OLG Hamm: Darlegungs- und Beweislast des Klägers bei der Haftung des gerichtlichen Sachverständigen nach § 839 a BGB! (Urteil vom 16.06.2009, Az.: 9 U 239/08)

Leitsätze der Entscheidung

  • Die klagende Partei muss in einem Schadensersatzprozess gegen einen  Gerichtssachverständigen die Umstände, die eine grobe Fahrlässigkeit des Sachverständigen begründen sollen, darlegen und unter Beweis stellen.
  • Es ist für die Darlegung einer groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 839a Abs. 1 BGB nicht ausreichend, Widersprüche zwischen dem Gerichtsgutachten und einem Privatgutachter zu behaupten.

Sachverhalt / Entscheidungen

Nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens wurde eine auf ein Privatgutachten gestützte Klage auf Schadensersatz aus dem Jahr 2002 von dem Landgericht Bielefeld abgewiesen. Nachdem auch die Berufung zurückgewiesen wurde, nahm der Kläger sodann den Gerichtssachverständigen auf den Schadensersatz in Anspruch, den er im Vorprozess vergeblich eingeklagt hatte. Dabei stützte er den Vorwurf grob fahrlässig unrichtiger Begutachtung durch den beklagten Gerichtssachverständigen auf den Widerspruch zwischen dessen Gutachtenergebnis und den Feststellungen des Privatgutachters. Das ergangene Urteil sei materiell rechtlich falsch gewesen, da es das vom beklagten Sachverständigen erstattete Gutachten als jedenfalls nicht grob vorwerfbar unrichtig und unverwertbar erachtet habe. Des Weiteren habe es der Beweisaufnahme durch Einholung eines beantragten weiteren Sachverständigengutachtens sowohl zur Fehlerhaftigkeit der Begutachtung des Beklagten als auch zum Ausmaß deren Vorwerfbarkeit bedurft.

Die Berufung vor dem OLG Hamm (Urteil vom 16.06.2009, Az.: 9 U 239/08) blieb ohne Erfolg. Das Landgericht habe die Klage zu Recht wegen der unzureichenden Darlegung einer dem Beklagten vorzuwerfenden groben Fahrlässigkeit bei der Erstattung seines Gutachtens abgewiesen. Der Beklagte müsste bei der Erstellung seines Gutachtens die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und dasjenige nicht beachtet haben, was im vorliegenden Fall jedem einleuchten müsste. Dabei müsse ihn auch in subjektiver Hinsicht ein schweres Verschulden treffen. Nicht diese rechtliche Wertung, sondern die sie ausfüllenden Tatsachen müsse der Kläger für die Schlüssigkeit seiner Klage substantiiert vortragen. Mit dem Privatgutachten habe er jedoch nur vermeidliche Fehler des Gutachtens des Beklagten dargelegt, nicht dagegen, dass sie jenem unterlaufen seien, weil er bestimmte ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellte, und auch nicht, wodurch er seine Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße verletzt habe. Soweit es um anzuwendende Untersuchungsmethoden und Begutachtungskriterien gehe, könne von einem Kläger erwartet werden, dass er die vermeintlichen Nachlässigkeiten oder Unterlassungen des Sachverständigen benenne und nicht nur auf bloße Abweichungen des Ergebnisses zu einem anderen Gutachten hinweise. Das Sachverständigengutachten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen würden, sei nicht ungewöhnlich und rechtfertige allein nicht den Schluss auf eine auch subjektiv grobe Sorgfaltslosigkeit eines Gutachters. Zu bezeichnen, was an dem Vorgehen des angegriffenen Gutachters als das was jedem einleuchtet entgegenstehend beanstandet oder welche ganz naheliegende Überlegung vermisst werde, überfordere eine Partei nicht.

