Bundesgerichtshof – Keine spätere Ablehnung eines Sachverständigen nach Zustimmung zur Auswahl! (Beschluss vom 3. April 2012, Az.: X ZR 67/09)

Leitsätze der Entscheidung

Ist einer Partei vor der Bestellung des gerichtlichen Sachverständigen Gelegenheit gegeben worden, zur fachlichen und persönlichen Eignung einer von der Gegenpartei vorgeschlagenen Person Stellung zu nehmen, und verfügt sie über keinerlei Informationen zur Person des Sachverständigen, handelt sie schuldhaft, wenn sie, ohne zumindest einfache und ohne weiteres mögliche Erkundigungen eingeholt zu haben, die Erklärung abgibt, gegen die als Sachverständigen vorgeschlagene Person bestünden keine Einwände.

Sachverhalt / Entscheidungen

Die Beklagte in einem Patentnichtigkeitsverfahren lehnte den gerichtlichen Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit ab, nachdem er sein schriftliches Gutachten erstattet hatte. Dessen Inhalt habe der Beklagten Veranlassung gegeben, ihre Prozessbevollmächtigten mit einer Internetrecherche zum beruflichen Hintergrund des Sachverständigen zu beauftragen. Diese Recherche habe ergeben, dass der gerichtliche Sachverständige auf dem von der Streithelferin ausgerichteten „Internationalen Wissenschaftlichen Forum zur X.“ einen Vortrag zum Thema „X.  im täglichen Einsatz“ gehalten und im Rahmen eines auf dem 13. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Y. e.V. von der Streithelferin gesponserten Workshops zum Thema „X. im ambulanten Einsatz“ vorgetragen habe. Die hieraus und aus weiteren Umständen und Zusammenhängen ersichtlichen Beziehungen zur Streithelferin gingen deutlich über das hinaus, was als Austausch zwischen niedergelassenen Ärzten und Unternehmen, deren Produkte sie verwendeten, üblich sei, und begründe die Besorgnis der Befangenheit. Das Befangenheitsgesuch hatte keinen Erfolg (Beschluss des BGH vom 3. April 2012, Az. X ZR 67/09)! Für die Parteien bestünde zwar im Allgemeinen keine Verpflichtung, Erkundigungen darüber anzustellen, ob ein Ablehnungsgrund gegen einen Sachverständigen in Betracht komme. Jedoch könne im Einzelfall Abweichendes gelten, da die Parteien konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes aufgrund ihrer Prozessförderungspflicht nachgehen müssten. Zumutbare Nachforschungen müsse die Partei auch dann anstellen, wenn ihr bekannt sei, dass die Gewinnung des Sachverständigen wegen der Besonderheiten des Falls außergewöhnliche Schwierigkeiten bereite. Entsprechendes gelte, wenn die Partei die ihr vom Gericht eingeräumte Gelegenheit wahrnehme, zu Sachverständigenvorschlägen der Gegenseite Stellung zu nehmen. Es komme hinzu, dass in vielen Fällen notwendigerweise mehr oder weniger enge fachliche und berufliche Beziehungen zwischen den als Sachverständige in Betracht kommenden Wissenschaftlern, die auf dem betreffenden Gebiet forschen und lehren, und denjenigen am Verfahren beteiligten Unternehmen bestehen würden, die auf diesem Gebiet tätig seien und sich ihrerseits mit Forschung und Entwicklung befassten. Für die Parteien erkennbares Ziel ihrer Einbindung in die Sachverständigensuche sei es daher, ihre Fach- und Sachkunde nicht nur hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen, sondern auch hinsichtlich etwaiger Bedenken zu nutzen, die gegen die Bestellung eines Sachverständigen wegen eines zu starken Näheverhältnisses des Vorgeschlagenen zu einer Prozesspartei oder einem am Verfahrensausgang interessierten Wettbewerber bestehen könnten. Dies ermögliche es dem Gericht, Bedenken schon im Vorfeld der Beauftragung Rechnung zu tragen und nicht erst – wie hier – nach der Erstellung des schriftlichen Gutachtens mit der Folge eines beträchtlichen Zeitverlusts bei einer erfolgreichen Ablehnung. Im Streitfall könne dahinstehen, ob sich hieraus eine Obliegenheit der Parteien ergebe, zur Qualifikation und Unabhängigkeit der von den jeweiligen Prozessgegnern vorgeschlagenen Sachverständigen Nachforschungen anzustellen, um diesbezüglich gegebenenfalls Einwendungen erheben zu können. Denn jedenfalls handle eine Partei, die über keinerlei Informationen zur Person des vorgeschlagenen Sachverständigen verfüge, schuldhaft im Sinne von § 406 Abs. 2 ZPO, wenn sie, ohne zumindest einfache und ohne weiteres mögliche Erkundigungen wie etwa durch eine Internetrecherche eingeholt zu haben, die Erklärung abgebe, gegen die als Sachverständigen vorgeschlagene Person bestünden keine Einwände. Dass der Sachverständige auch nach der Bekanntgabe seiner Bestellung auf von der Streithelferin gesponserten Veranstaltungen Vorträge gehalten habe und dass die Streithelferin den Aufbau von Einrichtungen, deren Geschäftsführer und Gesellschafter bzw. Gründungsmitglied der Sachverständige sei, unterstützt habe, begründe die Besorgnis der Befangenheit nach den gesamten Umständen nicht. Unstreitig habe die alleinige (seinerzeitige) Lizenznehmerin der Beklagten den Aufbau dieser Einrichtungen und, wie die Beklagte selbst vortrage, auch Veranstaltungen, auf denen der Sachverständige Vorträge gehalten habe, ebenfalls gefördert. Nach allem stellten weder die Beteiligung des Sachverständigen an den beiden Einrichtungen noch seine Vortragstätigkeit Umstände dar, die durchgreifende Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen wecken würden. Dass bestimmte Einrichtungen und Veranstaltungen von Konkurrenten durch Sponsoring und ähnliche Maßnahmen unterstützt würden, deute auf ein allseitiges und beständiges Interesse aller Marktbeteiligten hin, bei den Disponenten ihrer Erzeugnisse präsent zu sein. Personen, die als Geschäftsführer einer Einrichtung oder als Referent auf einem Kongress mittelbar von der Förderung profitieren würden, seien deshalb aus der Sicht einer besonnenen Partei nicht dem Lager eines einzelnen unterstützenden Unternehmens zuzurechnen, sofern nicht im Einzelfall zusätzliche Umstände hinzutreten würden.

