Leitsätze der Entscheidung
- Ein Sachverständiger ist gemäß § 407 ZPO zur Erstattung eines Gerichtsgutachtens verpflichtet, wenn er zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt ist.
- Dies gilt nicht, wenn dem Sachverständigen ein Gutachtenverweigerungsrecht gem. § 408 ZPO zusteht.
- Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige begeht einen groben Pflichtverstoß, wenn er die Gutachtenerstattung von einer über den Sätzen des JVEG liegenden Vergütung abhängig macht.
- Ein solcher Pflichtverstoß rechtfertigt die entschädigungslose Entziehung des Gutachtenauftrages.
- Die Vergütung von Vorbereitungsarbeiten kommt nur dann in Betracht, wenn es ohne Verschulden des Sachverständigen nicht zur Fertigstellung des Gutachtens kommt.
Sachverhalt / Entscheidung
In einem erstinstanzlichen Bauprozess vor dem Landgericht Kiel (Az.: 11 O 110/07) wurde ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt. Nach Erhalt der Akten teilte der Sachverständige in einem Schreiben seine von den Vorschriften des JVEG abweichende Vergütungsvorstellung mit und bat um schriftliche Genehmigung der Abrechnungssätze. Demgegenüber äußerte das Gericht Bedenken und wies darauf hin, dass eine höhere als nach dem JVEG vorgesehene Vergütung der Zustimmung der Parteien gem. § 13 JVEG bedürfe. Daraufhin sandte der Sachverständige die Akte an das Gericht zurück und schrieb: „Ohne Klärung der Abrechnung zur Fixierung der tatsächlichen Vergütung im Vorwege kann der Sachverständige leider nicht das Gutachten fortführen und wird deshalb in getrennter Post die Prozessakte zurücksenden mit der Kostennote für die geleistete Arbeit laut Schreiben vom …„. Kurze Zeit später erhielt das Gericht nicht nur die Akte, sondern auch eine Rechnung über 599,76 EUR.
Das Gericht reagierte umgehend auf dieses Verhalten und entzog dem Sachverständigen entschädigungslos den Gutachtenauftrag. Ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger sei gem. § 407 ZPO zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet, wenn ihm kein Gutachtenverweigerungsrecht nach § 408 ZPO zustehe. Dadurch, dass der Sachverständige die Erstellung des Gutachtens davon abhängig gemacht habe, dass ihm die seinen Vorstellungen entsprechende Vergütung verbindlich zugesagt werde, obwohl er nach dem JVEG keinen Anspruch auf eine Vergütung in dieser Höhe habe, liege ein grober, mit der öffentlichen Bestellung unvereinbarer Pflichtverstoß vor. Die Schwere dieses Verstoßes müsse die entschädigungslose Entziehung des Gutachtenauftrages als angemessene Reaktion auf das Verhalten des Sachverständigen nach sich ziehen: „…es ist nicht hinnehmbar, dass ein öffentlich bestellter Sachverständiger Meinungsverschiedenheiten über die Höhe seiner Vergütung zum Anlass nimmt, die Erstellung des Gutachtens (zunächst) zu verweigern, da auch damit das Recht der Parteien auf zügige Durchführung des Verfahrens verletzt werden würde. Die Interessen des Sachverständigen sind durch die Möglichkeit, seine Vergütung ggf. im Beschwerdeverfahren gerichtlich klären zu lassen, ausreichend gewahrt„. Ergänzend wies das Gericht darauf hin, dass eine Vergütung für angebliche Vorbereitungsarbeiten nur dann in Betracht komme, wenn es ohne Verschulden des Sachverständigen nicht zur Fertigstellung des Gutachtens komme.
Praxishinweis
Gem. § 13 JVEG kann ein Sachverständiger eine höhere als die im § 9 JVEG vorgesehene Vergütung erhalten. Dazu müssen jedoch entweder beide Parteien (§ 13 Abs. 1 JVEG) oder eine Partei und das Gericht (§ 13 Abs. 2 JVEG) ihr Einverständnis erklären. Gem. § 13 Abs. 2, Satz 2 soll das Gericht seine Zustimmung nur dann erteilen, wenn das 1,5-fache des nach § 9 oder § 11 JVEG zulässigen Honorars nicht überschritten wird. Darüber hinaus muss auch ein ausreichender Betrag für das gegenüber der gesetzlichen Regelung zu erwartende zusätzliche Honorar an die Staatskasse gezahlt werden. Dabei ist zu beachten, dass der Sachverständige nach Erhöhung des Stundensatzes den angeforderten Vorschuss nicht mehr überschreiten darf, während ansonsten im Rahmen des § 407a Abs. 3 S. 2 ZPO eine Überschreitung von bis zu 20 % akzeptiert wird. Schließlich kommt gem. § 13 Abs. 6 JVEG auch dann ein höheres Honorar in Betracht, wenn eine Partei eine sogenannte „Mehrkostenübernahmeerklärung„ abgibt und ein entsprechender Vorschuss gezahlt wird. Trotz der Regelung des § 13 JVEG haben Sachverständige keinen Anspruch auf eine höhere Vergütung. Wenn die erforderlichen Erklärungen oder ein ausreichender Kostenvorschuss fehlen, bleibt der Sachverständige zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet. Er erhält dann die gem. § 8, 9 JVEG zu berechnende Vergütung. Das als Ausnahme zu wertende Verhalten des Sachverständigen im konkreten Fall zeigt, dass ein offener Konflikt über die zu zahlende Vergütung die Bereitschaft des Gerichts zur Zustimmung gem. § 13 JVEG sowie zu weiteren Auftragserteilungen nicht erhöht. Leider gibt es auch Gerichte, die einen Antrag nach § 13 JVEG – unter Hinweis auf den Arbeitsaufwand – nicht an die Parteien weiterleiten bzw. einen anderen Gutachter einsetzen. Im ersten Fall kann sich der Sachverständige mit der Bitte um Zustimmung zu seinem Vergütungsverlangen unmittelbar an die Parteien wenden. Die Parteien müssen ihre Zustimmung dann jedoch ausdrücklich gegenüber dem Gericht erklären. Die Auftragsentziehung dürfte der zunächst bestellte Sachverständige aber nicht abwenden können. Die Zivilprozessordnung (§§ 360 S. 2, 404 Abs. 1 S. 3 ZPO) ermöglicht es dem Gericht, einen Sachverständigen nach Anhörung der Parteien jederzeit auszuwechseln. Trotz solcher unerfreulicher Reaktionen ist jedoch bei Gutachtenaufträgen, in denen der Sachverständige sein Vergütungsverlangen nach § 13 JVEG nachvollziehbar begründet (Qualifikation, Preisentwicklung, Vergleichbarkeit, etc.), eine tendenziell zunehmende Bereitschaft der Gerichte zur Zustimmung nach § 13 JVEG festzustellen.
Datum
2012