Sachverständigenpraxis

Seit dem 01.08.2002 regelt die neu eingeführte Vorschrift des § 839 a BGB die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen. Die dortige Vorschrift lautet im Abs. 1 folgendermaßen:

„Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.“

Voraussetzung für eine Haftung des Gerichtsgutachters nach § 839 a BGB ist daher zunächst das Vorliegen eines unrichtigen Gutachtens, wobei die Unrichtigkeit des Gutachtens von dem Gerichtssachverständigen vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet sein muss. Des Weiteren muss eine unrichtige Gerichtsentscheidung ergehen, die auf dem unrichtigen Gutachten beruht. Schließlich muss auch der Schaden des Anspruchstellers auf der unrichtigen Gerichtsentscheidung beruhen. In Fällen, in denen zwar ein unrichtiges Gutachten vorliegt, das Gerichtsverfahren jedoch einer nichtstreitigen Erledigung zugeführt wird, d.h. etwa durch Klage- oder Rechtsmittelrücknahme, Anerkenntnis, Verzicht oder auch Vergleich, kommt eine Haftung des Gutachters nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2006 III ZR 143/05).

Die am meisten diskutierte Anspruchsvoraussetzung des § 839 a BGB ist das Verschulden des Sachverständigen. Einfache Fahrlässigkeit kann keine Haftung des Sachverständigen nach § 839 a BGB begründen. Grobe Fahrlässigkeit erfordert eine Pflichtverletzung, die sowohl in objektiver als auch subjektiver Hinsicht besonders schwer wiegt. Grob fahrlässig handelt ein Gerichtsgutachter dann, wenn er nicht beachtet, was jedem einleuchten müsste. Grob fahrlässig verhält sich ein Gerichtsgutachter auch dann, wenn er einfachste ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt bzw. wenn sein Gutachten schlechterdings unverständlich und unverantwortbar ist. Dabei müssen sich der Vorsatz oder die grobe Fahrlässigkeit auf die Unrichtigkeit des Gutachtens, nicht aber auf den eingetretenen Schaden beziehen. Ein Sachverständiger handelt z. B. dann grob fahrlässig wenn er den Sachvortrag der Parteien nicht zur Kenntnis nimmt und würdigt. Er handelt ebenfalls grob fahrlässig, wenn er die Angaben eines Verfahrensbeteiligten ungeprüft übernimmt oder sich auf eine Begutachtung nach Aktenlage beschränkt, ohne den Gegenstand der Untersuchung persönlich in Augenschein zu nehmen. Bestehen Zweifel des Sachverständigen an dem Ergebnis seines Gutachtens, so muss er diese offenlegen. Auch liegt ein grob fahrlässiges Verhalten vor, wenn ein Sachverständiger einen Gutachtenauftrag übernimmt für den ihm erkennbar die Fachkompetenz fehlt. Wenn wie im vorliegenden Fall Sachverständigengutachten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, handelt es sich um einen gewöhnlichen Vorgang, der den Schluss auf eine grobe Fahrlässigkeit des Gerichtsgutachters nicht rechtfertigt.

Schließlich kommt eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 839a BGB nach Auffassung des Kammergerichts Berlin selbst dann nicht in Betracht, wenn ein Sachverständiger einen Ortstermin unterlasse und das zuständige Gericht diese Vorgehensweise billige (Kammergericht Berlin, Beschluss vom 10.01.2007 12 W 61/06). Im konkreten Fall gelangte der gerichtliche Sachverständige allein aufgrund des Schadensbildes der ihm vorliegenden Fotos zu seinem Gutachtenergebnis. Der Antragssteller in dem zu entscheidenden Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren hatte ein Privatgutachten eines weiteren Gutachters vorgelegt, dass die Schlussfolgerung des Gerichtsgutachters als unzutreffend bezeichnete. Diese Ausführungen überzeugten den Senat beim Kammergericht Berlin jedoch nicht: Die Berufungskammer habe ausdrücklich zur Kenntnis genommen, dass der Sachverständige seine Feststellung ohne Ortstermin getroffen habe und habe diese Vorgehensweise gebilligt. Der Sachverständige durfte daher den vom Gericht im Rahmen der Leitung seiner Tätigkeit gemäß § 404 a Abs. 1 ZPO gegebenen Anordnungen folgen.

Datum

2012