LG Koblenz: Haftung des Sachverständigen nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit! (Urteil vom 10.12.2009, Az.: 1 O 356/09)

Leitsätze der Entscheidung

  • Der Kläger muss in seinen Schriftsätzen Tatsachen schildern, aus denen sich ein Verschulden ergibt, dass der Sachverständige vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet hat.
  • Allein aus der Tatsache, dass der beklagte Gerichtssachverständige mit seinen Schlussfolgerungen zum Teil zu einem anderen Ergebnis als der von einer Partei eingeschaltete Privatgutachter gelangt, ergibt sich der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens nicht.
  • Gemäß §§ 839a Abs. 2 i.V.m. 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht des Sachverständigen dann nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

Sachverhalt / Entscheidungen

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten wegen eines in einem Gerichtsverfahren von ihm erstatteten, angeblich unrichtigen Gutachtens Schadenersatz in Höhe von insgesamt 6.187,12 € (Hauptforderung plus Zinsen, Anwalts- und Gerichtskosten für zwei Instanzen). Dabei hatte der beklagte Sachverständige zunächst in einem schriftlichen Gutachten in einem selbständigen Beweisverfahren aufgrund eines 18/100 Millimeter und damit zu großen Überstandes der Vorkammer des dritten Zylinders im Zylinderkopf einen fertigungsbedingten Mangel eines von der Klägerin verkauften Motors festgestellt. In dem nachfolgenden Rechtsstreit verteidigte sich die jetzige Klägerin mit dem Argument, dass es aufgrund eines EDV-Programms und der vollautomatisch arbeitenden Maschine nicht möglich sei, dass die Vorkammer eines einzelnen Zylinders 18/100 Millimeter überstehe, während der Überstand der übrigen Zylinder lediglich 5/100 Millimeter betrage. Der Beklagte erstattete darauf ein mündliches Sachverständigengutachten und blieb dennoch bei seinem Ergebnis. Allerdings wurde die Klage gegen die spätere Klägerin aus Rechtsgründen abgewiesen. In dem daraufhin von dem Käufer durchgeführten Berufungsverfahren vor dem Landgericht Koblenz wurde der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung erneut angehört und aufgrund dessen, nach Auffassung der Berufungskammer überzeugenden Ausführungen, die denen im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht weitestgehend entsprachen, das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Klägerin verurteilt, an den Käufer 905,17 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Klägerin ist der Auffassung, das Berufungsurteil  beruhe auf einem fehlerhaften Gutachten des Beklagten. Dieser habe seine Gutachterpflichten zunächst dadurch grob fahrlässig verletzt, dass er die Feststellungen nicht selbst, sondern von einem seiner Mitarbeiter habe treffen lassen. Dies sei aber unzulässig oder habe jedenfalls offengelegt werden müssen. Außerdem könnten durch den Einsatz ihrer vollautomatischen Fräsmaschine entgegen der Angaben des Beklagten in seinen mündlich erstatteten Gutachten keine unterschiedlichen Überstände der vier Wirbelkammern entstehen, was zum Grundwissen eines jeden Fachmannes für Werkzeugmaschinen gehöre. Es sei daher auszuschließen, dass der bereits im schriftlichen Gutachten festgestellte übermäßige Überstand der Vorkammer des dritten Zylinders von 18/100 Millimeter bereits bei Gefahrenübergang vorgelegen habe.

Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des LG Koblenz vom 10.12.2009, Az. 1 O 356/09).

Der Klägerin stehe kein Anspruch gemäß § 839a BGB gegen den Beklagten zu.

Es liege bereits keine gegen § 407a Abs. 2 ZPO verstoßende Pflichtverletzung vor. Bei den von dem Beklagten beschriebenen und von dem Mitarbeiter ausgeführten Arbeiten, wie das Untersuchen des Zylinderkopfes einschließlich des Messens des Überstandes der Wirbelkammern, handele es sich aber um bloße Hilfsdienste, die an der Eigenverantwortlichkeit des Beklagten für sein Gutachten keine Zweifel aufkommen lassen und ihn nicht i.S.d. § 407a Abs. 2 ZPO verpflichten, seinen Mitarbeiter namhaft zu machen und den Umfang seiner Tätigkeit anzugeben.

