Leitsätze der Entscheidung
- Es ist anerkannt, dass auch der irrtümlich geladene Sachverständige „herangezogen“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 JVEG ist, wenn der Irrtum für ihn nicht zu erkennen war.
- Durch eine versehentlich erfolgte Ladung als Sachverständiger und durch die Übersendung der Akte ist ein Vertrauenstatbestand für den Sachverständigen entstanden, der zu einer Heranziehung und Vergütung des Sachverständigen nach dem JVEG führt.
- Ob ein Sachverständiger nach einer Vernehmung als Sachverständiger oder nur als sachverständiger Zeuge zu vergüten ist, richtet sich nach dem sachlichen Gehalt der Vernehmung.
Sachverhalt / Entscheidung
Ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger erstattete im Auftrag des Rechtsanwalts eines Prozessbeteiligten zunächst im Dezember 2010 ein Privatgutachten. In einer ergänzenden Stellungnahme aus dem März 2011 nahm der Sachverständige noch zu einem Schreiben des zuständigen Landeskreises Stellung. Nach einiger Zeit wurde der Sachverständige vom AG Bückeburg zu einem Termin im Januar 2012 geladen. Ausweislich der Ladung wurde er ausdrücklich als Sachverständiger zu dem Termin geladen. Daraufhin beantragte der Sachverständige beim Amtsgericht schriftlich Akteneinsicht zur Terminvorbereitung, woraufhin ihm die Akte übersandt wurde. Nach Fertigung von Aktenauszügen reichte der Sachverständige die Akten zurück.
Im Verhandlungstermin wurde dem Sachverständigen dann gleich zu Beginn mitgeteilt, dass er nur als sachverständiger Zeuge vernommen und dementsprechend geringer vergütet werden sollte. Im Termin erfolgte nunmehr eine Parteianhörung und die Vernehmung eines Zeugen. Danach fragte der Richter den Sachverständigen, ob das Ergebnis seines Gutachtens weiterhin Bestand habe. Abschließend verkündete das Gericht seine Entscheidung und überreichte dem Sachverständigen einen Anweisungsbogen für Zeugen. Der Sachverständige legte seiner Rechnung jedoch den Stundensatz für Sachverständige in Höhe von 75,- € statt der ihm zugestandenen 17,- € zugrunde und kam zu einem Endbetrag von 1.067,91 €. Die Rechnung des Sachverständigen vom 27. Januar 2012 wurde dann durch die Anordnung des AG Bückeburg vom 9. Februar 2012 auf 273,50 € gekürzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Ladung als Sachverständiger sei fehlerhaft gewesen. In Ermangelung eines behördlichen Auftrags sei der Sachverständige nicht als Sachverständiger, sondern nur als sachverständiger Zeuge gehört worden. Daher stünde ihm auch nur eine Entschädigung als Zeuge zu. Gegen diese Entscheidung legte der Sachverständige noch am gleichen Tag Beschwerde ein. Er verwies in der Beschwerdebegründung darauf, dass er ausdrücklich als Sachverständiger geladen worden sei. Zudem sei ihm die Akte zur Terminvorbereitung zur Verfügung gestellt worden, was bei einer Ladung als Zeuge nicht möglich gewesen wäre. Zudem hätte er als Zeuge keine Aussage machen können, da er bei dem streitgegenständlichen Vorfall nicht persönlich anwesend gewesen sei.
Die zuständige Kammer des LG Bückeburg verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 5. März 2012 als unbegründet. Sachverständiger sei, wer über Wahrnehmungen aussage, die er im Auftrag des Gerichts, der Staatsanwaltschaft oder Polizei aufgrund seiner Sachkunde gemacht habe. Wer im Auftrag anderer Prozessbeteiligter im Hinblick auf ein schon eingeleitetes Verfahren Feststellungen treffe, werde nicht als Sachverständiger tätig. Auch technische Sachverständige, die ihre Wahrnehmungen ohne behördlichen Auftrag gemacht haben, seien nur sachverständige Zeugen, gleichgültig, ob sie Berufssachverständige seien. Zudem könne der Sachverständige, nachdem er zuvor schon als Privatgutachter tätig gewesen sei, nicht mehr vom Amtsgericht als Gerichtssachverständiger geladen werden. Da die Ladung versehentlich erfolgt sei, könne aus ihr kein behördlicher Auftrag abgeleitet werden. Auch die Akteneinsicht sei durch die Geschäftsstelle ohne richterliche Anordnung aufgrund des Akteneinsichtsgesuchs offenbar ebenfalls aus Versehen gewährt worden. Schließlich sei der Sachverständige im Hauptverhandlungstermin auch nicht als Sachverständiger, sondern als Zeuge vernommen worden. Die weitere Beschwerde wurde gegen diese Entscheidung nicht zugelassen.
