Tag der Architektur
und Ingenieurbaukunst
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Architekten- / Ingenieursuche

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Andere Publikationen

Architektenarchive bewerten. Kriterien für Sammlungen, Museen und den Kunstmarkt.

von Ulrich Höhns, Wissenschaftlicher Leiter des AAI

Die Autorin Eva-Maria Barkhofen ist Leiterin des Baukunstarchivs an der Akademie der Künste in Berlin. Zudem ist sie die einzige öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für architekturbezogene Kunst und Archivobjekte. Ihr aktuelles Buch richtet sich jedoch nicht ausschließlich an Fachleute in den Spezialsammlungen zum Thema, sondern auch an Architekten – und damit sind gleichermaßen alle anverwandten Planungsbereiche gemeint – oder an diejenigen, die über entsprechende Unterlagen aus der Arbeit eines Architekten verfügen und sich ein Bild verschaffen möchten, welche Archive dafür in Frage kommen, wie dort so ein Bestand „erschlossen“ wird, was wichtig und was unwichtig ist. Im ersten Kapitel wird die Frage gestellt, was eigentlich ein Architektenarchiv ist: es ist so unterschiedlich und vielfältig wie die Menschen, deren Arbeit es dokumentiert. Beispiele aus dem 19. und 20. Jahrhundert verdeutlichen diese Vielfalt, dazu den Wandel der Techniken, Ausdrucksformen, Medien. Und der „Handschrift“.

Im Augenblick verfügen die Facharchive, darunter auch das Schleswig-Holsteinische Archiv für Architektur und Ingenieurbaukunst (AAI), weitgehend oder wie das AAI ausschließlich über Dokumente, die als Zeichnung auf Papier, Modell, Fotografie, Akte oder Brief, auch als Privatbibliothek und Sammlung zu anderen Themen überliefert worden sind. Digitalisate solcher Dokumente sind die Ausnahme; born-digital Zeichnungen, also am Rechner entstandene und als Dateien vorliegende Arbeiten, sind noch nicht vorhanden. Sie aber bestimmen seit den 1990er-Jahren zunehmend und heute fast ausschließlich den Arbeitsalltag in den Büros. Auch diese elektronischen Unterlagen sind Architektenarchive, von denen einige eine Heimat in Architekturarchiven finden werden. Wie wir alle damit umgehen, was das für die Frage nach der Originalzeichnung bedeutet, ob es Skizzen, Vorstufen, Varianten gibt, die sich erhalten, wie eine dem Papier ebenbürtige Langzeitsicherung zu bewerkstelligen ist und welche urheberrechtlichen Fragen dabei berührt werden, sind offene Fragen und auf jeden Fall eine enorme Herausforderung für die Architektursammlungen. Und diese Fragen sind etwa bei den Jahrestagungen der „Föderation deutschsprachiger Architektursammlungen“, die die Autorin als unsere Sprecherin leitet, ein fester und zentraler Diskussionspunkt, der uns alle stets und mit wachsender Dringlichkeit beschäftigt. Der in der Praxis längst vollzogene, radikale Wandel in der „Produktion“ von Architekturzeichnungen stellt die Architektur sammelnden Institutionen bei deren Übernahme vor Probleme, die die meisten  aus eigener Kraft nicht lösen können.

Dies wird umso deutlicher, wenn die Autorin einen kurzen Abriss der Geschichte des Sammelns von Architekturzeugnissen liefert. Bedeutsam ist auch ihre Aussage, dass es unabhängig vom Medium nicht zielführend ist, Architektenarchive 1 : 1 zu übernehmen. Immer findet eine Auswahl statt, eine Bewertung und Einordnung, die nicht nur dem jeweiligen Werk so präzise und feinfühlig wie möglich gerecht wird, sondern auch dem Sammlungsauftrag des Archivs – und dessen Kapazitäten. Auch wenn dies letztlich niemals verbindlich zu regeln sein wird, so stellt die Autorin dennoch einige handhabbare Eckdaten für die Erstellung von Bewertungskriterien für Architekturzeugnisse vor. Diese Passagen sind vor allem für Architekten hilfreich, die sich mit dem Gedanken tragen, ihr Werk einem Archiv anzuvertrauen. Es wird der mögliche Weg beschrieben, wie so etwas vonstatten geht und wie eine gemeinsame Auswahl getroffen werden kann. Der methodische Ansatz stellt als erstes Bewertungskriterium die Bedeutung eines Vor- oder Nachlasses für den jeweiligen Sammlungsauftrag in den Raum. Es folgen die Bedeutung für die Zeit- / Baugeschichte und der Wert für die Wissenschaft, die Bedeutung innerhalb des Werkes, in künstlerischer Hinsicht, für die Stadt-/Ortsgeschichte – und schließlich wird auch der Erhaltungszustand der Unterlagen als Kriterium angeführt. Denn unabhängig von ihrer gestalterischen Qualität und Aussage können Pläne unter Umständen nicht in ein Archiv übernommen werden, weil ihr materieller Zustand zu schlecht ist und eine Restaurierung unmöglich oder unverhältnismäßig wäre.

Dieses Schicksal wird born-digital Dokumente nicht ereilen. Sie existieren als Dateien, die gesichert und gepflegt werden müssen und auf Datenträgern fortbestehen – für wie lange allerdings, weiß heute niemand.