Zudem führe die Vorschrift des § 839a Abs. 2 i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB zum völligen Haftungsausschluss. Im vorliegenden Fall sei der Klägerin aber spätestens seit der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung bekannt gewesen, dass die Arbeiten, wie das Messen des Überstandes, das Ausbauen und Abdrehen bzw. Reinigen des Sitzes der Wirbelkammern und schließlich das Einbauen der Wirbelkammern, nicht durch den Beklagten persönlich, sondern durch dessen Mitarbeiter ausgeführt worden seien. Es habe dem Kläger daraufhin oblegen, sich etwa durch Gegenvorstellungen oder formelle Beweisanträge auf Einholung eines Obergutachtens gegen die Verwertung des in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom oder in dem Verhandlungstermin vor dem Berufungsgericht von dem Beklagten mündlich erstatteten Sachverständigengutachtens in einem Urteil zur Wehr zu setzen. Soweit sich die Klägerin auf einen Verstoß des Beklagten gegen die ihm aufgrund § 407a Abs. 2 ZPO obliegenden Pflichten erstmals im vorliegenden Haftungsprozess berufe, müsse sie sich insoweit gemäß § 839a Abs. 2 i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB ein mitwirkendes Verschulden, welches ohne Abwägung gemäß § 254 BGB zum völligen Haftungsausschluss des Beklagten führe, entgegenhalten lassen.

Schließlich habe die Klägerin ein hinreichendes Verschulden des Beklagten nicht substantiiert dargetan. Gemäß § 839a Abs. 1 BGB setze eine Haftung für ein unrichtiges Gutachten nämlich voraus, dass der Beklagte vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig gehandelt habe. Vorsätzliches Handeln des Beklagten sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Aber auch grobe Fahrlässigkeit lasse sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen. Grobe Fahrlässigkeit setze zunächst in objektiver Hinsicht voraus, dass der Beklagte die bei der Erstellung seines Gutachtens erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletze, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und dasjenige nicht beachtet habe, was im vorliegenden Fall jedem habe einleuchten müssen. Hinzukommen müssten außerdem subjektive Momente, die eine gesteigerte Vorwerfbarkeit begründen

Wenn das Gesetz aber für eine Haftung eines Gutachters derart verschärfte Anforderungen an den subjektiven Tatbestand stelle, müsse der Kläger entsprechende Tatsachen vortragen, aus denen sich diese Voraussetzungen ergeben. Selbst wenn man unterstellen würde, dass das Gutachten unrichtig sei, führt dies zu keiner anderen Beurteilung der Verschuldensvoraussetzungen des § 839a Abs. 1 BGB. Allein aus der Tatsache, dass der Beklagte mit seinen Ausführungen teilweise zu einem anderen Ergebnis als der von der Klägerin nunmehr eingeschaltete Privatgutachter  gelangt sei, ergebe sich der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens nicht. Unterschiedliche fachliche Auffassungen zu einzelnen Punkten unter Sachverständigen seien in der gerichtlichen Praxis nämlich durchaus häufig und nicht ungewöhnlich; sie geben keinen Grund zu der Annahme, der Sachverständige habe objektiv grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet habe.

Sachverständigenpraxis

Eine weitere Entscheidung, die zeigt, dass ein Anspruch nach § 839a BGB gegen Gerichtssachverständige nur bei schweren Fehlern durchsetzbar ist. Die wesentlichen Argumente dieser Entscheidung entstammen dabei einer älteren Entscheidung des OLG Rostock (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 21.3.2006, Az. 8 U 113/05) und einer etwas jüngeren des BGH (BGH, Urteil vom 5.7.2007, Az.: III ZR 240/06). Vor allem versäumen es Parteien und ihre Anwälte trotz des deutlichen Wortlautes der §§ 839a Abs. 2 i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB noch immer, bereits im Ursprungsprozess das ihrer Auffassung nach falsche Gutachten mit allen rechtlich zulässigen Mitteln zu „bekämpfen“.

Zur Wiederholung nachfolgend ein kurzer Überblick über die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 839a BGB:

  • Unrichtigkeit des gerichtlichen Sachverständigengutachtens
  • Verschulden (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit)
  • Ergehen einer unrichtigen (Gerichts-) Entscheidung
  • Kausalität des Gutachten für die Entscheidung
  • Kausalität der Entscheidung für einen Schaden des Klägers
  • Versuch der Schadensabwendung durch Rechtsmittel, § 839a Abs. 2 BGB
  • Kein Mitverschulden des Klägers, § 254 BGB
  • Anspruch nicht verjährt

Es bleibt abzuwarten, ob es im zehnten Jahr seit Inkrafttreten des § 839a BGB am 01.08.2002 auch einmal zu einer Verurteilung eines Gerichtssachverständigen kommen wird.

Datum

2013