LG Leipzig – Erfolgreicher Befangenheitsantrag bei unsachlicher Grundhaltung des Sachverständigen! (Beschluss vom 9.9.2009, Az.: 3 HKO 4523/06)

Leitsätze der Entscheidung

  • Muss sich eine Partei zur Begründung ihres Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen, läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im Allgemeinen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme ab.
  • Bei der Rechtfertigung des Misstrauens gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen, muss es sich um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.
  • Ausreichend ist bereits, dass vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus ein objektiver Grund gegeben ist, der in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet ist, Zweifel an der Unparteilichkeit und Objektivität des Sachverständigen zu erregen.
  • Eine Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann berechtigt sein, wenn der Sachverständige seine gutachterlichen Äußerungen in einer Weise gestaltet, dass sie als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden können.
  • Die Rechtsausführungen eines Sachverständigen sind dann ein die Besorgnis der Befangenheit begründender Umstand, wenn sie nicht notwendigerweise im Rahmen der sachverständigen Beantwortung der Beweisfragen, sondern zusätzlich hierzu erfolgen.

Sachverhalt / Entscheidungen

In einem Rechtsstreit vor der 3. Kammer für Handelssachen des Leipziger Landgerichts wurde der Gerichtssachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Grundlage der Ablehnung waren verschiedene Äußerungen des Sachverständigen in seinem Gutachten.

Zunächst hatte die Kammer keine Bedenken gegen die Rechtzeitigkeit des Ablehnungsgesuchs. Müsse sich die Partei zur Begründung ihres Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen, laufe die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im Allgemeinen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab.

Die Ablehnung des Sachverständigen wurde für begründet erklärt (Beschluss vom 9.9.2009, Az.: 3 HKO 4523/06). Für die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nach §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO komme es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich parteilich sei oder das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit habe. Ausreichend sei bereits, dass vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus ein objektiver Grund gegeben sei, der in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sei, Zweifel an der Unparteilichkeit und Objektivität des Sachverständigen zu erregen.

Die Befürchtung fehlender Unparteilichkeit könne berechtigt sein, wenn der Sach-verständige seine gutachterlichen Äußerungen in einer Weise gestalte, dass sie als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden könnten.

Nach diesen Grundsätzen erwecke das Gutachten des Sachverständigen vom Standpunkt der Klägerin aus den Anschein der Parteilichkeit.

Zunächst habe der Sachverständige in seinem Gutachten die geschäftliche Ent-scheidung der Klägerin, einen externen Dienstleister vertraglich zu verpflichten, in Frage gestellt, ohne dass eine solche Bewertung durch den Gutachtenauftrag veranlasst gewesen sei. Die Vergabe an einen externen Dienstleister war nach Auffassung des Sachverständigen wegen der einfachen Strukturierung der Aufgabenstellung wirtschaftlich nicht geboten. Zudem erfolgte die Vergabe nach seiner sachverständigen Einschätzung in erster Linie, um zusätzliche Erträge zu generieren. Aus der Diktion des Sachverständigen lasse sich entnehmen, dass er das Vorgehen der Klägerin missbillige.

Zudem habe der Sachverständige – letztlich gegen die prozessualen Interessen der Klägerin gerichtete – Rechtsansichten geäußert, die vom vorgegebenen Beweisthema weder umfasst noch zur Beantwortung des Gutachtenauftrages erforderlich gewesen seien. Die Rechtsausführungen eines Sachverständigen seien zwar nicht grundsätzlich ein die Besorgnis der Befangenheit begründender Umstand. Sie begründeten jedoch dann eine Besorgnis der Befangenheit, wenn sie nicht notwendigerweise im Rahmen der sachverständigen Beantwortung der Beweisfragen, sondern zusätzlich hierzu erfolgen würden. Der Sachverständige habe hinsichtlich eines Streitpunktes auf eine fehlende vertragliche Vereinbarung hingewiesen und hierzu die nach seiner Auffassung einschlägigen Paragraphen zitiert.

