Wohngenossenschaften in Zürich. Gartenstädte und neue Nachbarschaften.
von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner
Über die Möglichkeiten, die Kosten im Wohnungsbau zu senken und dadurch die Belastungen für Mieter oder Käufer erträglich zu machen, sind in der letzten Zeit zahlreiche Vorschläge gemacht und publiziert worden. Dort ist von Präfabrikation, Abschaffung von Vorschriften, Senkung der Standards, Optimierung der Planungs-und Produktionsabläufe u.a. die Rede. Auch eine stärkere Förderung des Wohnungsbaus durch Staat und Kommunen wird gefordert. Eine solche Subventionierung würde sicher die Mieten für Geringverdienende mindern, aber nicht die Kosten für den Wohnungsbau, sondern eher noch steigern. Der Markt nimmt eben mit, was mitzunehmen ist.
Andere Überlegungen gehen in Richtung selbstorganisierten Wohnungsbaus. In der Fachpresse wird über Architekten berichtet, die selbst als Projektentwickler auftreten. Auch die aus dem 19. Jahrhundert stammende Idee von Selbsthilfeorganisationen in Form von Wohngenossenschaften lebt wieder auf, wobei sich die Genossen privatwirtschaftlich, aber ohne finanzielle Gewinnorientierung zusammenfinden und in nicht selten mühsamen Diskussionsprozessen ihren eigenen Lebensraum selbst gestalten, später auch verwalten und weiterentwickeln. Der Züricher Verlag PARK BOOKS legt nunmehr einen opulenten Band über die Wohnungsbau-genossenschaften in Zürich vor, der auch hierzulande Beachtung verdient.
Zürich ist wie andere Städte der Schweiz sehr stark vom genossenschaftlichen Bauen geprägt und verfügt über nicht weniger als 40.000 Wohnungen in diesem Sektor, naturgemäß zumeist in peripherer Lage rund um das Zentrum (Karte auf S.8). Für den erwarteten Zuzug in eine der weltweit reichsten und teuersten Städte reichen die zur Verfügung stehenden Grundstücke bei weitem nicht aus. In diesem Zusammenhang kommt den Aktivitäten der Baugenossenschaften besondere Bedeutung zu. Stadt und Genossenschaften befinden sich in einer wohnungspolitischen Symbiose. Die Erfolge der Bemühungen oder auch zu diskutierende Fragen werden in dem vorliegendem Band dokumentiert bzw. thematisiert.
In den ersten Abschnitten wird ausführlich auf die Begründung, Geschichte und die Erfolge der Züricher Wohnungsbaugenossenschaften eingegangen. Die Dokumentation zahlreicher Projekte erfolgt nach inhaltlichen Aspekten: Verdichtung, Weiterentwicklung der Parkstadt und von Häuserblocks, Bestätigung der Straße und Bildung neuer Nachbarschaften. Insbesondere die Projekte zur Nachverdichtung sind trotz der durchweg hohen, aus Wettbewerben hervorgegangenen Qualitäten nicht ganz unproblematisch, beruhen sie doch auf dem Prinzip des Ersatzbauens, sprich Abriss der Alt- und Ersatz durch Neubauten, was betriebswirtschaftlich wohl Sinn macht, weil Grundstücke und Erschließung vorhanden sind und die Modernisierung sich angeblich nicht rechnet. Die Verschleuderung bereits verausgabter Materialien und Energie stellt die Prinzipien der Nachhaltigkeit jedoch auf den Kopf. Man erfährt auch nichts, was für die bisherigen Mieter, die ihre Wohnung verlassen müssen, getan wird. (S. 48-85) Vielleicht ist das in Zürich auch kein großes Problem, weil die Genossen ohnehin über alle Fragen mitbestimmen dürfen.
Dass sich die Genossenschaften auch den veränderten Wohnvorstellungen der postindustriellen Gesellschaft wie Durchmischung, Verschiedenheit und Urbanität ebenso wie auch kollektiven Wohnformen zuwenden, macht die ungebrochene und zunehmende Kraft der Genossenschaftsbewegung in Zürich evident. International viel beachtete Projekte sind beispielsweise „Kalkbreite“, die Überbauung eines Srraßenbahndepots (S. 217ff.) oder „Zwicky-Süd“, die Konversion eines Industrieareals, wo sich die Genossenschaft sogar entschloss, Gewerbeflächen zu schaffen, um dort die unzureichende Infrastruktur zu verbessern (S.223ff.).
Alles in Allem ein auch für deutsche Städte anregendes, gut gemachtes Buch, das zeigt: Es gibt viele Wege, die Qualität des Wohnungsbaus zu fördern und zugleich die Kosten einzudämmen!
AUF EINEN BLICK:
Hrsg. von Dominique Boudet. 254 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen und Grafiken,
68,00 €. PARK BOOKS. Zürich 2017
25.01.2018