Eva-Maria Barkhofen: Architektenarchive bewerten. Kriterien für Sammlungen, Museen und den Kunstmarkt. 108 Seiten, 130 Abbildungen. DOM publishers, Berlin 2018. 28,00 Euro

 

 

 
Baukunst im Archiv

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

Die Sammlung der Akademie der Künste

Der Titel „Baukunst im Archiv“ irritiert auf den ersten Blick: Gehört Architektur nicht unter freien Himmel? Der Untertitel verrät, was gemeint ist: Architektur im Archiv bedeutet die Aufbewahrung von Plänen, Modellen, Fotografien von Bauwerken in fest verschlossenen Räumen ohne Tageslicht, üblicherweise benutzt nur von Bauforschern und selten zu sehen.

Die „Akademie deCover_Baukunst im Archiv_klr Künste und mechanischen Wissenschaften“ in Berlin wurde bereits 1704 gegründet. Eines der ersten Mitglieder – zugleich dem Direktorium angehörend – war der berühmte, später geächtete Schlossbaumeister Andreas Schlüter. Bereits von Anfang an wurden auch Dokumente der Baukunst gesammelt. Weil es 1743 zu einen Brand kam, haben sich die bis dahin gesammelten Bestände nicht erhalten. Aus der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhundert stammt dagegen glücklicherweise ein Konvolut von David Gilly und seinem genialen, früh verstorbenen Sohn Friedrich. Als 1799 die Architektenausbildung an der Akademie ausgegliedert wurde, endete auch die Sammlungstätigkeit, so dass es keine Bestände aus dem 19. Jahrhundert gibt.

Ein Neubeginn erfolgte 1956 mit der Einrichtung einer Abteilung Baukunst. Neben Hans Scharoun waren es die Gründungsmitglieder Hugo Häring, Werner Hebebrand und Max Taut, die ihre Archive als Erste in die Akademie einbrachten. Diese bilden den Kern der Sammlungen: von Scharoun allein 75 Meter Schriftgut, 95 Planschrankschübe, 433 Planrollen, etwa 25.000 Pläne und Zeichnungen und 13 Modelle.

Nach einführenden Beiträgen verdient vor allem der Hauptteil des Buches mit der Dokumentation des umfangreichen Bestandes Beachtung. Die Bestände werden entsprechend den Namen der Planverfasser aneinandergereiht. Jeder Architekt wird mit einer Kurzbiografie und der Nennung der wichtigsten Bauten gewürdigt. Daneben werden Hinweise auf das Archiv gegeben: Umfang, Inhalt, zeitlicher Rahmen und Zugang. Einen Blick in den Bestand erlauben die wiedergegebenen Zeichnungen, Fotos und Modelle.

Für den Leser eröffnet sich mit dem editorisch gut gemachten Buch ein weiter Blick auf die Entwicklung der modernen Architektur des 20. Jahrhunderts. Interesse verdienen vor allem die ersten Skizzen, die noch die ursprünglichen Vorstellungen des Architekten vermitteln: nicht wenige sind mit Farbstiften oder mit der Reißfeder gezeichnet – Techniken, die auszusterben drohen. Man vergleiche nur die heute „primitiv“ anmutende überzeichnete Fotomontage des Landtages in Hannover von Dieter Oesterlen mit modernen Renderings! Überzeugend dagegen noch heute die schwungvollen Zeichnungen von Erich Mendelsohn oder Skizzen von Chen Kuen Lee für das Haus Ketterer in Stuttgart! Diese vermitteln eher noch als die realisierten Bauwerke, die Philosophie des Gedachten. Denn jeder weiß, dass aufgrund verschiedenster Umstände das fertige Bauwerk – gelegentlich unter Protest des Architekten – nicht immer den ursprünglichen Überlegungen entspricht.

Auch wenn das Buch keine zusammenhängende Baugeschichte bietet, sondern wegen vieler Lücken nur Bausteine dafür, ergeben sich doch recht interessante Einblicke in den Ablauf und die Brüche der Entwicklung im vergangenen Jahrhundert. Hinzuweisen ist u.a. auf Hermann Henselmann, dessen Zeichnungen aus den ersten Nachkriegsjahren nicht ahnen lassen, dass er wenig später für die „Stalinallee“ in Berlin verantwortlich zeichnen sollte, um später zu einem platten Funktionalismus zu kommen. Glücklicherweise ist der Entwurf für die Friedrichstraße in Berlin Papier geblieben.

Bezüge zu unserem Land sind selten: Man erfährt u.a. auch, dass Henselmann 1926-1928 in Kiel bei Arnold Bruhn angestellt war. In das Archiv gelangten auch Entwurfszeichnungen von Friedrich Spengelin für die ehemals unter Denkmalschutz stehende, inzwischen verwüstete Bauschule in Eckernförde. Angesichts immer geringer werdender Halbwertzeiten von Gebautem muss befürchtet werden, dass Baukunst tatsächlich auf Dauer wohl nur noch auf Papier im Archiv sicht- und erlebbar sein wird! Bringen Architekten und Architektinnen wie Donata und Christoph Valentin oder Szyszkowitz-Kowalski deshalb bereits zu Lebzeiten ihre Arbeiten ins Archiv? Es ist doch gut, dass es Archive gibt! Wo bliebe sonst die Baukunst?

 

AUF EINEN BLICK:

Baukunst im Archiv; Die Sammlung der Akademie der Künste. Hrsg. von Eva-Maria Barkhofen im Auftrag der Akademie der Künste. Berlin.
560 Seiten mit zahlreichen farbigen und s./w. – Abb.
68,00 EUR. Verlag DOM publishers. Berlin 2016

 

16.10.2017

 
Bordesholmer Haus

Zum Thema Regionales Bauen erschien im Sommer 2022 die Broschüre „Bordesholmer Haus – alte Werte neu entdecken“.

Stöbern Sie gern in der anliegenden Broschüre , entdecken Sie mehr zu dem Thema und erfahren mehr über Ideen und das Projekt der Fachhochschule Kiel etc. 

