Stadtlandschaften verdichten. Strategien zur Erneuerung des baukulturellen Erbes der Nachkriegszeit.
von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner
Die Probleme bei Schaffung bezahlbaren Wohnraums insbesondere in den Ballungsräumen haben zu unterschiedlichen Strategien geführt. Im Focus des Interesses stehen neben der Nutzung unbebauter Grundstücke (neuerdings auch der Bau von Hochhäusern), die Verdichtung innerstädtischer Baublöcke, Dachausbau und Aufstockung älterer Gebäude. Nicht selten entstehen dabei nicht leicht zu lösende nachbarschafts- und baurechtliche Fragen. Bisher zu wenig Beachtung gefunden hat dagegen die Möglichkeit, bestehende, häufig locker, in Zeilenbauweise gebaute Siedlungen insbesondere der Nachkriegszeit weiter zu entwickeln und zu verdichten. Die großen Freiflächen bieten zahlreiche Möglichkeiten, dort neue kostengünstige Wohnhäuser zu errichten, nicht zuletzt weil Baugrund und Erschließung vorhanden sind und dadurch die Kosten erheblich gesenkt werden können. Bauliche Verdichtung heißt aber auch zugleich, die Bedingungen für den öffentlichen Personennahverkehr und die Versorgung zu verbessern: Wenn im Umkreis einer Bushaltestelle mehr Menschen leben, führt das zu höherer Inanspruchnahme und daraus folgend die Möglichkeit, das ÖPNV-Angebot zu verbessern. Eine win-win-Situation für alle!
Während Dachausbau und Aufstockung allgemein akzeptiert werden, ruft die Verdichtung bestehender Strukturen nicht selten Proteste der Anwohner hervor. In den ohnehin dichten, besonders nachgefragten innerstädtischen Quartieren ist es die zunehmende Enge, in den locker bebauten Gebieten wird vor allem der Verlust von Bäumen und Grünflächen befürchtet. In der Tat ist die intensive Durchgrünung für die dort lebenden Menschen ein Wert an sich: Wenn sie schon nicht die Architektur lieben, dann doch die hohen Bäume und den Blick ins Grüne.
Das hier besprochene Buch nimmt erstmals auch auf den (garten-) denkmalpflegerischen und ökologischen Wert der nach dem Prinzip der Stadtlandschaft entwickelten Siedlungen mit ihren fließenden Grünräumen Bezug.
Im ersten Kapitel wird nach dem Sinn der Nachverdichtung gefragt, im zweiten Kapitel werden die Qualitäten der Nachkriegssiedlungen dargelegt und im dritten die Begriffe Denkmalschutz, Stadtlandschaft und Ortsbildpflege thematisiert. Im vierten Kapitel werden Kriterien zur Bewertung von Verdichtungsmaßnahmen aufgestellt. Die Kapitel 5 und 6 beinhalten mehrere Fallstudien und Testverdichtungen, wobei das Beispiel Olympiadorf in München dabei allerdings nicht ganz überzeugen kann, weil zu den ursprünglichen 23.335 m² Wohnfläche gerade einmal 2 Prozent dazu kommen. Das siebte, abschließende Kapitel formuliert als Handlungsanleitung „Interessenabwägung statt Regelwerk“: Wichtig sei es, für jeden Einzelfall unter Abwägung unterschiedlichster Interessen und Belange die geeignete Lösung zu suchen, die Verdichtungspotenziale zu ermitteln und dabei die größtmögliche Varianz von Lösungsansätzen auszutesten. Diese Erkenntnis ist sicher nicht ganz neu, muss aber immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden: die realisierten Beispiele in vielen Orten werden doch noch zu sehr stark von rechtlichen und finanziellen Überlegungen bestimmt, nicht von den vorhandenen Qualitäten und den Interessen der Anwohner. Wichtig scheint es aber für viele Kommunen zu sein, sich der bestehenden Potenziale auch in den Siedlungen der 1960er und 1970er Jahre stärker als bisher anzunehmen.
Selten entsprechen Aufmachung und Format der auch typografisch sorgfältig gemachten Publikation so sehr dem Thema: bescheiden in einem Format von 14X18 cm, inhaltlich konzis und formal verdichtet. Besser kann es nicht sein!
Hinweis: Zum Thema der Nachverdichtung sei auch auf den Baukultur Bericht; Erbe-Bestand-Zukunft 2018/19, hg. von der Stiftung Baukultur, verwiesen. Auch dort wird auf die Strategien der Nachverdichtung eingegangen. Der Bericht kann bei der Bundesstiftung angefordert werden.
Auf einen Blick: Anke Domschky, Stefan Kurath, Simon Mühlebach und Urs Primas: Stadtlandschaften verdichten; Strategien zur Erneuerung des baukulturellen Erbes der Nachkriegszeit. Mit Beiträgen von Johannes Stoffler und Michael Hanak. 39,00 EUR. Triest Verlag für Architektur, Design und Typografie, Zürich 2018