von Dr. Felix Lehmann, Vorsitzender Richter am Landgericht Kiel
Leitsätze der Entscheidung
Der gerichtliche Sachverständige, der im selbständigen Beweisverfahren nach § 485 ZPO ein unrichtiges Gutachten erstattet und im anschließenden Hauptsacheverfahren bei seiner Anhörung unzutreffende Angaben macht, handelt grob fahrlässig i.S.d. § 839 a BGB.
Schadensersatzansprüche sind auch nicht wegen Verstoßes gegen § 839 Abs. 3 i.V.m. § 839 a Abs. 2 BGB ausgeschlossen.
Sachverhalt / Entscheidungen
Der Kläger nimmt den Beklagten als Sachverständigen wegen eines fehlerhaften Gerichtsgutachtens auf Schadensersatz in Anspruch. Der Beklagte erstattete zuvor in einem selbständigen Beweisverfahren ein Gutachten und ein Ergänzungsgutachten. Aufgrund dieser Gutachten wurde der Kläger in dem darauf folgenden Prozess nach mündlicher Anhörung des Beklagten vom Landgericht Mühlhausen zur Zahlung eines Vorschusses für die Durchführung von Mängelbeseitigungsarbeiten verurteilt.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung ein und beauftragte einen Privatgutachter damit, das Gutachten des Beklagten zu überprüfen. Der Privatgutachter stellte daraufhin fest, dass dem Beklagten bei der Erstellung des Gerichtsgutachtens erhebliche methodische Fehler unterlaufen sind. Wegen verspäteten Vorbringens berücksichtigte das Thüringer Oberlandesgericht die Ausführungen des Privatgutachters nicht und wies die Berufung des Klägers zurück.
In dem Haftungsprozess gegen den Sachverständigen wurde ein weiteres Sachverständigengutachten durch einen neuen Gerichtsgutachter eingeholt. Das erstinstanzlich zuständige Landgericht Mühlhausen gab der Klage statt. Gegen diese Entscheidung legte der Beklagte Berufung zum OLG Jena ein.
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des § 839a BGB sind nach Auffassung des zuständigen Senats des OLG Jena erfüllt. In Übereinstimmung mit dem Landgericht Mühlhausen folge der Senat den Ausführungen des neuen Gerichtssachverständigen. Dieser habe zum einen nachvollziehbar dargelegt, dass zeit- und lastabhängige Verformungen in die Beurteilung, ob Baumängel vorliegen, mit einbezogen werden müssen, was der Beklagte bei seiner Begutachtung nicht berücksichtigt habe. Zum anderen habe er anschaulich die anzuwendende Messmethode erläutert und ausgeführt, der Beklagte lasse in dem streitgegenständlichen Gutachten das erforderliche „Stichmaß-Verständnis“ vermissen und habe deshalb zu niedrige Toleranzwerte zugrunde gelegt. Es bestand auch der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen den gutachterlichen Feststellungen des Beklagten und dem Urteil des Landgerichts Mühlhausen in dem ersten Prozess. Die dort zuständige Kammer habe aufgrund der Messungen des Beklagten angenommen, dass die „Toleranzbereiche an mehreren Messpunkten in allen drei Garagen überschritten [seien], sodass das Werk [des Klägers] insoweit mangelhaft“ sei. Es sei davon auszugehen, dass das Landgericht zu einer anderen Bewertung gekommen wäre, wenn ihm aufgrund einer zutreffenden gutachterlichen Stellungnahme bekannt gewesen wäre, dass in den Garagen nur ganz wenige DIN-widrige und zudem lediglich geringfügige Toleranzabweichungen vorhanden waren, die mit einem Kostenaufwand von 450,- bis 500,- € netto zu beseitigen gewesen wären.