 
Die offene Stadt. Eine Ethik des Bauens und des Bewohnens.

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

Walter Siebel vermutet in „Die Kultur der Stadt“ (2013), der Islam sei wohl dann in Deutschland angekommen, wenn „neben den Sieben Kirchtürmen in der Silhouette von Lübeck auch ein Minarett zu sehen“ sei und diese Präsenz des Anderen auch akzeptiert würde. Verbunden ist damit die Frage, wie offen die Gesellschaft für unterschiedliche Identitäten sei. Das scheint allgemein noch nicht der Fall zu sein: Die Konflikte um Kopftuch auf der Straße und Minarette im Stadtbild lassen dieses deutlich erkennen.

Der Frage nach Offenheit für Neues und Anderes geht auch Richard Sennet in seinem Buch „Die offene Stadt“ nach. Er vollendet damit eine Trilogie „Homo Faber“: Handwerk (2006) und Zusammenarbeit (2012). Ausgangspunkt ist die simple Frage: Wie schaffen es die zwei Drittel Erdbewohner, die 2050 in Städten leben werden, trotz unterschiedlicher kultureller und religiöser Hintergründe friedlich miteinander auszukommen. Die Frage ist nicht neu und die Antwort, eine Stadt solle so offen sein, dass alle auf uns einstürmenden Veränderungen nicht nur akzeptiert, sondern – besser noch – Vielfalt, Veränderung auch Unordnung als Bereicherung des städtischen Lebens empfunden werden, ist schon anderenorts (beispielsweise durch Jane Jacobs) versucht worden zu beantworten. Sennett stellt sich eine Stadt der Offenheit und Komplexität vor, die es allen Gruppen ermöglicht, hier Lebensraum zu finden. Die Frage ist allerdings, wie man das erreichen und wie man die unterschiedlichen Interessen ausbalancieren kann, damit es eben nicht zu Auseinandersetzungen kommt, wie es täglich durch die Medien vermittelt wird.

Sennet sieht eine Lösung darin, Städtebau und Architektur stärker als bisher von unten her zu entwickeln und Offenheit für noch nicht Bekanntes zu wahren, d.h. insbesondere durch die Bewohner einer Stadt und die Nutzer des Gebauten. Auch das ist nicht neu: Partizipation der Beteiligten und offene Planungsprozesse sind aus der heutigen Planungspraxis nicht wegzudenken. In einem Interview mit der ZEIT bekundet Sennet seine Skepsis gegen über den Politikern, deren Geschäft es sei, Kompromisse zu suchen, statt neue Ideen zu entwickeln. Er glaube auch nicht an Masterpläne: „Die Einstellung, dass alles kontrolliert werden muss, gefällt mir nicht. Ich glaube an eine Stadtplanung, die mehr dem Aussäen auf einem Acker gleicht, auf dass dort etwas von unten wachsen kann.“ Das klingt alles sehr schön, scheint aber doch realitätsfremd zu sein, wenn man die Auseinandersetzungen unterschiedlicher Interessen vor Ort in Augenschein nimmt. Ohne ein Mindestmaß an Zielorientierung und Planung geht es wohl nicht. Und Masterpläne sind heutzutage so angelegt und offen formuliert, dass sie – ändern sich die Voraussetzungen – flexibel gehandhabt und fortgeschrieben werden können.

 Insgesamt ist das Buch ein wichtiger, neuer Anstoß, immer wieder über das Wesen der Stadt heute und in Zukunft nachzudenken. Trotz des Rückgriffs auf die gesamte europäische Kulturgeschichte ist die bereits im Titel des Buches ausgedrückte Forderung nach mehr Offenheit ziemlich weitschweifig und weder neu noch widerspruchsfrei dargelegt. Zweifel sind angesagt, ob „Städte wie Äcker wachsen sollten“. Dagegen stimmt der Rezensent der Überzeugung zu, dass Widersprüche das urbane Leben nicht einengen, sondern doch eher bereichern und auch nicht von der bestgemeinten Planung weggedrückt werden sollten.

Auf einen Blick: Richard Sennet: DIE OFFENE STADT, Eine Ethik des Bauens und des Bewohnens. 400 Seiten s/w Abbildungen, 32,00 Euro. Hanser Verlag Berlin 2018

 

 

 
Ein nicht so ernstes Architekturbuch … oder doch?

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

Dass die Verfallsdaten moderner Architektur immer kürzer werden, hat sich vermutlich inzwischen herumgesprochen. Man denke nur an den Palast der Republik in Berlin-Mitte: Baubeginn 1976, Abbruch trotz Denkmalschutz 2003. In Kiel blieben dem Woolworth-Haus 26 Jahre, dem Haus der Kirche in der Eggerstedtstraße nicht einmal so viele. Das ist inzwischen Alltag, man beginnt sich daran zu gewöhnen…Cover_ArchiFlop_kl

Spektakulärer sind dagegen die Projekte, die Biamonti – Architekt und Dozent für Design an der Polytechnischen Hochschule Mailand – gesammelt hat. Es handelt sich dabei um hypertrophe Bauwerke, auf die man sicher gern verzichten kann – wären sie doch niemals gebaut worden! Wie Kowloo Walled City in Honkong, eine Agglomeration von 300 Hochhäusern für 33.000 Personen – angeblich ohne Architekten und Ingenieure, wer waren die Verantwortlichen? Oder Neft Dashlari in Aserbaidschan, eine kleine Stadt mitten im Kaspischen Meer, 42 km von der Küste entfernt. Ähnlich Hashima in Nagasaki – hier erfolgte die Ansiedlung von Minenarbeitern auf einer bis dahin unbewohnten Insel mit einer Bevölkerungsdichte von 3.250 EW/ha! Die Siedlung wurde schließlich mit Schließung der Mine aufgegeben. Es gibt aber auch die Spekulationsobjekte wie die Nova Cidade de Kilambia in Luanda/ Angola: eine von den Chinesen aus dem Boden gestampfte Wohnstadt mit etwa 2800 Wohnungen – 300 sind davon bisher bewohnt, eine Geisterstadt oder ein Überangebot an Wohnraum, von dem die Wohnungsdezernenten unserer Städte nur träumen können. Auch andere chinesische Siedlungen, nicht selten als Kopien europäischer Städte, einschließlich Eiffelturm und Champs Élysées, bleiben leer und werden allmählich durch Baracken und Wohncamps überformt.