Weiter habe der Sachverständige zu einem – im Prozess umstrittenen – Thema einen für die Klägerin ungünstigen und deren Ansicht widersprechenden Standpunkt eingenommen. Dies sei aus der Sicht der Klägerin geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen hervorzurufen, zumal eine Stellungnahme des Sach-verständigen zu diesem Thema vom Gutachtenauftrag nicht umfasst gewesen sei. Auch habe der Sachverständige Bewertungen zu Lasten der Klägerin vorgenommen, die über die Thematik des Gutachtenauftrages hinausgehen und mit dieser in keinem zwingenden Zusammenhang stehen würden. Sie seien deshalb geeignet, bei der Klägerin die Besorgnis zu erwecken, der Sachverständige habe sein Gutachten nicht unparteiisch und unvoreingenommen erstattet.

Die genannten Passagen des Gutachtens seien auch in ihrer Gesamtheit geeignet, vom Standpunkt der Klägerin aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung zu wecken, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Denn obwohl sie sicherlich dem Bemühen des Sachverständigen geschuldet seien, den gesamten Streitstoff einer umfänglichen Sachverständigenprüfung zu unterziehen, Streitpunkte herauszuarbeiten und hierauf jeweils die aus seiner sachverständigen Sicht gebotenen Antworten zu geben, um so eine Beilegung der Streitigkeiten zu fördern, könnten sie insbesondere aufgrund ihrer Häufung und der jeweils gewählten Formulierungen durchaus als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber der Klägerin gedeutet werden. Ob tatsächlich eine Befangenheit des Sachverständigen gegeben sei, sei unerheblich, sofern nur – wie bereits dargestellt – ein entsprechender Anschein erweckt werde.

Sachverständigenpraxis

Gerichtssachverständige dürfen nur die Fragen beantworten, die in dem in der Gerichtsakte enthaltenen Beweisbeschluss ausformuliert sind. Bei Zweifeln bzw. Unklarheiten hinsichtlich des Inhalts oder des Umfangs des Beweisbeschlusses ist der Gerichtssachverständige gem. § 407a Abs. 3 S. 1 ZPO verpflichtet, unverzüglich mit dem Gericht Rücksprache zu halten. Hat das Gericht also Fragen gestellt, die zum Teil unverständlich sind oder aus Sicht des Sachverständigen wenig zielführend erscheinen, sollte der Sachverständige unverzüglich Kontakt mit dem Gericht aufnehmen und versuchen, möglicherweise bestehende Missverständnisse auszuräumen. Bei gegebener Ortsnähe kann dies auch z. B. durch ein kurzes Gespräch vor Ort im Gericht erfolgen, zu dem die Gerichtsakte mitgebracht werden sollte. Ansonsten ist der zuständige Richter aufgrund der Vielzahl der dort zu bearbeitenden Fälle nämlich möglicherweise nicht in der Lage, sich zu den Nachfragen des Sachverständigen ohne einen Blick in die Gerichtsakte äußern zu können.

Äußerungen, die den Anschein einer Parteinahme erwecken können, muss der Sachverständige – gerade in seinem Gutachten  – unbedingt vermeiden. Urteile sollten vom Gericht so geschrieben werden, dass gerade die unterliegende Partei sie versteht. Dies gilt auch für Sachverständigengutachten. Bei der Formulierung des Gutachtens sollte der Sachverständige stets bedenken, dass das Gutachten vor allem von der Partei genau gelesen werden wird, für die es zu unvorteilhaften Ergebnissen kommt. Schließlich sind Rechtsansichten in einem Sachverständigengutachten, soweit es nicht um fremdes Rechts i.S.d. § 293 ZPO geht, fehl am Platze. Grundsätzlich muss nämlich nicht der Sachverständige, sondern der zuständige Richter das Recht kennen (bzw. selbstständig feststellen), auslegen und anwenden. Gerade bei erfahrenen Sachverständigen mag die Versuchung besonders groß sein, als unlauter erkanntes Parteiverhalten zu rügen und unentschlossen wirkenden Richtern den Weg zur schnellen, richtigen Entscheidung eines Rechtsstreits zu weisen. Eine solche Kompetenzüberschreitung wird jedoch von ebenfalls erfahrenen Rechtsanwälten umgehend erkannt. Postwendend wird der Sachverständige dann mit einem Befangenheitsantrag wieder in seine Grenzen gewiesen.

Datum

2012