Leitsätze der Entscheidungen
- Eine „kurze gutachterliche Stellungnahme“ soll nur Teile eines vollständigen Gutachtens beinhalten.
- Bei einem begrenzten Gutachtenauftrag und einem geringfügigen Anlassdelikt beschränkt sich der gutachterliche Prüfungs- und Dokumentationsaufwand auf ein möglichst geringes Maß.
- Fallen für die erbetene Stellungnahme Kosten an, die erkennbar außer Verhältnis zu dem zu begutachtenden Schaden stehen, so muss der Sachverständige auch in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hierauf hinweisen, § 407a Abs. 3 Satz 2 ZPO
Sachverhalt / Entscheidung
In einem Ermittlungsverfahren wurde ein Sachverständiger von der Staatsanwaltschaft Hamburg beauftragt eine „kurze gutachterliche Stellungnahme“ zu einer Schadenverursachung (Schadenshöhe ca. 700,- EUR) abzugeben. Zwei Monate später erstattete der Sachverständige sein schriftliches Gutachten mit einem Gesamtumfang von 42 Seiten, das 9 Seiten mit schriftlichen Ausführungen sowie 29 Seiten mit Fotos und eine Skizze enthielt. Für seine Tätigkeit stellte er 1.260,73 EUR in Rechnung. Der Kostenprüfungsbeamte der Staatsanwaltschaft hielt den Kostenansatz für überzogen und stellte daher den Antrag auf gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 JVEG.
Das Landgericht Hamburg (Beschluss vom 04.11.2008, Az.: 603-16/08) setzte die Sachverständigenentschädigung auf 475,11 EUR fest. Bei dem von ihm erstatteten Gutachten sei der Sachverständige über den von der Staatsanwaltschaft erteilten Auftrag hinausgegangen. Der Gutachtenauftrag habe nur eine „kurze gutachterliche Stellungnahme“ beinhaltet. Zwar sei die Bedeutung dieses Begriffs nicht gesetzlich normiert. In jahrzehntelanger Praxis habe sich jedoch eine Definition herausgebildet: Eine „kurze gutachterliche Stellungnahme“ enthalte nur Teile eines vollständigen Gutachtens. Ihr Inhalt beschränke sich regelmäßig nur auf das Ergebnis, eventuell ergänzt durch die Wiedergabe einzelner Befundtatsachen. Die das Gutachten kennzeichnende Gesamtdarstellung im Sinne einer überprüfbaren Darlegung der Tatsachen, Erfahrungssätze und Ergebnisableitung könne demgegenüber fehlen. Es sei zwar zutreffend, dass auch eine kurze Stellungnahme richtig sein müsse. Allerdings hätte sich der Sachverständige vor Überschreiten des ihm erteilten Auftrags durch Rücksprache mit dem Auftraggeber vergewissern müssen, ob eine derartige Mehrarbeit gewünscht und der Auftrag erweitert werde. Gerade weil die Gutachterkosten im vorliegenden Fall völlig außer Verhältnis zu dem zu untersuchenden Schadensereignis stehen würden, habe sich eine derartige Rücksprache geradezu aufgedrängt. Wegen des pflichtwidrigen Unterlassens der gesetzlich vorgeschriebenen Mitteilung könne der Vergütungsanspruch des Sachverständigen teilweise oder sogar völlig entfallen. Der Anspruch des Sachverständigen gegen die Staatskasse bestehe daher nur insoweit als die geltend gemachten Kosten und Auslagen auch bei Erstattung des in Auftrag gegebenen Kurzgutachtens angefallen wären. Zumindest die Ausarbeitung der Skizzen und Fotografien erachtete die Kammer als vom Auftrag nicht umfasst.
Gegen diese Entscheidung legte der Sachverständige Beschwerde beim OLG Hamburg ein. Zur Begründung führte er aus, dass eine Auftragsüberschreitung nicht vorliege. Die von dem Gericht gezogene Parallele zur ZPO sei nicht zutreffend. Auch in OWi-Sachen stünde der Streitwert in der Regel in keinem Verhältnis zu den Gutachterkosten. Des Weiteren sei davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft bei einer entsprechenden Nachfrage dem weiteren Aufwand zur Aufklärung ohnehin zugestimmt hätte.