Nicht fertig gestellt wurden der Abraham-Lincoln-Turm in Rio de Janeiro oder das Ryugyong-Hotel in Pjöngjang/Norkorea. Eine Fehlplanung der 1980er Jahre war die Metrolinie Chátelet in Charleroi/Belgien, deren Bahnhöfe nie einen Passagier gesehen haben und vor sich hinrotten. Zu denken geben die einst viel gepriesenen Vergnügungsparks, Einkaufszentren oder Hotels, die kurz nach Fertigstellung ihren Glamour verloren hatten und geschlossen werden mussten.

In Deutschland ist es u.a. der Spreepark in Berlin, in den USA Cinderella City Mall in Englewood, in Japan Nara Dreamland in Nara/Japan. Man müsste vielen dieser Projekte, die mit obskuren Investoren, mit oder ohne Architekten, gegen alle Regeln der Baukunst und des Baurechts errichtet worden sind, keine Träne nachweinen, wüsste man nicht, dass sie nicht selten von staatlichen Stellen hingenommen oder sogar gefördert wurden und welche ökonomischen und humanen Ressourcen dadurch vergeudet worden sind. Einige der dokumentierten Projekte haben sich durch ihren morbiden Charme inzwischen zu attraktiven Szenerien für Film und Fernsehen und zu Touristenmagneten entwickelt. Man wüsste gern, welche Projekte Biamontis auf seiner sicher umfangreichen Tentativliste für eine Neuauflage seines Buches hat. Schleswig-Holstein ist bisher noch nicht dabei.

Biamonti listet nicht nur gescheiterte Projekte auf und schildert deren Genese, sondern fordert zugleich auf, Probleme als Chance für eine Neunutzung zu begreifen. Ja, es gibt Vorschläge dafür wie z.B. ein marodes Hochhauses in Mailand zum vertikalen Stadtpark umgestaltet werden könnte – nur Pech, dass es private Eigentümer hat und jene sicher andere Interessen haben. Gleichwohl ein interessantes Buch über die Kurzlebigkeit heute, scheinbar unverzichtbarer, morgen schon obsoleter Ansprüche.

 

AUF EINEN BLICK:

Alessandro Biamonti: ArchiFlop, Gescheiterte Visionen;
Die spektakulärsten Ruinen der modernen Architektur.
191 S. mit zahlreichen Abb. 29,95 EUR.
DVA Deutsche Verlags-Anstalt.
München 2017

 

16.10.2017

 
Fahr Rad

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

Cover_Fahr Rad

Als im 19. Jahrhundert das Auto erfunden wurde und dieses den Verkehr mit Pferdewagen inklusive Gestank und Lärm abzulösen begann, galt es als zivilisatorische Leistung, die Städte vor dem zunehmenden Verkehr zu retten. Heute wissen wir es besser: Vor allem der motorisierte Individualverkehr ist ein wesentlicher Verursacher der globalen Umweltverschmutzung und massiver Probleme vieler Städte. Auch die Feuilletons großer Wochenzeitschriften stellen die besorgte Frage, ob es eigentlich nicht auch anders ginge? (DIE ZEIT, 28.06.2018). Im Fokus des allgemeinen Interesses steht dabei die Förderung des Radverkehrs. Wer in letzter Zeit im Fernsehen Filme zum Thema „Verkehrswende“ gesehen hat, konnte sehen, wie die Kopenhagener selbst bei Eiseskälte das Fahrrad benutzen. Es waren wetterresistente Personen zu sehen, die mit eisverkrusteten Bärten zur Arbeit fahren und allem klimatischem Unbill trotzen. Nicht zu sehen war allerdings, wie sie am Ziel sich von Eis und Schmutz befreiten und in den Büroalltag einstiegen. Gab es dort eine Enteisungsvorrichtung oder wie befreiten sich die Radfahrer von Dreck und Eis? Nicht wenige Reporter berufen sich auf Jan Gehl, der weltweit als einer der Vorreiter für eine andere, humane Stadt- und Verkehrspolitik gilt. Es wundert nicht, dass er auch in diesem Buch zu Wort kommt.

Noch bis zum 2. September 2018 zeigt das DAM Deutsches Architektur Museum in Frankfurt am Main eine sehenswerte Ausstellung, die sich mit der Entwicklung des Radverkehrs in ganz Europa beschäftigt. Wer nicht zur Ausstellung fahren kann (mit Rad?) oder will, hat die Möglichkeit, sich mit dem hier rezensierten, ansehens- wie auch lesenswerten Buch zu beschäftigen.

