Lübecker Klassizismus
Eine Monografie über den Architekten Joseph Christian Lillie
Dass der dänische Klassizismus um 1800 bis nach Hamburg und Mecklenburg ausstrahlte, ist durch Publikationen und Ausstellungen in den vergangenen Jahren verstärkt ins Bewusstsein gerückt. Die Aufmerksamkeit galt vor allem Christian Frederick Hansen, der als königlicher Bauinspektor für Holstein seit 1784 im damals dänischen Altona wirkte. Für wohlhabende Kaufleute errichtete er nicht nur Stadthäuser, sondern vor allem Villen an den Hängen der westlichen Elbvororte. In Hamburg arbeiteten der ebenfalls in Kopenhagen ausgebildete Johann August Arens sowie der auch in Kopenhagen tätige gebürtige Franzose Joseph Ramée.
Nun liegt auch eine fundierte Monografie über den Architekten Joseph Christian Lillie vor, dessen Schaffen bisher wenig erforscht war. 1760 in Kopenhagen geboren, studierte Lillie mit Erfolg an der dortigen Akademie, erhielt aber – anders als der wenig ältere Hansen – nicht ein Reisestipendium, das ihm den Besuch der antiken Stätten in Italien oder der Villen Palladios ermöglicht hätte. Inspiration musste Lillie mithin aus Vorlagenwerken gewinnen. Mit seinen zum Teil an englischen Vorbildern geschulten Möbeln aber war er bald schon so erfolgreich, dass er 1790 die eigens für ihn geschaffene Stelle eines „Hofdekorateurs“ erhielt.
Die Nähe zum Königshaus bewahrte ihn indes nicht vor dem Absturz: 1799 machte die Möbelwerkstatt Konkurs, und Lillie entzog sich seinen Gläubigern durch Flucht außer Landes. Hansen, der inzwischen in Norddeutschland viel beschäftigt war, half seinem Freund aus Akademietagen, indem er ihn als Bauleiter für das Projekt eines Herrenhauses im Herzogtum Lauenburg engagierte. Damit gab er den Anstoß für Lillies zweite Karriere: der als Architekt und Innenarchitekt.
In Lübeck ansässig, begann Lillie seine selbständige Tätigkeit um 1803 mit der klassizistischen Innengestaltung des heute als Museum genutzten Behnhauses. Verschiedene Umbauten und kleinere Neubauten schlossen sich an, im Jahr 1813 – dem letzten unter französischer Herrschaft – fungierte Lillie überdies als Lübecks Stadtbaumeister. Die wichtigsten Werke indes entstanden in der Folgezeit: Die von der Backsteingotik geprägte Hansestadt wandte sich dem Klassizismus dänischer Prägung zu.
Fassaden und Volumina sind bei Lillie weniger kräftig, also zurückhaltender ausgebildet als bei Hansen, im Inneren achtete er auf Wahrung der Symmetrie selbst bei komplizierten Grundrissdispositionen. In den Herrenhäusern im weiteren Lübecker Umfeld kulminierte Lillies Karriere: Schönfeld (1820), Lehsen (1822-24), Pritzier (1821-24) und Gudow (1824-28) sind dementsprechend ausführlich dokumentiert und bilden den eigentlichen Schwerpunkt der üppig mit Plan- und Bildmaterialien ausgestatteten Monografie.
Hubertus Adam
Ilsabe von Bülow: Joseph Christian Lillie (1760-1827). Ein Architektenleben in Norddeutschland. Deutscher Kunstverlag, München und Berlin 2007. 248 S., Fr. 98,–
entnommen: NZZ 13.03.2008