverhalts kommt im Ausnahmefall doch eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit in Betracht. Dabei können mehrere grobe Fehler im Gutachten ausreichen, um die Befangenheit des gerichtlichen Sachverständigen zu begründen. Im vorliegenden Fall bleibt abzuwarten, zu welchem Ergebnis das Landgericht nunmehr bei einer Untersuchung der Entstehung des unstreitigen und der angeblichen weiteren Mängel des Gutachtens kommen wird. Sollten die als fehlerhaft beanstandeten Passagen auf Fehler des Gutachters zurückzuführen seien, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht dem Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit stattgegeben wird.