Welche Denkmale welcher Moderne? Zum Umgang mit Bauten der 1960er und 70er Jahre
von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner
Am 10. September, dem Tag des offenen Denkmals, können zahlreiche Denkmale im Lande besichtigt werden. Das Programm reicht vom Steinzeitpark in Albersdorf bis zu einem Reetdachhaus in Wesenburg. Die Mehrzahl der zu besuchenden Objekte dürfte wegen ihres Alters und der ästhetischen Anmutung den Erwartungen der Interessierten entsprechen. Ob aber jedem die Unterschutzstellung der bereits mehrfach veränderten Alten Autobahnmeisterei in Bad Oldesloe nach dem Entwurf von Konstanty Gutschow 1937-1941, einsichtig ist, bleibt abzuwarten. Jüngere Baudenkmale der 1960 bis 1970er Jahre, man denke an das Ferienzentrum Burgtiefe auf Fehmarn, die Rathäuser in Ahrensburg und Elmshorn, auch das Schloss in Kiel lösen noch immer polemische Diskussionen aus. Der Denkmalwert wird dabei heftig bestritten! Eine vorurteilslose und wertneutrale Bewertung und Kategorisierung ist aber sehr schwierig und bedarf intensiver Aushandlungsprozesse der Denkmalpfleger und der Öffentlichkeit. Worin besteht das öffentliche Interesse an der Erhaltung der ungeliebten und häufig als seelenlos empfundenen Architektur jener Epoche?
Für diese Diskussion liefert das hier besprochene Buch mit zahlreichen Aufsätzen von Autoren mit aus unterschiedlicher Perspektive zahlreiche Anregungen. Es beruht auf einer Forschungsarbeit der Hochschulen in Dortmund und Weimar. Der erste, titelgebende Beitrag stammt von Wolfgang Sonne, der die Vielfalt moderner Konzepte aufzeigt. Dabei kommt er nicht umhin, auch diese zu kategorisieren: konstruktive, funktionalistische, formalistische, expressionistische Moderne. Natürlich bleibt auch Sonne nicht verborgen, dass es immer wieder notwendigerweise Überschneidungen und Zwischenstufen gibt. Ja, welche Moderne steht für die Zeit? „Was nun erscheint aus der gebauten Umwelt der 1960er, 70er und 80er Jahre denkmalwert?“ (S. 37)
Besonders interessant ist der Beitrag von Sonja Hlinica über Großstrukturen: Stadt in einem Haus (Nordweststadt-Zentrum in Frankfurt a.M.), Großform (Uni Bochum), Bausystem (Uni Marburg), Megastruktur (Metastadt Wulfen), und der Umgang mit diesen. Zur Uni Marburg meint sie: „Begreift man das Bauwerk [… ] als momentane Ausformung eines dynamischen Systems, widerspricht eigentlich jegliche Konservierung dem Entwurfsgedanken.“ Weiter: „eine Kombination von konservatorischen und einem dem Systemgedanken verpflichteten Weiterbauen“ entspräche den ursprünglichen Entwurfsgedanken der Architekten. (S. 238f.)
Andere Aufsätze weiten den Blick ins europäische Ausland, vor allem nach Polen, England und Frankreich. Ein Aufsatz von Simone Berger beschäftigt sich mit dem Denkmalschutz in der DDR. Hier hatte der Gedanke, ein „geschichtlich fundiertes Staatsbewusstsein sowie ein Gefühl der Nationalzugehörigkeit zu schaffen“, primäre Bedeutung, weshalb nicht wenige Bauwerke wie der Fernsehturm in Berlin oder das Gewandhaus in Leipzig bereits kurz nach Fertigstellung unter Schutz gestellt worden sind. (S. 168 ff.) Ein Fotoessay mit dem Thema „Erhaltungsformen“ schließt die Aufsatzfolge mit Erklärungen über die Qualität, den Erhaltungszustand und den Schutz (oder Nicht-Schutz) mehrerer herausragender Werke der Architektur. (S. 273 ff.)
Wer eine konkrete Handlungsanleitung für den Umgang mit dem baulichen Erbe der 1960er und 1970er Jahre sucht, wird diese nicht finden, dafür aber viele Anregungen zum Weiterdenken. Bezüglich der Auswahl und Bewertung einzelner Bauten wird auch weiterhin und notwendigerweise ein gewisses Dilemma bestehen bleiben. „Die pluralistische Welt ist kompliziert und verschließt sich einfachen Lösungen“. (S. 264).
Die Texte, mit denen nicht jeder einverstanden sein muss, sind gut lesbar und hervorragend illustriert. Es lohnt sich, sich mit der Materie zu beschäftigen: Das Thema zwingt auch in Schleswig-Holstein zur Auseinandersetzung damit!
AUF EINEN BLICK:
Welche Denkmale welcher Moderne? Zum Umgang mit Bauten der 1960er und 70er Jahre.
Hg. von Frank Eckardt u.a. 323 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Grafiken.
38,00 EUR. Jovis Verlag. Berlin 2017
16.10.2017