Baukunst im Archiv
von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner
Die Sammlung der Akademie der Künste
Der Titel „Baukunst im Archiv“ irritiert auf den ersten Blick: Gehört Architektur nicht unter freien Himmel? Der Untertitel verrät, was gemeint ist: Architektur im Archiv bedeutet die Aufbewahrung von Plänen, Modellen, Fotografien von Bauwerken in fest verschlossenen Räumen ohne Tageslicht, üblicherweise benutzt nur von Bauforschern und selten zu sehen.
Die „Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften“ in Berlin wurde bereits 1704 gegründet. Eines der ersten Mitglieder – zugleich dem Direktorium angehörend – war der berühmte, später geächtete Schlossbaumeister Andreas Schlüter. Bereits von Anfang an wurden auch Dokumente der Baukunst gesammelt. Weil es 1743 zu einen Brand kam, haben sich die bis dahin gesammelten Bestände nicht erhalten. Aus der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhundert stammt dagegen glücklicherweise ein Konvolut von David Gilly und seinem genialen, früh verstorbenen Sohn Friedrich. Als 1799 die Architektenausbildung an der Akademie ausgegliedert wurde, endete auch die Sammlungstätigkeit, so dass es keine Bestände aus dem 19. Jahrhundert gibt.
Ein Neubeginn erfolgte 1956 mit der Einrichtung einer Abteilung Baukunst. Neben Hans Scharoun waren es die Gründungsmitglieder Hugo Häring, Werner Hebebrand und Max Taut, die ihre Archive als Erste in die Akademie einbrachten. Diese bilden den Kern der Sammlungen: von Scharoun allein 75 Meter Schriftgut, 95 Planschrankschübe, 433 Planrollen, etwa 25.000 Pläne und Zeichnungen und 13 Modelle.
Nach einführenden Beiträgen verdient vor allem der Hauptteil des Buches mit der Dokumentation des umfangreichen Bestandes Beachtung. Die Bestände werden entsprechend den Namen der Planverfasser aneinandergereiht. Jeder Architekt wird mit einer Kurzbiografie und der Nennung der wichtigsten Bauten gewürdigt. Daneben werden Hinweise auf das Archiv gegeben: Umfang, Inhalt, zeitlicher Rahmen und Zugang. Einen Blick in den Bestand erlauben die wiedergegebenen Zeichnungen, Fotos und Modelle.
Für den Leser eröffnet sich mit dem editorisch gut gemachten Buch ein weiter Blick auf die Entwicklung der modernen Architektur des 20. Jahrhunderts. Interesse verdienen vor allem die ersten Skizzen, die noch die ursprünglichen Vorstellungen des Architekten vermitteln: nicht wenige sind mit Farbstiften oder mit der Reißfeder gezeichnet – Techniken, die auszusterben drohen. Man vergleiche nur die heute „primitiv“ anmutende überzeichnete Fotomontage des Landtages in Hannover von Dieter Oesterlen mit modernen Renderings! Überzeugend dagegen noch heute die schwungvollen Zeichnungen von Erich Mendelsohn oder Skizzen von Chen Kuen Lee für das Haus Ketterer in Stuttgart! Diese vermitteln eher noch als die realisierten Bauwerke, die Philosophie des Gedachten. Denn jeder weiß, dass aufgrund verschiedenster Umstände das fertige Bauwerk – gelegentlich unter Protest des Architekten – nicht immer den ursprünglichen Überlegungen entspricht.
Auch wenn das Buch keine zusammenhängende Baugeschichte bietet, sondern wegen vieler Lücken nur Bausteine dafür, ergeben sich doch recht interessante Einblicke in den Ablauf und die Brüche der Entwicklung im vergangenen Jahrhundert. Hinzuweisen ist u.a. auf Hermann Henselmann, dessen Zeichnungen aus den ersten Nachkriegsjahren nicht ahnen lassen, dass er wenig später für die „Stalinallee“ in Berlin verantwortlich zeichnen sollte, um später zu einem platten Funktionalismus zu kommen. Glücklicherweise ist der Entwurf für die Friedrichstraße in Berlin Papier geblieben.
Bezüge zu unserem Land sind selten: Man erfährt u.a. auch, dass Henselmann 1926-1928 in Kiel bei Arnold Bruhn angestellt war. In das Archiv gelangten auch Entwurfszeichnungen von Friedrich Spengelin für die ehemals unter Denkmalschutz stehende, inzwischen verwüstete Bauschule in Eckernförde. Angesichts immer geringer werdender Halbwertzeiten von Gebautem muss befürchtet werden, dass Baukunst tatsächlich auf Dauer wohl nur noch auf Papier im Archiv sicht- und erlebbar sein wird! Bringen Architekten und Architektinnen wie Donata und Christoph Valentin oder Szyszkowitz-Kowalski deshalb bereits zu Lebzeiten ihre Arbeiten ins Archiv? Es ist doch gut, dass es Archive gibt! Wo bliebe sonst die Baukunst?
AUF EINEN BLICK:
Baukunst im Archiv; Die Sammlung der Akademie der Künste. Hrsg. von Eva-Maria Barkhofen im Auftrag der Akademie der Künste. Berlin.
560 Seiten mit zahlreichen farbigen und s./w. – Abb.
68,00 EUR. Verlag DOM publishers. Berlin 2016
16.10.2017