Leitsatz der Entscheidung
Eine vom Gericht angeordnete Mittagspause ist jedenfalls dann, wenn der Sachverständige glaubhaft vorbringt, dass er üblicherweise keine Mittagspausen einlegt, sondern arbeitet, als Wartezeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG zu vergüten.
Sachverhalt / Entscheidung
Wesentlicher Streitgegenstand dieses Verfahrens (Aktenzeichen: 5 – 2 StE 7/11 – 2 – 4/11) war die Frage, ob der Gerichtssachverständige eine Vergütung in Höhe von 101,15 € (inkl. Umsatzsteuer) für eine vom Gericht angeordnete einstündige Mittagspause erhalten sollte.
Das OLG Frankfurt (Beschluss vom 4.11.2011) gewährte dem Sachverständigen auch für die gerichtlich angeordnete Mittagspause sein Stundenhonorar. Dies folge aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG. Nach dieser Regelung würden auch Wartezeiten zu der zu vergütenden erforderlichen Zeit zählen. Wartezeiten seien Zeiten, in denen der Sachverständige seiner gewöhnlichen Beschäftigung nachgegangen wäre, wenn er nicht aufgrund des Gutachtenauftrags am Gerichtstermin teilgenommen hätte. Es sei deshalb anerkannt, dass auch längere Verhandlungspausen zu entschädigen seien (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 21.9.2006, Az.: 1 Ws 553/06, JurBüro 2007, 491, 492 und KG Berlin, Beschluss vom 15.02.2011, Az.: 1 Ws 2/11, JurBüro 2011, 491, 492). Anders verhalte es sich mit üblichen Mittagspausen von einer Stunde. Insoweit werde davon ausgegangen, der Sachverständige sei während einer einstündigen Mittagspause nicht infolge des Gutachtenauftrags an seiner regelmäßigen Beschäftigung gehindert, sondern wegen der Erfüllung allgemeiner menschlicher Bedürfnisse wie Ernährung und Erholung (OLG Koblenz a. a. O., KG Berlin a. a. O.).
Der Senat folge dieser Auffassung jedoch nicht. Es könne nicht unterstellt werden, dass jeder Berufstätige regelmäßig Mittagspausen einlege, um Nahrung zu sich zu nehmen oder sich zu erholen. Es sei durchaus nicht unüblich, dass insbesondere beruflich sehr engagierte Personen – wie vorliegend der Sachverständige – auf eine Mittagspause verzichten würden, um ihren vielfältigen beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. Deshalb sei jedenfalls dann, wenn der Sachverständige glaubhaft vorbringe, dass er üblicherweise keine Mittagspausen einlege, sondern arbeite, die vom Gericht angeordnete Mittagspause eine Zeit, in der der Sachverständige lediglich aufgrund seines Gutachtenauftrags seiner regelmäßigen Beschäftigung nicht nachgehen könne, so dass sie als Wartezeit zu vergüten sei. So liege der Fall hier. Der Sachverständige habe glaubhaft dargetan, dass er generell kein Mittagessen zu sich nehmen würde, sondern auch in der Mittagszeit arbeite und ihm deshalb durch die gerichtliche Mittagspause ein Zeitverlust „oktroyiert“ worden sei. Dies sei dahin zu verstehen, dass der Sachverständige üblicherweise keine Mittagspausen einlege, sondern auch in der Mittagspause arbeite.
Darüber hinaus habe der Sachverständige gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG Anspruch auf Ersatz des Betrags der auf die Vergütung für die Mittagspause anfallenden Umsatzsteuer.
Sachverständigenpraxis
Bedeutet diese Entscheidung das Ende der Mittagspause für Gerichtssachverständige, zumindest wenn sie gerade nicht eine Verhandlung bei Gericht haben? Gerade da Pausen erwiesenermaßen langfristig die Leistungsfähigkeit und Effektivität erhöhen, hoffentlich nicht. Zudem sollen regelmäßige Pausen auch gut für die Gesundheit und das Allgemeinbefinden sein. Natürlich gibt es Menschen, die mittags keine Pause einlegen, weil es terminlich nicht passt oder dadurch möglicherweise früher Feierabend gemacht werden kann, auch wenn dies nach Auffassung der o.g. Entscheidung des OLG Koblenz jeder Lebenserfahrung widersprechen soll und sich ein Sachverständiger bei Gericht den „allgemein üblichen Gepflogenheiten“ anpassen müsse. Zudem streicht stetiger Stress manche Mittagspause aus dem Terminkalender. Wenn jedoch ein Sachverständiger tatsächlich zusammen mit allen anderen Verfahrensbeteiligten eine Pause einlegt, sollte die Vergütungsuhr aufhören zu tikken. Ansonsten wird man in der Mittagspause in Gerichtskantinen bald nur noch zwangspausierende Sachverständige speisen sehen, die „nach bestem Wissen und Gewissen“ in ihrer Rechnung versichern, normalerweise nie ein Mittagessen einzunehmen. Nur wenn Sachverständige oder auch Dolmetscher während der Mittagspause weiterhin für das Verfahren tätig sind, sollte dafür auch eine Vergütung gewährt werden.
Ein weiteres Thema, bei dem Sachverständige gelegentlich auch auf „vergütungsresistente“ Kostenbeamten treffen können, sind Reisezeiten. Denn der erforderliche Zeitaufwand im Sinne des § 8 Abs. 2 JVEG umfasst nicht nur die Zeit, die für die Vorbereitung und Erstellung des Gutachtens benötigt worden ist. Ebenfalls zu vergüten ist die Zeit, in der ein Sachverständiger seiner gewöhnlichen Beschäftigung infolge seiner Heranziehung durch das Gericht nicht nachgehen konnte, wie z. B. bei Reisezeiten. Bereits die Zeit, die dazu benötigt wird, den Ort zu erreichen, an dem die Leistung zu erbringen ist, ist vergütungspflichtig (vgl. Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.1.2007, Az.: 3 Ta 3/07). Auch wenn zahlreiche Kostenbeamte die entspre chenden Sachverständigenangaben mit ihrer Internet-Geheimwaffe Google Maps überprüfen, verbietet sich an dieser Stelle ein überstrenger Maßstab. So riskiert nämlich kaum ein Sachverständiger aufgrund der chronischen Parkplatznot vieler Gerichte zu spät zur Verhandlung zu erscheinen und Richter, Parteien und Anwälte warten zu lassen. Auch beziehen die gängigen Routenplaner weder kurze Tank- oder Ruhepausen (bei längerer Fahrtzeit) noch die Parkplatz- und Verhandlungssaalsuche in ihre Berechnungen ein. Schließlich müssten auch Verzögerungen durch Staus auf der Hin- und Rückfahrt erstattet werden. Grundsätzlich ist somit davon auszugehen, dass die Zeit für die Terminwahrnehmung bei Gericht – bildlich gesprochen – mit dem Packen der Tasche für den Termin beginnt und mit der Rückkehr an den Arbeitsplatz endet.
Alle Rechte vorbehalten Dr. Felix Lehmann, Vorsitzender Richter am Landgericht Kiel
Datum
4. Dezember 2012