Kern der Publikation sind die Darstellungen von vorbildlichen Städten, natürlich Kopenhagen, aber auch Karlsruhe, Oslo, Barcelona und Portland mit klugen Beschreibungen, schönen Bildern und informativen Plänen. Die Betrachtung so schön gestalteter Radwege wie in Portland (Max Orange Line in Portland, S. 124 ff.) oder kühner Brückenbauwerke in Kopenhagen (Butterfly- und Åbuen-Brücke, S. 152 ff.) kann schon neidisch machen, vergleicht man diese mit der hiesigen Situation. Ergänzt werden diese Highlights durch kurzgefasste Beiträge weiterer Projekte zwischen Amsterdam (S. 184) und Xiamen in China (S. 268). Man sieht: Das Radfahren ist weltweit eine Alternative zum Auto!

Gegenüber dem Ausstellungsbesucher hat der Leser des Buches den Vorteil, sich auch über kleinere Essays mit grundsätzlichen Fragen des Stadtverkehrs und speziell die Substituierung des Autos durch das Fahrrad zu beschäftigen: Thomas Kosche beschreibt die Geschichte des bei seiner Einführung noch als „Störung der öffentlichen Ordnung“ geltenden Fahrrads. (S. 22ff.). Kees Christiansen schildert seine Erfahrungen als Radfahrer (S. 50ff.), Barbara Lenz stellt die Frage, wem der öffentliche Raum gehöre (S. 62 ff.). Allgemeiner werden Ludger Koopmann und Ulrike Reutter, die das Fahrrad als Schlüssel zur urbanen Verkehrswende beschreiben (S. 98 ff. und S. 142 ff.) und Christiane Thalgott, frühere Stadtplanerin von Norderstedt, Kassel und München, stellt sicher zu Recht fest, dass noch viel zu tun sei. (S. 118) Aufschlussreich ist auch ein Interview mit Jan Gehl, in dessen humanistischen Weltbild Radfahrer eine Art von Personen sind, die nur etwas schneller als andere Menschen sind. Durch ihre stete Präsenz im Straßenraum beleben sie diesen und bilden ein wesentliches Element einer vitalen Stadt. (S. 172 ff.)

Die großartigen und, faszinierenden, die jeweiligen Städte und Landschaften durchquerenden Fahrradtrassen lassen allerdings die Probleme des Alltags (wie kommt ein Kind gefahrlos zur Schule oder eine ältere Person zum Seniorenclub?) in den Hintergrund treten. Die Vernetzung der quartiers- und stadtteilbezogenen Wegenetze mit den Schnelltrassen ist ein Gebot der Verkehrsgerechtigkeit, aber sicher bei Weitem nicht so spektakulär, wie die publizierten Beispiele. Nicht ganz verständlich ist die Aufnahme zahlreicher längst fertiggestellter Fahrradanlagen in die Liste von Projekten (gem. Duden: „Entwurf, Vorhaben“). Nichtsdestotrotz: ein schönes Buch, das auf den Tisch jedes Stadt-und Verkehrsplaners sowohl Kommunalpolitikers gehört, und eine imperative Anregung für alle ist: „Fahr Rad!“ 

AUF EINEN BLICK:

Annette Becker, Stefanie Lampe, Lessano Negussie und Peter Cachola Schmal (Hg.): Fahr Rad!, Die Rückeroberung der Stadt. 278 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. 49,95 EUR. Birkhäuser Verlag, Basel 2018

 

20.09.2018

 
Humane Städte – Was macht die Stadt human oder lebenswert?

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner 

Cover_Humane StaedteWie soll eine humane Stadt aussehen? Was macht die Stadt überhaupt human oder lebenswert? Die Stadt des 19. Jahrhunderts, die bis vor kurzem als Sinnbild des Inhumanen galt. Daraus entstanden die Forderung nach Licht, Luft und Sonne und neue Leitbilder bis zur aufgelockerten und gegliederten Stadt, die eben diese Forderungen erfüllte, nicht aber das Bedürfnis nach dem Miteinander, Kommunikation und gestalterischer Vielfalt. Dass das nur eine verdichtete Struktur leisten könne, hatten schon Hans-Paul Bahrdt und Alexander Mitscherlich erkannt. In der Folgezeit hat man allerdings bauliche Dichte nur noch mit der Elle von GFZ, GRZ und Z gemessen, während sich die Einfamilienhausgebiete auf immer kleineren Grundstücken immer weiter ausdehnten.

Nun also gelten die rigiden Strukturen des 19. Jahrhunderts mit ihren geschlossenen Baublöcken zwischen geradlinigen Straße als Vorbilder des modernen Städtebaus. Die Hinwendung dazu kam in den 1990er Jahren, verstärkt durch die Charta von Leipzig 2007, die das Bild der „europäischen Stadt“ bemühte und Dichte wiederum als Kennzeichen der humanen Stadt postulierte – nunmehr aber im umfassenden Sinne, nicht allein der physischen Präsenz: multifunktional, vielfältig, sozial, verdichtet, kurze Wege, naturnah u.a. Diesem Credo ist das hier besprochene Buch verpflichtet.

Auf über 200 Seiten beschreibt Pårsson zehn Themen der Stadtumgestaltung:

  • Erneuerung dichter Stadtgebiete,
  • Ausdünnung dichter Stadtgebiete,
  • Baulückenbebauung,
  • Transformation von Stadtgebieten,
  • Umbau von Gebäuden,
  • Rekonstruktion von Stadtgebieten,
  • Etablierung linearer Stadträume,
  • Erneuerung von Ortszentren,
  • Entwicklung neuer dichter Stadtgebiete und
  • Verdichtung moderner Stadtgebiete.

