Bundesverfassungsgericht – Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch Auferlegung von den gesetzlichen Höchstsatz überschreitenden Gutachterkosten ohne Zustimmung der betroffenen Verfahrensbeteiligten!

(Beschluss vom 24.03.2010, Az.: 2 BvR 1257/09, 2 BvR 1607/09)

Leitsätze der Entscheidung

  • Die Auferlegung von Gutachterkosten, die den gesetzlichen Höchstsatz ohne Zustimmung der betroffenen Verfahrensbeteiligten überschreiten, verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Bedeutung als Willkürverbot.
  • Wird das Schreiben einer Verfahrensbeteiligten zur Frage der Kostenverteilung als Zustimmung zur alleinigen Übernahme von Gutachtenmehrkosten ausgelegt, obwohl der Wortlaut der Erklärung an keiner Stelle Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Verfahrensbeteiligte Mehrkosten des Gutachtens nach § 13 Abs. 6 JVEG tragen will, so handelt es sich um eine unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbare Anwendung des § 13 Abs. 6 JVEG.

Sachverhalt / Entscheidung

Der zuständige Senat des OLG Düsseldorf beabsichtigte in einem Verfahren ein Gutachten einzuholen. Zuvor teilte der Senat mit, dass die Sachverständigen eine Vergütung von 360,00 € pro Stunde berechnen wollten. Dies überschreite den Höchstsatz des JVEG. Allerdings könnten die Verfahrensbeteiligten sich gemäß § 13 Abs. 1 JVEG mit einer von der gesetzlichen Regelung abweichenden Vergütung einverstanden erklären. Daher werde um Mitteilung gebeten, ob im Hinblick auf die Komplexität und Schwierigkeit der gutachterlich zu beantwortenden Frage dem erhöhten Stundensatz zugestimmt werde. Diesem Vorschlag stimmte nur die Beschwerdeführerin zu. Sie bat um Mitteilung, wie sich die Gutachtenkosten auf die Verfahrensbeteiligten verteilen würden. Diese Erklärung wurde von dem Senat so ausgelegt, dass sich die Beschwerdeführerin nach § 13 Abs. 6 JVEG unwiderruflich zur Übernahme der Mehrkosten bereiterklärt habe. Nach einem längeren, ausführlichen Schriftwechsel sollte die Beschwerdeführerin zwei Rechnungen über insgesamt ca. 60.000,00 € begleichen. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin zwei Verfassungsbeschwerden ein.

Die Verfassungsbeschwerden hatten Erfolg (Beschluss vom 24.03.2010, Az.: 2 BvR 1257/09, 2 BvR 1607/09).

