Vibrations. A Portrait of houses designed by Lundgaard & Tranberg Architects.
von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner
Die Architektur in unserem nördlichen Nachbarland gewinnt in letzter Zeit wieder einmal mehr großes Interesse. Das liegt sicher nicht nur an der unbestreitbaren Qualität, sondern auch an der Wertschätzung von Architektur im öffentlichen Leben. Offensichtlich haben die Architekten in Dänemark häufig mehr Freiheit bei der Umsetzung neuer Ideen. Es muss aber auch die Bauherren geben, die das mittragen. Man schaue nur zahlreiche Gewerbebauten entlang der Autobahn nördlich der Bundesgrenze an – man traut seinen Augen nicht, welcher hohen Qualität man dort begegnet (was nicht heißt, dass auch alles gut sei!).
Im letzten Jahr wurde in Ribe ein großartiges Gebäude unmittelbar neben dem romanischen Dom eröffnet. Es dient in erster Linie der Kirchgemeinde als Pfarramt, beherbergt aber auch einen großen Veranstaltungs- und Ausstellungsteil, in den die während der Bauarbeiten freigelegten Reste eines Kanonikerstifts aus dem 11. Jahrhundert einbezogen sind. Die äußere Gestaltung mit Ziegelplatten an den geneigten Dächern und den Fassaden nimmt auf die Nachbarschaft Bezug ohne das Neue zu verleugnen – ein weiterer Beleg dafür, dass Moderne und Steildach sich nicht ausschließen!
Dieses Gebäude stammt von dem Kopenhagener Architektenbüro Lundgaard & Tranberg und lässt auf einzigartige Weise die Grundsätze erkennen, denen sich das Büro verpflichtet fühlt. Den Maximen spürt nun Karsten R.S. Ifversen, Herausgeber der renommierten Zeitschrift Politiken und Master der Philosophie, in einer eindrucksvollen Monografie nach. In erster Linie sind es die besonderen Bedingungen des Ortes, aber auch die Atmosphäre, die Zeit und die Natur, deren Berücksichtigung ganz besondere, unerwartete Orte generieren, denen man sich nicht entziehen kann und die geradezu vor Spannung vibrieren.
Der Autor beschränkt sich auf die Beschreibung nur weniger Projekte: ein Hochschulbau in Frederiksberg, ein Wohnhaus für Studenten in Ørestad, Nachbarstadt von Kopenhagen, das Kunstmuseum in Sorø, eine Villa in Hellerup, in Kopenhagen das Königliche Schauspielhaus, der Verwaltungssitz der SEB-Bank, der Umbau eines Lagerhauses und die Axel-Towers. Jedes Bauwerk, so unterschiedlich sie auch in Bezug auf Größe und Funktion sein mögen, lässt erkennen, wie sehr die Architekten sich auf die jeweiligen Bedingungen des Ortes einlassen und daraus besondere, eigentlich nicht wiederholbare Qualitäten gewinnen. Schiebt sich das Theater weit über das Wasser hinaus und bietet es vom Foyer und den das Gebäude umgebenden Terrassen einen weiten Blick auf den Hafen, so gestattet die Villa in Hellerup viel Offenheit nach innen, das ehem. Lagerhaus behält trotz Umbau die Hafengebäuden eigene Ruppigkeit. Die Architekten setzen entsprechend ihren Vorstellungen und Nutzung unterschiedliche Materialien ein: viel Holz in Hellerup, Backstein und Stahl beim Lagerhaus, Stahl und Glas beim Theater. Wo ihnen die handelsüblichen Materialien nicht genügen, lassen sie neue Backsteine entwickeln.
Das vorliegende Buch ist vor allem ein Buch zum Ansehen. Die hervorragenden, teilweise zweiseitigen Abbildungen bringen die Vibration zum Ausdruck, die aus dem Zusammenwirken von Bauwerk und Umgebung – sowohl im städtebaulichen Kontext wie auch bei Materialität und Detaillierung – ausgeht. Insgesamt ein visueller Genuss! Die Texte sind in Englisch geschrieben, und erklären kongenial die grundlegenden Gedanken der Architekten. Bedauerlicherweise fehlen völlig Lagepläne und Grundrisse, die es ermöglichen würden, den Zusammenhängen von Stadtgrundriss, Form und Funktion nachzuspüren. Vielleicht ist das Fehlen des Gebäudes in Ribe kein Nachteil, sondern Anregung, wieder einmal gen Norden zu fahren. Es ist ja nicht allzu weit, es lohnt sich!
AUF EINEN BLICK:
Karsten R.S. Ifversen:
Vibrations. A Portrait of houses designed by Lundgaard & Tranberg Architects.
272 Seiten mit zahlreichen farbigen Aufnahmen von Jens Markus Lindhe.
58,00 EUR. Hatje Cantz Verlag. München 2017
16.10.2017