Sommerzeit – Architekturzeit | Reiseführer Aarhus
von Prof. D.-J Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner
Pünktlich zum Beginn der Reisezeit und in der Mitte des Kulturhauptstadtjahres von Aarhus erscheint in der prominenten Reihe von Architekturführern des erst 12 Jahre alten Berliner Verlages DOM publishers ein Band über Aarhus, der ältesten und zweitgrößten Stadt Dänemarks, quasi ein Katzensprung von Schleswig-Holstein entfernt. Hier gibt es die größte Architektendichte Dänemarks.
Erfreulich ist, dass die Stadt dadurch nicht nur zahlreiche, sicher auch rivalisierende Architekturbüros hat, sondern dort auch ein kulturelles Klima herrscht, das Baukultur fördert. Einige Büros sind weltweit tätig und machen Architektur zum Exportschlager. Nicht unwesentlichen Einfluss darauf hat die erst 1965 gegründete Architekturschule, die sich aus kleinen, chaotischen Anfängen zu einem das städtische Leben belebenden Ausbildungszentrum mit engen Beziehungen zu den örtlichen Büros entwickelt hat. Die Architekturschule ist aber nur ein Baustein für Entwicklung zum Wissenschaftsstandort, ein anderer ist die 1928 privat gegründete. ab 1970 staatliche Universität. Derzeit leben 45.000 Studierende in der Stadt. Aarhus befindet sich zugleich in einem städtebaulichen Transformationsprozess allergrößten Ausmaßes, der insbesondere in der Konversion der aufgegebenen und verlagerten Hafenanlagen die Möglichkeit bietet, sich zum Wasser zu öffnen. Dank dem Zusammenwirken städtischer Behörden, der Architekturschule und der örtlichen Architektenschaft ist dabei eine Reihe weltweit beachteter Projekte entstanden, die in jedem Falle einen Besuch lohnen. Man kann natürlich fragen, ob es richtig sei, die gesamte Krankenversorgung Dänemarks auf nur acht Zentren zu beschränken (in Aarhus das noch in Entwicklung befindliche gigantische Universitätsklinikum, S. 186 ff.) oder ob die Wohnanlage Eisberg (S. 264f.) und das noch in Bau befindliche Lighthouse (S. 268) auch nach 20 Jahren noch so als spektakulär empfunden werden wird wie heute. Bewundernswert ist in jedem Falle die Vielzahl von Schulen, öffentlichen Kultur- sowie Handels- und Gewerbebauten mit hohem architektonischem Anspruch. Es gibt aber auch die auf Nachhaltigkeit zielenden und soziale Aspekte berücksichtigenden Wohnsiedlungen (für die Dänemark vor allem in den 1980er Jahren berühmt war) wie Sandbakken von C.F.Møller und Paul le Fevre Jacobsen (1990, S.320) ebenso wie die Energieplushäuser von RUBOW Arkitekter und die Wohnsiedlung von Vandkunsten (2014-2017, S. 222f.), beide in Lisbjerg Bakke, einem neuen Stadtteil für 25.000 Einwohner im Nordwesten der Stadt.
Breiter Raum wird in dem Führer dem Universitäts-Campus eingeräumt – für die Architektur in Schleswig-Holstein nach 1945 der Schlüsselbau schlechthin. Das ursprüngliche Bebauungskonzept von Kay Fisker, C.F. Møller und Povl Stegmann aus den 1930er Jahren hat bis heute Bestand, Neubauten des Nachfolgebüros Møllers fügen sich nahtlos in das Ensemble ein ohne ihr Entstehungsjahr zu verleugnen (C.F. Møllers Architects, 83 ff.). Insbesondere für Kieler ist die Wiederfreilegung des Flusses Aarhus Å mit dem Åboulevarden (Stadsarkitektens Kontor und Birk Nielsens Tegnestue, 1996) von Interesse, gilt diese doch als Vorbild für den sogenannten „Kiel-Kanal“. Es gibt jedoch einen grundlegend Unterschied: Bei der Å handelt es sich wirklich um einen Fluss. (S.124) Nebenbei erfährt der Leser, dass Arne Jacobsen nur wenig angetan war vom Turm seines Rathauses, einer Inkunable der Moderne des 20. Jahrhunderts: „Der Turm sollte [nach Willen des Stadtrates] auf dem Rathaus stehen, und daher steht er nun auf diese verzweifelte Art und latscht mit seinen Beinen direkt durchs Dach. Man kann nicht behaupten, dass das die glücklichste architektonische Lösung sei.“ (S.34 f.)
Der Architekturführer leitet den Leser auf mehreren Routen durch die Stadt, wobei sicher noch mehr zu entdecken ist, denn die Stadt gab es ja schon vor 1900; man denke nur an die herrliche Domkirke! Mehrere intelligente Aufsätze bieten Hintergrundwissen über historische und baukulturelle Zusammenhänge. Nach dem Rathaus ist das Kunstmuseum ARoS das zweite beschriebene Objekt – bekrönt durch eine fulminante Installation von Olaf Eliasson. Allein diese ist einen Besuch von Aarhus wert – mit dem gut gemachten Architekturführer in der Tasche ist man bestens informiert!
AUF EINEN BLICK:
Heiko Weissbach: Architekturführer Aarhus.
332 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Grafiken.
38,00 EUR. DOM publishers. Berlin 2017
16.10.2017