LG Essen: Zulässigkeit der nachträglichen Bestimmung eines Gutachters! (Beschluss vom 28.01.2009, Az.: 15 T 8/09)

Leitsätze der Entscheidung

  • Es ist zulässig, dass das Gericht auch nach Eingang des Gutachtens eine von ihm nicht als Gutachter beauftragte Person zum Sachverständigen bestellt.
  • Dies setzt jedoch voraus, dass das Gericht seinen Beweisbeschluss nachträglich ändert und den Erstatter des Gutachtens zum Sachverständigen bestimmt. Ein Mitarbeiter einer Sachverständigenorganisation, der noch nicht zum Gutachter bestellt worden ist, kann nicht gemäß § 406 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

Sachverhalt / Entscheidung

In einem selbstständigen Beweisverfahren beim Amtsgericht wurde in einem Beweisbeschluss ein noch zu bestimmender Mitarbeiter einer Sachverständigenorganisation beauftragt. Nach Vorlage des Gutachtens wurde der Erstatter des Gutachtens von der Antragstellerin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das zuständige Gericht wies das Ablehnungsgesuch zurück.

Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin hatte beim Landgericht Essen keinen Erfolg (Beschluss vom 28.01.2009, Az.: 15 T 8/09). Zur Begründung führte das Gericht aus, eine Ablehnung des Mitarbeiters der Sachverständigenorganisation finde nicht statt, da er nicht zum Sachverständigen bestimmt worden sei. Die Ernennung eines Sachverständigen erfolge durch das Gericht gemäß § 404 Abs.1 Satz 1 ZPO. Zwar könne zunächst ein Vorschlag der beauftragten Sachverständigenorganisation abgewartet werden und erst nach Eingang eines solchen Vorschlags der Sachverständige bestimmt werden. Im vorliegenden Fall sei eine solche Bestimmung jedoch unterblieben, denn das Gericht habe sich bis zum Eingang des Gutachtens jeder Meinungsäußerung dazu enthalten, ob es die Erstattung des Gutachtens durch einen Mitarbeiter der beauftragten Sachverständigenorganisation billige. Es sei zwar generell zulässig, dass das Gericht auch nach Eingang des Gutachtens einer von ihm nicht als Gutachter beauftragten Person seinen Beweisbeschluss nachträglich ändere. Dann müsse jedoch der Erstatter des Gutachtens zum Sachverständigen bestimmt werden. Es sei jedoch erforderlich, an die Eindeutigkeit der Gutachterbestellung zum Schutz der Parteien relativ hohe Anforderungen zu stellen. Denn einerseits sei es dem Gericht ein Leichtes durch einen Beschluss hinreichende Klarheit zu schaffen. Andererseits bestünde aber auf Seiten der Parteien ein erhebliches Interesse daran zu wissen, ob der Verfasser des Gutachtens auch zum Sachverständigen bestellt worden sei. Nur dann, wenn dies nämlich erfolgt ist, sei das Gutachten auch verwertbar. Da im vorliegenden Fall eine Bestellung des Mitarbeiters der Sachverständigenorganisation zum Gutachter jedoch noch nicht erfolgt sei, käme nur eine Stellungnahme der Antragstellerin gegen dessen Auswahl als Gutachter, nicht aber seine Ablehnung gemäß § 406 ZPO in Betracht.

Sachverständigenpraxis

Bereits im Beweisbeschluss sollte nach vorheriger Auswahl und Beteiligung der Parteien am Auswahlverfahren im Regelfall die Entscheidung über die Ernennung des Sachverständigen erfolgen. Dennoch kann der Sachverständige gemäß § 404 Abs. 1 Satz 3, 360 ZPO später jederzeit ausgewechselt werden. Dies kommt in der Praxis häufig dann vor, wenn das Gutachten durch einen anderen als den ernannten Sachverständigen erstellt worden ist. Bereits vorher kann eine Auswechselung dann in Betracht kommen, wenn der ernannte Sachverständige zur Erstattung des Gutachtens nicht in der Lage ist, z. B. weil die Beweisfragen nicht in sein Fachgebiet passen oder er aufgrund von Arbeitsüberlastung das Gutachten nicht rechtzeitig erstatten kann. Vor einer Auswechslung des Sachverständigen muss den Parteien jedoch immer rechtliches Gehör gewährt werden. In der leider recht häufig zu beobachtenden gerichtlichen Praxis, private Organisationen oder Institute mit Gutachten zu beauftragen und ihnen die Auswahl des Sachverständigen zu überlassen, liegt ein Verstoß gegen § 404 Abs.1 ZPO. Es ist nämlich erforderlich, dass der namentlich bezeichnete Mitarbeiter einer Sachverständigenorganisation vom Gericht ausdrücklich zum Gutachter bestellt wird. Wird dies unterlassen, so kann dies leider zu Verwirrung bei allen Prozessbeteiligten führen. Es ist im vorliegenden Fall nur schwer nachvollziehbar, warum das Gericht nicht spätestens nach Vorliegen des Befangenheitsantrags zur Beschleunigung des Prozesses über eine Ernennung des Gutachters entschieden hat. Wenn eine solche Ernennung jetzt erst nach Abschluss des Ablehnungsverfahrens erfolgt, so ist nur unschwer vorherzusagen, dass erneut eine Ablehnung des nunmehr bestellten Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgen wird. Sollte das Ablehnungsgesuch vom zuständigen Amtsgericht erneut zurückgewiesen werden, wird der Fall mit einer mehrmonatigen Verzögerung erneut beim Landgericht landen. Es ist fraglich, was man als Sachverständiger zur Vermeidung einer solchen Situation beitragen kann. Zumindest sollte in der Eingangsbestätigung mitgeteilt werden, wer aus einem Sachverständigenbüro das Gutachten erstatten wird. Meines Erachtens sollte zugleich das Gericht gebeten werden, die Benennung des Sachverständigen im Beweisbeschluss auf diesen Sachverständigen zu konkretisierten. Der Bundesgerichtshof hat vor einigen Jahren in einem vergleichbaren Fall diese Problematik pragmatisch gelöst (vgl. BGH Urteil vom 15.07.2003, Az.: VI ZR 361/02). In diesem Fall hatte das Amtsgericht in seinem Beweisbeschluss lediglich das Büro des Sachverständigen beauftragt. Dazu meinte der BGH:

„Ob eine Ernennung des Sachverständigen in dieser allgemeine Form nach § 404 ZPO zulässig ist, kann im vorliegenden Fall letztlich dahinstehen. Denn der Inhaber des Sachverständigenbüros hat nach der entsprechenden Beauftragung dem Gericht den Mitarbeiter seines Büros benannt, welcher das Gutachten erstellen und einer eventuellen Gerichtsverhandlung beiwohnen werde. Nachdem weder seitens des Gerichts noch seitens der Parteien, denen dies zur Kenntnis gebracht wurde, hiergegen Einwände erhoben worden sind, war damit die Person des Sachverständigen zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens hinreichend bestimmt.“

Ggf. könnte ein Sachverständigenbüro auch unter Anführung dieses Zitats und Mitteilung des zuständigen Sachverständigen dem Gericht schreiben, es gehe davon aus, dass der konkrete Sachverständige mit der Erstattung des Gutachtens beauftragt werde, wenn nicht binnen einer bestimmten Zeit hiergegen Einwände vorgebracht würden.

Datum

2012