Der Beklagte habe auch grob fahrlässig gehandelt. Hierfür sei eine Pflichtverletzung erforderlich, die nicht nur in objektiver, sondern auch in subjektiver Hinsicht besonders schwer wiegt. Maßstab sei das für einen ordentlichen Sachverständigen im jeweiligen Fachgebiet maßgebende Pflichtenprogramm. Soweit sich der Beklagte darauf berufe, er habe nicht grob fahrlässig gehandelt, weil der neue Gerichtssachverständige als Fachhochschullehrer gegenüber einem „normalen“ Gutachter zu strenge Maßstäbe anlege, gehe sein Berufungsangriff ins Leere. Es müsse von jedem Gerichtssachverständigen, der von einem Gericht mit der Prüfung beauftragt werde, ob ein Estrich ordnungsgemäß verlegt worden sei, erwartet werden, dass er die einschlägigen DIN-Vorgaben kenne und die erforderlichen Messungen fehlerfrei vornehme. Die korrekte Vornahme von Toleranzmessungen stelle das Grundhandwerkszeug eines Sachverständigen dar. Vorliegend habe der Beklagte nicht aufgrund eines Versehens einen Messfehler vorgenommen, sondern methodisch falsch gearbeitet.
Der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch sei auch nicht wegen Verstoßes gegen § 839 Abs. 3 in Verbindung mit § 839a Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Der Kläger habe ein Privatgutachten eingeholt, um die Ergebnisse des Beklagten zu überprüfen. Ferner habe er Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen eingelegt. Von daher habe er die vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft, um aufzuzeigen, dass die sachverständigen Ausführungen des Beklagten unzutreffend seien, um so zu verhindern, dass er aufgrund der Gutachten des Beklagten zur Zahlung verurteilt werde.
Dem Kläger sei auch ein Schaden in Höhe von 23.209,63 € entstanden, wie er bereits vom Landgericht im angefochtenen Urteil festgestellt worden. Er resultiere aus den klageweise geltend gemachten 23.804,63 €, abzüglich der 595,- € brutto an Mangelbeseitigungskosten, die der jetzige Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme im Schätzungswege ermittelt habe.
Sachverständigenpraxis
Mehr als zehn Jahre nach Inkrafttreten des § 839a BGB am 1. August 2012 liegt nunmehr die erste obergerichtliche Entscheidung vor, in der ein Haftungsanspruch gegen einen Gerichtssachverständigen bejaht wird. Die Entscheidung zeigt, dass § 839a BGB durchaus praktische Bedeutung haben kann, gerade wenn mehrere Fehler eines Sachverständigen zusammentreffen. Im vorliegenden Fall hatte der Sachverständige nicht nur einschlägige Vorschriften ignoriert, sondern auch methodisch unrichtig gearbeitet und falsche Messungen durchgeführt. Unterlaufen einem Sachverständigen daher grundlegende Fehler liegt der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nahe. Die Auffassung, eine grobe Fahrlässigkeit könne in der Regel ausgeschlossen werden, wenn im Vorprozess bereits zwei gerichtliche Instanzen dem Sachverständigengutachten gefolgt seien, verkennt den für die grobe Fahrlässigkeit relevanten Bewertungsmaßstab. Es ist nicht ungewöhnlich, dass schwere Pflichtverletzungen von Sachverständigen in technischen Spezialgebieten den am Verfahren beteiligten Juristen überhaupt nicht auffallen. Daraus Schlüsse hinsichtlich des Nichtvorliegens von grober Fahrlässigkeit zu ziehen, ist wenig überzeugend. Interessant ist an dieser Stelle noch, dass eine Sachverständigenhaftung nur dann in Betracht kommt, wenn aufgrund eines unrichtigen Gutachtens eine unrichtige Entscheidung ergeht. Kommt es z. B. in dem Vorprozess nicht zu einem Urteil, sondern zu einem Vergleich, so sind Haftungsansprüche gegen den Sachverständigen ausgeschlossen. Dennoch sollte gerade aufgrund der aktuellen Entscheidung jeder Gerichtssachverständige überprüfen, ob Haftungsansprüche nach § 839a BGB in den Umfang seiner Berufungshaftpflichtversicherung einbezogen worden sind.
DATUM
2014