Nach einer allgemeinen Einleitung in die Themen folgt die Verifizierung an Beispielen vornehmlich europäischer Metropolen wie Berlin, Hamburg, Kopenhagen und Barcelona, die kleinste Stadt ist Odense mit dem Rückbau einer stadtzerstörenden Straße und der Entwicklung eines neuen Ortszentrums. Wie man aber in der Eurocity Berlin mit einer GFZ bis zu 3.0 gesunde und einer Geschosszahl von VI Wohnverhältnisse schaffen will, bleibt unklar: Wer will dort in den unteren Geschossen mit Orientierung auf einen baulich geschlossenen Hof leben? (S. 2249) Wirklich beachtenswert sind die Beiträge über die Revitalisierung älterer Stadtteile, einschließlich Baulückenschließung und Umbau von älteren Gebäuden sowie die Transformation von ehemaligen Gewerbeflächen und deren Einbindung in die umgebende Stadtstruktur. In einigen Punkten fällt es allerdings schwer, dem Autor zu folgen, wenn er beispielsweise die Einfügung eines Sportplatzes in das Straßenraster der Spandauer Vorstadt von Berlin als Beispiel für die gelungene Rücksichtnahme auf das Straßenbild lobt. (S. 60) Das alles ist gut lesens- und ansehenswert und in hervorragender Qualität der teilweise zweiseitigen Abbildungen: ein umfassendes Spektrum der gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben der Stadtentwicklung.

Nicht ganz überzeugend ist der einleitende „historische Abriss“ (S. 11-31), der bei der Renaissancestadt ansetzend bis in die 1980er Jahre reicht. Die Ausführungen über das 19. Jahrhundert enthalten zahlreiche Pauschalisierungen, die sich in die anderen Beiträge fortsetzen. So wird u.a. von dem „lebhaften Treiben von Händlern, Bewohnern und spielenden Kindern“ auf den breiten Bürgersteigen mit den Wasserpumpen für die Haushalte und Pferde im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg geschwärmt. (S. 198) Das und was hinter den Fassaden geschah, wird jedoch nicht reflektiert. Wenn die Wohnverhältnisse damals so gut gewesen sein sollten, warum zog es die, die es sich leisten konnten, in die Vororte mit ihren Villen und Gärten? Die heute wertgeschätzten Qualitäten ergaben sich erst später aus der Ausdünnung, d.h. Entkernung und Abriss von Hinterhäusern. Hier wäre eine differenziertere Analyse vor allem in Hinblick darauf, dass das damals Geschaffene, später vehement Abgelehnte, nunmehr wieder Gelobte die Basis ist, für die Begründung des Rückgriffs auf die Stadt des 19. Jahrhunderts sicher hilfreich gewesen. 

AUF EINEN BLICK:

Karsten Pålsson: Humane Städte; Stadtraum und Bebauung. 272 Seiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen. 28,00 EUR. DOM publishers. Berlin 2017

 

20.09.2018

 

 
Kieler Stadtteile

Düsternbrook und der Kieler Norden

Rolf Reiner Maria Borchard hat einen opulenten Bildband über den Kieler Stadtteil Düsternbrook und den Kieler Norden herausgebracht, der einen teilweise neuen und überraschenden Blick auf die Landeshauptstadt eröffnet.

Der empfehlenswerte Band ist der zweite von sechs geplanten Bänden, von denen bisher Band 1 über Ellerbek, Wellingdorf, Neumühlen-Dietrichsdorf erschienen ist. Die weiteren Bände widmen sich

  • Holtenau bis Schilksee
  • Gaarden und Elmschenhagen
  • Mettenhof und dem Kieler Westen
  • Der Kieler Mitte

Sie sollen im Jahresrhythmus erscheinen. Rolf Reiner Maria Borchard, ehemaliger Professor an der Muthesius-Hochschule, sagt in seinem Vorwort:

„Die Stadt ist niemals ohne Grund so. Sie ist das Ereignis der Topographie, der Bodenbeschaffenheit, der Bewirtschaftung, des Eigentums und der Spekulation wie der Gesetze, Ereignis des Wohlstands und der Armut, des Verkehrs, von Kriegen und Feuersbrünsten und Gegenstand der Planung meist nur, wenn Veränderungen sich ankündigen. … Manche Straßen sind erregend schön, manche langweilig, einige sind schweigsam auch sprachgestört, andere geschwätzig.“ Dies schreibt der Architekturkritiker Manfred Sack in seinem Aufsatz „Gerahmte Bilder“ und formuliert damit, welche Vielfalt von Ereignissen hinter den Fotos in diesem Bildband stehen können.

In der Geschäftigkeit des Alltags, wenn alle Dinge so schnell wie möglich erledigt werden müssen, kommt man nicht dazu, die Umgebung genau zu betrachten und den Lebensraum zu reflektieren. Beim Durchblättern des Bildbandes bietet sich die Möglichkeit, die Landeshauptstadt Kiel zwischen Brunswik und dem Nord-Ostsee-Kanal mit ihren architektonischen und städtebaulichen Eigenarten, Ecken, Kanten und Schönheiten zu studieren.

Mit dem Stadtraum verhält es sich anders als mit dem parzellierten Besitz des Bürgers. Der Stadtraum (wenn wir hier mal das Eigentum von Bund, Land und Stadt außer Acht lassen) gehört der Allgemeinheit, also allen. Er muss nur erst entdeckt werden. Der Bürger muss sich den Stadtraum Schritt für Schritt oder im Sinne des Buches Bild für Bild aneignen – erst dann gehört die Stadt als Lebensraum dem Bürger.

Die Eroberung des eigenen Lebensraumes führt über das einfache Sehen, sachliche Erkennen, über die vergleichende wie metaphorische Interpretation zur Identifikation mit der Stadt sowohl im gestalterischen, kulturellen als auch wirtschaftlichen Sinne. Das gilt für den Bürger wie für den Stadtplaner, der erst nach der Verknüpfung der sich überlagernden Wahrnehmungsebenen zum Planen berechtigt ist. Es geht um die Verbesserung des öffentlichen Raumes durch unendlich viele Einzelschritte mit dem Ziel, große erlebbare Zusammenhänge zu schaffen. Die Schönheit der Bilder genießen und die Bilder für die städtebauliche Grundlagenarbeit zu nutzen schließt sich nicht aus.