Sachverständigenpraxis

Spätestens seit dieser Entscheidung muss auch in Bausachen jeder Sachverständige vor seiner Ernennung von den Parteien durch eine Internetrecherche auf mögliche Beziehungen zu den anderen Prozessbeteiligten überprüft werden. Es reicht nicht mehr einfach aus, auf entsprechende Erkenntnisse während des Verfahrens zu reagieren. Vielmehr müssen die Parteien selbst aktiv den vom Gericht vorgeschlagenen Sachverständigen vor seiner Ernennung „unter die Lupe nehmen“. Allerdings stellen nicht alle so „aufgedeckten“ Beziehungen auch einen Befangenheitsgrund dar (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26. Juli 2007, Az.: 2 W 58/07). Gerade in speziellen Sachgebieten wird es wie im vorliegenden Fall nur selten Sachverständige geben, die noch nie Kontakt zu einer oder mehreren Prozessparteien gehabt haben. Generell ist es daher für Gerichtssachverständige ihrerseits wichtig möglichst frühzeitig in die Offensive zu gehen und alle persönlichen und/oder geschäftlichen Beziehungen zu den Parteien offen zu legen. Denn auch erst auf Nachfrage offenbarte Beziehungen können einen Befangenheitsgrund darstellen. Nach Stellungnahme des Sachverständigen verbleibt den Parteien nur noch ein kurzer Zeitraum („unverzüglich“) zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund der mitgeteilten Beziehungen. Befangenheitsgründe können nicht einfach gesammelt und in Reserve gehalten werden. So wird eine Ablehnung des Sachverständigen in einem späteren Verfahrensstadium vermieden, die bei Erfolg einen erheblichen Zeitverlust verursachen kann. Daher schafft eine frühzeitige Transparenz des Sachverständigen auch für ihn selbst Sicherheit vor späteren Befangenheitsanträgen.

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Dr. Felix Lehmann, Vorsitzender Richter am Landgericht Kiel

Datum

2013