Das OLG Hamburg verwarf die Beschwerde (Beschluss vom 02.02.2009, Az.: 3 Ws 9/09). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Wortlaut des Gutachtenauftrags sowie die Geringfügigkeit des Anlassdelikts habe den gutachterlichen Prüfungs- und Dokumentationsaufwand hinreichend deutlich auf ein möglichst geringes Maß begrenzt. Soweit nach dem Beschwerdevorbringen das vorgelegte Gutachtenergebnis aufgrund schwieriger Sachlage nur mit dem tatsächlich erfolgten höheren Aufwand habe erreicht werden können, sei der Beschwerdeführer nach dem Rechtsgedanken des § 407a Abs. 3 ZPO verpflichtet gewesen die Staatsanwaltschaft vor Gutachtenerstellung auf diesen Umstand hinzuweisen. Da der Beschwerdeführer dies unterlassen habe, trage er das Kostenrisiko für die erbrachten Mehrleistungen. Bei rechtzeitiger Information hätte die Staatsanwaltschaft zudem einen erweiterten Gutachtenauftrag kaum erteilt.
Sachverständigenpraxis
In der Gerichtspraxis werden Gutachter immer häufiger aus Kostengründen mit sogenannten Kurzgutachten beauftragt. Daher sind die voran stehenden Entscheidungen von großer praktischer Bedeutung. Die Beauftragung mit Kurzgutachten hat für den Sachverständigen keinerlei Vorteile. Denn genau wie auch bei normalen Gutachten erwartet der Auftraggeber bei „kurzen gutachterlichen Stellungnahmen“, dass der Sachverständige ein präzises und richtiges Ergebnis vorlegt. Folglich muss er in der Regel die gleiche Arbeit für ein geringeres Honorar leisten. In der Sachverständigenliteratur wird daher empfohlen unter Verweis auf die öffentlich rechtliche Verpflichtung des Sachverständigen zur gewissenhaften Tätigkeit die Übernahme von Kurzgutachten bzw. kurze gutachterliche Stellungnahmen abzulehnen. Es ist allerdings auch verständlich, dass bei geringen Schäden eine Aufklärung nach dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz mit möglichst geringen Kosten herbeigeführt werden soll. Daher beschreitet der Sachverständige den sichersten Weg wenn er bereits bei der Auftragsübernahme darauf hinweist, dass trotz einer Beschränkung auf das Wesentliche Kosten entstehen, die außer Verhältnis zum Begutachtungsgegenstand stehen. Ein solcher Hinweis genügt dem Rechtsgedanken des § 407a Abs. 3 Satz 2 ZPO, so dass bei einer Fortsetzung der Begutachtung dann eine Honorarkürzung nicht mehr in Betracht kommt. Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass die beiden Entscheidungen dennoch nicht völlig überzeugen. Zum einen erscheint die Anwendung des § 407a Abs. 3 S. 2 ZPO in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewagt. Im Zivilprozess bezweckt diese Vorschrift den Parteien Anlass zu der Überlegung zu geben, ob ihnen die Sache „das Wert ist“. Aufgrund des Aufklärungsgrundsatzes im Strafprozess dürfte dieser Normzweck nicht übertragbar sein. Auch die Begründung des OLG Hamburg bei einem Hinweis auf die höheren Kosten wäre weitergehender Auftrag nicht erteilt worden, entspricht kaum der Praxis. Denn wenn es auf das Ergebnis des Gutachtens von vornherein nicht ankam, hätte ein solcher Auftrag überhaupt nicht erteilt werden dürfen. Es ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass ein einmal erteilter Auftrag im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nur aufgrund der zu erwartenden höheren Kosten wieder zurückgezogen würde.
Datum
2012