Schleswig-Holstein im Hohen und Späten Mittelalter
von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner
Dass „Zukunft Herkunft braucht“, wie es der Philosoph Odo Marquard auf den Punkt gebracht hat, gehört zum Standardvokabular vieler Politiker und Planer. In der Praxis geht es aber nicht selten um pekuniäre Aspekte, und dann werden Gesichtspunkte wie Erhaltung und Sicherung historischer, die Identität unserer Städte und Dörfer prägenden historischen Zeugnisse und Spuren „weggewogen“. Häufig sind es aber auch Nichtwissen um schlichte Fakten oder das fehlendes Gespür der wirtschaftlichen, landschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge, die die Entwicklung unserer Städte geprägt haben und noch prägen.
Für zahlreiche Städte liegt eine große Fülle von qualitativ und inhaltlich unterschiedlichen Untersuchungen vor. Es fehlte jedoch eine Übersicht der Entwicklung in Schleswig-Holstein, denn für viele Autoren hörte Deutschland als Betrachtungsraum nördlich der Elbe oder Lübeck auf. Diesem Mangel wirkt nunmehr Dirk Meyer, als Geoarchäologe und Historiker an den Universitäten Kiel und Gießen lehrend, mit zwei Veröffentlichungen „Schleswig-Holstein im Frühen Mittelalter“ (2011) und in Fortsetzung dieser „Schleswig-Holstein im Hohen und Späten Mittelalter“ entgegen.
Meier behandelt nach einer Einführung in Landschaft und Klima im Wandel die Geschichte der Grafschaft Holstein (1100-1460) und des Herzogtums Schleswig (1100-1460). Es folgen Abschnitte über Kirchen und Klöster, die für das Land kulturell prägend waren und das Bild unserer Städte und Dörfer noch heute prägen. Im Abschnitt über den ländlichen Raum wird die historisch bedingte Unterschiedlichkeit der Kulturlandschaften Elbmarschen, der friesischen Harden oder Alt- und Ost-Holstein u.a. beschrieben. Für mehr im städtischen Raum tätige Planer dürfte der vorletzte und recht umfangreiche Abschnitt von Interesse sein, denn es geht um Ökonomie, Marktsiedlungen und Städte. Wenn heute immer wieder beklagt wird, Stadtplanung erfolge zu stark unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, muss stets bedacht werden, dass Städte ohne Handel und Gewerbe nie entstanden wären und überlebt hätten. Stadtgeschichte ist deshalb immer auch Wirtschaftsgeschichte. In mehreren Unterabschnitten werden die wichtigsten Städte wie Lübeck und Hamburg in Holstein, sowie Schleswig, Flensburg, Eckernförde und Husum und einige heute dänische Städte wie Ripen und Tondern behandelt. Ein letzter Abschnitt beschreibt die Krisen der mittelalterlichen Lebenswelt, darunter die Wüstung zahlreicher Dörfer (z.B. zu Beginn des 16. Jahrhunderts in 53 von 213 Dörfern in Lauenburg) oder die Starkregenfälle, Sturmfluten und Landverluste, sowie deren katastrophale Auswirkungen auf Siedlungen und Landschaft. Wenn man will, kann man darin durch die demografische Entwicklung und den Klimawandel bewirkte Parallelen zu heute erkennen.
Das Buch vermittelt anschaulich bedeutsame, auch heute noch wirksame Zusammenhange der Siedlungsentwicklung aus geoarchäologischer und historischer Sicht. Die Abbildungen sind nahezu durchgängig farbig, wenn auch teilweise etwas zu plakativ. Einem Architekten und Stadtplaner fehlen die für die Struktur der Siedlungen wichtigen Fragen der Bildung von Eigentumsverhältnissen und der damit zusammenhängenden Parzellenstruktur als „cantus firmus“ der Stadtentwicklung. Eine umfassende Stadtbaugeschichte steht damit noch aus. Als Einstieg in die hoch interessante Materie ist das Buch aber unverzichtbar.
AUF EINEN BLICK:
Schleswig-Holstein im Hohen und Späten Mittelalter, Landesausbau – Dörfer – Städte
Dirk Meier: Schleswig-Holstein im Hohen und Späten Mittelalter, Landesausbau – Dörfer – Städte.
286 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Boyens Buchverlag, 2012. 24,00 EUR