Das Buch ist über den Buchhandel zu beziehen unter der ISBN-Nr. 978-3-00-022705-9

 
Lübecker Klassizismus

Eine Monografie über den Architekten Joseph Christian Lillie

Dass der dänische Klassizismus um 1800 bis nach Hamburg und Mecklenburg ausstrahlte, ist durch Publikationen und Ausstellungen in den vergangenen Jahren verstärkt ins Bewusstsein gerückt. Die Aufmerksamkeit galt vor allem Christian Frederick Hansen, der als königlicher Bauinspektor für Holstein seit 1784 im damals dänischen Altona wirkte. Für wohlhabende Kaufleute errichtete er nicht nur Stadthäuser, sondern vor allem Villen an den Hängen der westlichen Elbvororte. In Hamburg arbeiteten der ebenfalls in Kopenhagen ausgebildete Johann August Arens sowie der auch in Kopenhagen tätige gebürtige Franzose Joseph Ramée.

Nun liegt auch eine fundierte Monografie über den Architekten Joseph Christian Lillie vor, dessen Schaffen bisher wenig erforscht war. 1760 in Kopenhagen geboren, studierte Lillie mit Erfolg an der dortigen Akademie, erhielt aber – anders als der wenig ältere Hansen – nicht ein Reisestipendium, das ihm den Besuch der antiken Stätten in Italien oder der Villen Palladios ermöglicht hätte. Inspiration musste Lillie mithin aus Vorlagenwerken gewinnen. Mit seinen zum Teil an englischen Vorbildern geschulten Möbeln aber war er bald schon so erfolgreich, dass er 1790 die eigens für ihn geschaffene Stelle eines „Hofdekorateurs“ erhielt.

Die Nähe zum Königshaus bewahrte ihn indes nicht vor dem Absturz: 1799 machte die Möbelwerkstatt Konkurs, und Lillie entzog sich seinen Gläubigern durch Flucht außer Landes. Hansen, der inzwischen in Norddeutschland viel beschäftigt war, half seinem Freund aus Akademietagen, indem er ihn als Bauleiter für das Projekt eines Herrenhauses im Herzogtum Lauenburg engagierte. Damit gab er den Anstoß für Lillies zweite Karriere: der als Architekt und Innenarchitekt.

In Lübeck ansässig, begann Lillie seine selbständige Tätigkeit um 1803 mit der klassizistischen Innengestaltung des heute als Museum genutzten Behnhauses. Verschiedene Umbauten und kleinere Neubauten schlossen sich an, im Jahr 1813 – dem letzten unter französischer Herrschaft – fungierte Lillie überdies als Lübecks Stadtbaumeister. Die wichtigsten Werke indes entstanden in der Folgezeit: Die von der Backsteingotik geprägte Hansestadt wandte sich dem Klassizismus dänischer Prägung zu.

Fassaden und Volumina sind bei Lillie weniger kräftig, also zurückhaltender ausgebildet als bei Hansen, im Inneren achtete er auf Wahrung der Symmetrie selbst bei komplizierten Grundrissdispositionen. In den Herrenhäusern im weiteren Lübecker Umfeld kulminierte Lillies Karriere: Schönfeld (1820), Lehsen (1822-24), Pritzier (1821-24) und Gudow (1824-28) sind dementsprechend ausführlich dokumentiert und bilden den eigentlichen Schwerpunkt der üppig mit Plan- und Bildmaterialien ausgestatteten Monografie.

Hubertus Adam

Ilsabe von Bülow: Joseph Christian Lillie (1760-1827). Ein Architektenleben in Norddeutschland. Deutscher Kunstverlag, München und Berlin 2007. 248 S., Fr. 98,–

entnommen: NZZ 13.03.2008

 
Partizipation und Profession – Den Zumutungen des Alltags mit Phantasie und Standhaftigkeit widerstehen

Text: Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und StadtplanerCover_Partizipation und Profession

Der Rezensent muss gestehen, dass er in der Auslage der bekannten Hamburger Buchhandlung Sautter + Lackmann nach diesem Buch zunächst nur wegen des bescheidenen Äußeren – weißer Umschlag mit sehr zurückhaltender Beschriftung – gegriffen hat. Beim Durchblättern interessierten ihn die zahlreichen dokumentierten Holzbauten. Wieder ein Buch über Holzhäuser – Holzbauweise, wie sie in letzter Zeit in den Fachzeitschriften und vielen Büchern publiziert wird? Sogar Hochhäuser, auch Miethäuser in geschlossenen städtebaulichen Strukturen entstehen in Holzbauweise, nachdem es gelungen ist, auch brandschutzrechtliche u.a. Vorbehalte zu überwinden. Ob die Holzbauten tatsächlich nachhaltig sind, wird sich aber erst später erweisen. Die Substituierung anderer Baustoffe verringert zwar den CO₂ – Ausstoß, im Holz wird aber eine Menge CO₂ gespeichert, die irgendwann – vielleicht nach Jahrhunderten – doch wieder in die Atmosphäre gelangt.

