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„Planen und Bauen im Grenzraum“ – Innsbrucker Beiträge zur Baugeschichte

Text von Prof. D.-J. Mehlhorn

Haben Architektur und Städtebau etwas mit Politik zu tun? Während bei einer über das Objekt hinausgehenden städtebaulichen Planung die Zustimmung sicher sein dürfte, würden nicht wenige Objektplaner vermutlich dieses eher verneinen und auf die vielen technischen, funktionellen und finanziellen Aspekte hinweisen, die bei ihren Entwürfen maßgeblich waren. Wahrscheinlich werden wohl in einigen Jahren die Historiker die heutige Architektur mit ganz anderen Augen sehen und die Übereinstimmung oder Divergenzen gesellschaftspolitischer und formeller Aspekte konstatieren.

Sehr viel augenfälliger sind derartige Zusammenhänge in den Fällen, in denen sich die politischen Machtverhältnisse und die territoriale Zugehörigkeit einer Region abrupt geändert haben. Das war der Fall in der ehemaligen preußischen Provinz Schleswig-Holstein, als deren Nordteil 1920 zu Dänemark kam, ebenso wie im deutsch-französischen Grenzraum Elsass-Lothringen, aber auch in anderen Grenzräumen wie Posen-Westpreußen, die Bukowina, Südtirol und Trentino sowie in Triest. Es ist bezeichnend, dass das Thema der Grenzen wieder aktuell ist, glaubte man doch, Grenzen besäßen mindestens innerhalb Europas keine Bedeutung mehr. Die aktuelle Lage zeigt aber, dass das wohl eine Illusion war oder ist: Zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark gibt es wieder einen angeblich die Ausbreitung der Schweinepest von Deutschland nach Dänemark verhindern sollenden Grenzzaun. Im Südtirol tobt ein Namensstreit: „Provincia Autonoma de Bolzano“ mit oder ohne den Zusatz „Alto Adige“. Man denke auch an Katalonien oder Irland!

Vielleicht ist es dieser Aktualität evident nationalistischer Tendenzen und der Frage nach nationaler oder regionaler Identität in ganz Europa zuzuschreiben, dass sich der erste Band einer neuen Schriftenreihe des Arbeitsbereiches Baugeschichte und Denkmalpflege der Uni Innsbruck ausgerechnet diesem Thema widmet. Die darin versammelten Aufsätze gehen auf zwei Tagungen in Innsbruck und Dublin zurück, wo die Konsequenzen der politischen und territorialen Veränderungen in Architektur und Städtebau diskutiert wurden.

Leser in Norddeutschland werden vor allem die Ausführungen von Peter Dragsbø aus Sønderburg, über die Veränderungen der Architekturszene nach 1920 interessieren. Von Dragsbø liegt bereits ein umfangreicher Aufsatz im von Bernd Köster herausgegebenen Band „Grenzwerte Grænseværdier“ (2013) und der leider nur auf Dänisch verfasste Band „ Arkitektur til grænsen; Arkitektur og nation i europæiske grænselande 1850-1940“ (2014) vor. Dragsbø leitet auch den vorliegenden Band mit einer Übersicht über die Entwicklung in Europa ein.

Noch spannender als die Auseinandersetzungen beidseits der deutsch-dänischen Grenze sind die um das slowenische Vereinshaus Narodni Dom und die Italianisierung der slowenischen, 1918 von Österreich-Ungarn an Italien gekommenen Stadt Triest (Aufsatz von Monika Pemič), oder das „Tauziehen um das Stadtgesicht: französisch, deutsch, elsässisch?“ am Beispiel von Straßburg. In einer „Kaskade von Annexionen in der einen oder anderen Richtung“, d.h. die wechselnde nationale Zugehörigkeit 1871, 1918, 1940 und 1944/45. Nach jedem „Wechsel“ suchte die jeweils dominierende Macht ihre Vorstellung einer national gefärbten Stadtplanung und Architektur durchzusetzen, nicht immer mit Erfolg. Inzwischen ist die früher geschmähte deutsche Neustadt mit ihrer wilhelminischen Prachtarchitektur hochgeschätzt und 2017 in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen. (Aufsatz von Wolfgang Voigt) Mit Blick auf die neuerlichen Auseinandersetzungen in Südtirol (1919 an Italien) ist der Blick auf Bozen und deren Veränderungen während der faschistischen Herrschaft nicht weniger aufschlussreich, denn auch dort suchten die neuen Machthaber ihren Sieg baulich zu manifestieren. Die Architektursprache schwankt zwischen spätrömischem Monumentalismus (Siegesdenkmal, Bahnhof), Rationalismus (Sport- und Freizeitanlagen sowie Industriebau) und venezianischem Regionalismus (Wohnungsbau). Ein am ehem. Parteigebäude angebrachtes Relief zeigt noch heute den Duce hoch zu Ross als Sieger, durch eine neue Installation wird diese Szene allerdings konterkariert. (Aufsatz von Waltraud Kofler Engel)

Dragsbø beschließt seinen einführenden Aufsatz mit der Erwartung, dass das Kulturerbe mit der Entwicklung eines allgemeinen Bewusstseins über bestehende Grenzen hinweg zu einem gemeinsamen Kulturerbe werden möge. Dem ist nichts hinzufügen – viel Stoff zum Nachdenken zum politischen Charakter alles auch heute Gebauten!

Auf einen Blick: Klaus Tragbar und Volker Ziegler (Hrsg.): Planen und Bauen im Grenzraum; Planning and Building in Border Regions. Ibb+1 Innsbrucker Beiträge zur Baugeschichte Bd. 1. 215 Seiten mit zahlreichen s/w Abbildungen. 39,90 EUR. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2019

 

02.12.2019

 

 

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