Humane Städte – Was macht die Stadt human oder lebenswert?
von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner
Wie soll eine humane Stadt aussehen? Was macht die Stadt überhaupt human oder lebenswert? Die Stadt des 19. Jahrhunderts, die bis vor kurzem als Sinnbild des Inhumanen galt. Daraus entstanden die Forderung nach Licht, Luft und Sonne und neue Leitbilder bis zur aufgelockerten und gegliederten Stadt, die eben diese Forderungen erfüllte, nicht aber das Bedürfnis nach dem Miteinander, Kommunikation und gestalterischer Vielfalt. Dass das nur eine verdichtete Struktur leisten könne, hatten schon Hans-Paul Bahrdt und Alexander Mitscherlich erkannt. In der Folgezeit hat man allerdings bauliche Dichte nur noch mit der Elle von GFZ, GRZ und Z gemessen, während sich die Einfamilienhausgebiete auf immer kleineren Grundstücken immer weiter ausdehnten.
Nun also gelten die rigiden Strukturen des 19. Jahrhunderts mit ihren geschlossenen Baublöcken zwischen geradlinigen Straße als Vorbilder des modernen Städtebaus. Die Hinwendung dazu kam in den 1990er Jahren, verstärkt durch die Charta von Leipzig 2007, die das Bild der „europäischen Stadt“ bemühte und Dichte wiederum als Kennzeichen der humanen Stadt postulierte – nunmehr aber im umfassenden Sinne, nicht allein der physischen Präsenz: multifunktional, vielfältig, sozial, verdichtet, kurze Wege, naturnah u.a. Diesem Credo ist das hier besprochene Buch verpflichtet.
Auf über 200 Seiten beschreibt Pårsson zehn Themen der Stadtumgestaltung:
- Erneuerung dichter Stadtgebiete,
- Ausdünnung dichter Stadtgebiete,
- Baulückenbebauung,
- Transformation von Stadtgebieten,
- Umbau von Gebäuden,
- Rekonstruktion von Stadtgebieten,
- Etablierung linearer Stadträume,
- Erneuerung von Ortszentren,
- Entwicklung neuer dichter Stadtgebiete und
- Verdichtung moderner Stadtgebiete.
Nach einer allgemeinen Einleitung in die Themen folgt die Verifizierung an Beispielen vornehmlich europäischer Metropolen wie Berlin, Hamburg, Kopenhagen und Barcelona, die kleinste Stadt ist Odense mit dem Rückbau einer stadtzerstörenden Straße und der Entwicklung eines neuen Ortszentrums. Wie man aber in der Eurocity Berlin mit einer GFZ bis zu 3.0 gesunde und einer Geschosszahl von VI Wohnverhältnisse schaffen will, bleibt unklar: Wer will dort in den unteren Geschossen mit Orientierung auf einen baulich geschlossenen Hof leben? (S. 2249) Wirklich beachtenswert sind die Beiträge über die Revitalisierung älterer Stadtteile, einschließlich Baulückenschließung und Umbau von älteren Gebäuden sowie die Transformation von ehemaligen Gewerbeflächen und deren Einbindung in die umgebende Stadtstruktur. In einigen Punkten fällt es allerdings schwer, dem Autor zu folgen, wenn er beispielsweise die Einfügung eines Sportplatzes in das Straßenraster der Spandauer Vorstadt von Berlin als Beispiel für die gelungene Rücksichtnahme auf das Straßenbild lobt. (S. 60) Das alles ist gut lesens- und ansehenswert und in hervorragender Qualität der teilweise zweiseitigen Abbildungen: ein umfassendes Spektrum der gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben der Stadtentwicklung.
Nicht ganz überzeugend ist der einleitende „historische Abriss“ (S. 11-31), der bei der Renaissancestadt ansetzend bis in die 1980er Jahre reicht. Die Ausführungen über das 19. Jahrhundert enthalten zahlreiche Pauschalisierungen, die sich in die anderen Beiträge fortsetzen. So wird u.a. von dem „lebhaften Treiben von Händlern, Bewohnern und spielenden Kindern“ auf den breiten Bürgersteigen mit den Wasserpumpen für die Haushalte und Pferde im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg geschwärmt. (S. 198) Das und was hinter den Fassaden geschah, wird jedoch nicht reflektiert. Wenn die Wohnverhältnisse damals so gut gewesen sein sollten, warum zog es die, die es sich leisten konnten, in die Vororte mit ihren Villen und Gärten? Die heute wertgeschätzten Qualitäten ergaben sich erst später aus der Ausdünnung, d.h. Entkernung und Abriss von Hinterhäusern. Hier wäre eine differenziertere Analyse vor allem in Hinblick darauf, dass das damals Geschaffene, später vehement Abgelehnte, nunmehr wieder Gelobte die Basis ist, für die Begründung des Rückgriffs auf die Stadt des 19. Jahrhunderts sicher hilfreich gewesen.
AUF EINEN BLICK:
Karsten Pålsson: Humane Städte; Stadtraum und Bebauung. 272 Seiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen. 28,00 EUR. DOM publishers. Berlin 2017
20.09.2018