Gegen diese Entscheidung erhob der Sachverständige unter dem 21. März 2012 Gegenvorstellung. Weder die Ladung als Sachverständiger noch die Versendung der Akte zur Terminvorbereitung seien aus Versehen erfolgt. Zudem hätte eine Ladung als Zeuge keinen Sinn gemacht, da der Sachverständige bei dem streitgegenständlichen Vorfall nicht dabei gewesen sei. Als der Sachverständige nach Bückeburg gereist sei, habe er davon ausgehen müssen, dass er als Sachverständiger entschädigt werde. Da der zuständige Richter im Termin angekündigt habe, dass lediglich eine Entschädigung als Zeuge möglich sei, könne der Gesamtzeitrahmen um die halbe Stunde der Terminwahrnehmung gekürzt werden. Die Vorbereitungs- und die Fahrtzeiten seien jedoch bereits aus Vertrauensschutzgesichtspunkten mit dem Stundensatz für Sachverständige zu vergüten. Der Vergütungsanspruch werde auch nicht dadurch aufgehoben, dass angeblich ein im Auftrag eines Prozessbeteiligten privat tätig gewordener Sachverständiger nicht mehr durch das Gericht als Sachverständiger beauftragt werden könne. Dies sei vielmehr gängige Praxis, wenn ein in ein Verfahren eingebrachtes Privatgutachten aus Sicht des Gerichts nachvollziehbar und überzeugend sei. Schließlich sei er im Termin auch allein aufgrund seiner Eigenschaft als Sachverständiger gehört worden. Sein Gutachten und seine weiteren, diesbezüglichen Angaben vor Gericht beruhten ausschließlich auf sachverständigen Schlussfolgerungen und Bewertungen, die er als Sachverständiger u.a. anhand von Aktenauszügen erarbeitet habe. Da er weder an dem streitgegenständlichen Vorfall beteiligt gewesen sei noch einen Ortstermin durchgeführt habe, könne er auch keine Aussage als Zeuge zum Sachverhalt machen. Daher sei er auch während seiner Anhörung im Termin als Sachverständiger tätig geworden. Dementsprechend sei er auch entsprechend dem sachlichen Gehalt der Vernehmung als Sachverständiger zu vergüten.
In seiner Entscheidung vom 14. Mai 2012 (Az.: 4 Qs 16/12) setzte das Landgericht Bückeburg dann auch die Vergütung des Sachverständigen auf 721,86 € fest. Aufgrund der Ladung der Abteilungsrichterin des Amtsgerichts Bückeburg sei der Beschwerdeführer als Sachverständiger im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 JVEG „herangezogen“ worden. Es sei in der Rechtsprechung und im Schrifttum anerkannt, dass „herangezogen“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 JVEG auch der irrtümlich geladene Sachverständige sei, wenn der Irrtum für ihn nicht zu erkennen sei. Durch die versehentlich erfolgte Ladung und durch die Übersendung der Akte sei ein Vertrauenstatbestand für den Sachverständigen entstanden. Der Sachverständige durfte deshalb zu Recht davon ausgehen, dass er in dem Termin des Amtsgerichts als Sachverständiger gehört werden würde. Dies habe zur Folge, dass der Sachverständige zumindest für die Vorbereitung des Termins (Aktenstudium) und die Anfahrt zum Termin wie ein Sachverständiger zu entschädigen sei. Durch den Hinweis im Termin sei dieser Vertrauenstatbestand dann jedoch entfallen.
Sachverständigenpraxis
Die letztgenannte Entscheidung des Landgerichts Bückeburg hat das merkwürdige Ergebnis zur Folge, dass der Sachverständige für die Hinfahrt als Sachverständiger, für den Termin und die Rückfahrt jedoch nur noch als Zeuge entschädigt wird. Dies erscheint bereits deshalb zweifelhaft, weil der Sachverständige trotz des entgegenstehenden Hinweises des Gerichts in dem Termin als Sachverständiger vernommen worden ist. Entscheidend ist hierbei der sachliche Gehalt der Vernehmung, wobei ein Sachverständiger die Kenntnis von Erfahrungssätzen übermittelt oder Tatsachen aufgrund solcher Erfahrungssätze beurteilt. Zwar könnte man noch argumentieren, das Gericht habe den Sachverständigen lediglich als Privatgutachter des Prozessbeteiligten angehört. Dies erscheint aber problematisch, da das Gericht selbst wohl kein eigenes Gutachten eingeholt hat und somit die insoweit typische Konstellation der fachlichen Auseinandersetzung zwischen Gerichts- und Privatgutachter nicht gegeben ist. Im Übrigen gibt es – bei Zustimmung durch die Prozessbeteiligten – keinen Rechtsgrundsatz, aufgrund dessen die Ernennung eines Privatsachverständigen zum Gerichtsgutachter generell ausgeschlossen wäre. Insgesamt zeigt diese Entscheidung, dass es sich für Sachverständige lohnt, nicht jede Gerichtsentscheidung „unterwürfig“ hinzunehmen, sondern in geeigneten Fällen Beschwerde einzulegen.
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Dr. Felix Lehmann, Vorsitzender Richter am Landgericht Kiel
Datum
2013