Die Auffassung des OLG Düsseldorf, das Schreiben der Beschwerdeführerin stelle eine Erklärung eines Inhalts dar, dass die Beschwerdeführerin die auf die Feststellung ihres Mehrerlöses entfallenden Mehrkosten der Gutachtenerstattung im Sinne des § 13 Abs. 6 JVEG übernehmen wolle, sei unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar und daher willkürlich. Empfangsbedürftige Willenserklärungen seien nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen. Das Schreiben der Beschwerdeführerin sei eine Reaktion auf die gerichtliche Anfrage vom vorherigen Tage. Die Antwort der Beschwerdeführerin, sie sei mit dem Vorschlag des Senats zur Gutachtervergütung einverstanden und werde den Vorschuss einzahlen und bitte um Mitteilung wie sich die Gutachtenkosten auf die Verfahrensbeteiligten verteilen würden, könne nur dann als Zustimmung zur alleinigen Übernahme der entsprechenden Mehrkosten nach § 13 Abs. 6 JVEG ausgelegt werden, wenn der Vorschlag des Senats gerade darin bestanden habe. Der Senat habe der Beschwerdeführerin jedoch bereits keine Zustimmung zur alleinigen Übernahme der entsprechenden Mehrkosten nach § 13 Abs. 6 JVEG vorgeschlagen, sondern unter Verweis auf § 13 Abs. 1 JVEG auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Mehrkosten durch die Beteiligten getragen werden könnten. Zudem habe die Beschwerdeführerin an keiner Stelle ausdrücklich angegeben, die Mehrkosten des Gutachtens nach § 13 Abs. 6 JVEG tragen zu wollen. Schon aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 6 JVEG folge, dass diese Norm nur Anwendung finde, wenn eine Partei nicht nur mit einer erhöhten Vergütung einverstanden sei, sondern, wenn sie zusätzlich erkläre, die entstehenden Mehrkosten zu tragen. Aufgrund der ausdrücklichen Erwähnung dieser weiteren Voraussetzung und des Vergleichs von § 13 Abs. 6 JVEG mit § 13 Abs. 1 JVEG verbiete es sich in der Zustimmung zur Gutachtervergütung zugleich die Erklärung zu sehen, die auf die Feststellung ihres Mehrerlöses entfallenden Mehrkosten allein tragen zu wollen. Gerade weil die Beschwerdeführerin eine Frage zur Verteilung der Kosten gestellt habe, sei es viel mehr ausgeschlossen, dass sie eine Erklärung nach § 13 Abs. 6 JVEG abgeben wollte. Dann hätte die Beschwerdeführerin nämlich gewusst, dass die in § 13 Abs. 6 Satz 2 JVEG getroffene Regelung greife, nach der jeder Erklärende auf die vollen Mehrkosten hafte und bei mehreren Erklärungen dieser Art eine Gesamtschuld bestehe. Das eine Erklärung, die Mehrkosten der Begutachtung nach § 13 Abs. 6  JVEG tragen zu wollen nicht vorliege, sei damit offensichtlich. Überdies habe das Oberlandesgericht seine andere Auffassung nicht begründet.

Sachverständigenpraxis

In der Gerichtspraxis ist eine stetige Zunahme von Anträgen nach § 13 JVEG und Entscheidung zu dieser Vorschrift aufgrund der steigenden Unzufriedenheit der Gerichtsgutachter mit den Stundensätzen des JVEG zu beobachten. Leider wirft die aus sieben Absätzen bestehende und an Unübersichtlichkeit kaum zu überbietende Vorschrift des § 13 JVEG unzählige Fragen auf, die zu vielfältigen Verzögerungen bei der Bearbeitung solcher Anträge führen können. Es kommt dennoch etwas unerwartet, dass diese Vorschriften nun auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat. Zuvor war gerade zu § 13 Abs. 6 JVEG noch keine einzige Entscheidung veröffentlicht worden. Das Bundesverfassungsgericht lässt in seinen Ausführungen zu § 13 Abs. 6 JVEG keinen Zweifel daran, dass eine Erklärung zur Übernahme von Mehrkosten nach dieser Vorschrift strengen Voraussetzungen unterliegt und aufgrund ihrer erheblichen wirtschaftlichen Tragweite immer ausdrücklich erfolgen muss. Diesbezüglich ist anzumerken, dass § 13 Abs. 6 JVEG zum Teil wegen einer Gefährdung des Grundrechts auf wirkungsvolle Justizgewährung für verfassungswidrig gehalten wird. Eine Kostenregelung dürfe nicht dazu führen, dass der Rechtsschutz von staatlichen Gerichten von der finanziellen Leistungsfähigkeit abhängig gemacht werde. Aus diesem Grund gibt es nunmehr eine erneute Gesetzesinitiative des Bundesrats zur ersatzlosen Streichung des Absatzes 6. In seinem „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Vorauszahlungsverpflichtung der Gebühren für das Berufungsverfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sowie zur Änderung des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes“ vom 12.02.2010 wird erneut die ersatzlose Streichung des § 13 Abs. 6 JVEG angeregt und folgendes ausgeführt:

„Aufgrund fehlender Kontrollmechanismen wie beispielsweise die Zustimmungsbedürftigkeit durch das Gericht oder die gegnerische Partei berge diese Regelung erhebliche Missbrauchsgefahren durch Einwirkung einzelner Beteiligter auf bestellte Sachverständige. Überdies begünstige sie in sachlich nicht gerechtfertigter Weise vermögende gegenüber bedürftigen Beteiligten. Diese Regelung sollte daher gestrichen werden.“

Datum

2012