Das vorliegende Buch ist aber sehr viel mehr, als nur ein weiteres Buch über das Bauen mit Holz. Es ist zugleich ein Buch über das Leben und das Werk des in Detmold lebenden und bis 2017 an der dortigen Fachhochschule lehrenden Architekten Tobey und die Reflektion über die Aufgabe und das Wesen der Profession eines begeisterten Architekten, der sich auch nicht für die kleinsten Aufgaben zu fein ist. Seien es klassische Einfamilienhäuser, ein Kassenpavillon für ein Bauernhaus-Museum oder Hocker und andere Möbel: Bei allen Arbeiten bestimmt der Umgang mit dem Material, vor allem Holz, aber auch Stahl, und die Berücksichtigung dessen Eigenheiten die Arbeit des gelernten Tischlers. Ein Schlüsselbegriff ist für Tobay zugleich die Partizipation aller Beteiligten, was bereits im Titel anklingt. Man kann den Begriff unterschiedlich definieren. Die etwas triviale Definition gem. Duden oder Brockhaus (S. 7) wird dem Anliegen von Tobay allerdings nicht wirklich gerecht. Besser wäre es gewesen, von Kooperation aller Beteiligten – Architekt, Fachingenieure und vor allem der Bauherren (einzeln oder als Baugruppe) – zu sprechen. Am Beispiel der Anlage einer eigentlich banalen Balkonanlage für ein Stadthaus wird deutlich, wie der Entwurfs- und Bauprozess gegen vielfältige Einwände mit Tragwerksplaner, Bauhandwerkern und Bauherren sowie Behörden und Finanziers zu einer immer besseren Lösung geführt hat. (S. 163 ff.) Die fachlichen Ausführungen werden ergänzt durch solche anderer Beteiligter, so dass sich ein Gesamtbild des Planungs- und Bauprozesses aus unterschiedlicher Perspektive ergibt.

Die Kapitel „private Bauten“ (Wohnhäuser, S. 18-88), „allgemeine Bauten“ (Freilichtbühne, kirchliche Einrichtungen, Denkmalpflege, S. 104-159) und „Entwürfe und Modelle“ (Balkonanlage und Möbel, S. 162-175) werden ergänzt durch drei Essays. Im ersten bietet Tobey eine Sicht auf die ihn bewegenden Themen und die Erwartungen sowohl an die Medien als auch an die Ausbildung und die Profession. (S. 6 ff.) Der zweite Essay vom ehem. Echinger Bürgermeister Joachim Enßlin über die fehlenden Instrumente der lokalen Baulandpolitik stammt von 1990, wiederholt Altbekanntes und trägt zum Verständnis der Thematik nur wenig bei. (S. 62 ff.). Der dritte, äußert interessante Essay stammt von dem Psychologen Franz Strunz und beschäftigt sich mit „Architektur im Traum“ und „Architektur aus Träumen“. „Das Ergebnis der Fantasiearbeit kann in der Folge mit einiger Wahrscheinlichkeit der Anstoß zu einer günstigen und befriedigenden Lösung sein.“ (S. 125) Also ein Plädoyer für mehr Phantasie auch in der Baukunst! Tobey hat sich die Lust am Phantasieren und am Unkonventionellen nie nehmen lassen. Das beweisen die dokumentierten Bauwerke – alle in der sogenannten Provinz, in Oberbayern oder in Lippe. Die zumeist kleinen Bauwerke sind durch Gert von Bassewitz und einige andere Fotografen hervorragend dokumentiert. Grundrisse und Schnitte sowie Konstruktionszeichnungen lassen die Intentionen der Planungsbeteiligten gut erkennen. Wünschenswert wären allerdings mehr Fotos und Lagepläne, die die Einbettung der Projekte in den Kontext erkennen ließen.

Insgesamt ein editorisch und typografisch gut gemachtes Buch eines sonst nur wenig bekannten Verlages, das Mut machen kann, den Zumutungen des Alltags mit Phantasie und Standhaftigkeit zu widerstehen.

AUF EINEN BLICK:

Reinhold Tobey. Architekt. Partizipation und Profession. Konstruktionen mit Holz 1984-2017. Hg. von Reinhold Tobey in Zusammenarbeit mit Elena Henrich. 190 Seiten mit zahlreichen farbigen Fotos und Zeichnungen. 48,00 EUR. E-enterprise, Verlag für Wissenschaft, Kultur und Fotografie. Lemgo 2017

 

22.06.2018

 

 

 
„Planen und Bauen im Grenzraum“ – Innsbrucker Beiträge zur Baugeschichte

Text von Prof. D.-J. Mehlhorn

Haben Architektur und Städtebau etwas mit Politik zu tun? Während bei einer über das Objekt hinausgehenden städtebaulichen Planung die Zustimmung sicher sein dürfte, würden nicht wenige Objektplaner vermutlich dieses eher verneinen und auf die vielen technischen, funktionellen und finanziellen Aspekte hinweisen, die bei ihren Entwürfen maßgeblich waren. Wahrscheinlich werden wohl in einigen Jahren die Historiker die heutige Architektur mit ganz anderen Augen sehen und die Übereinstimmung oder Divergenzen gesellschaftspolitischer und formeller Aspekte konstatieren.

Sehr viel augenfälliger sind derartige Zusammenhänge in den Fällen, in denen sich die politischen Machtverhältnisse und die territoriale Zugehörigkeit einer Region abrupt geändert haben. Das war der Fall in der ehemaligen preußischen Provinz Schleswig-Holstein, als deren Nordteil 1920 zu Dänemark kam, ebenso wie im deutsch-französischen Grenzraum Elsass-Lothringen, aber auch in anderen Grenzräumen wie Posen-Westpreußen, die Bukowina, Südtirol und Trentino sowie in Triest. Es ist bezeichnend, dass das Thema der Grenzen wieder aktuell ist, glaubte man doch, Grenzen besäßen mindestens innerhalb Europas keine Bedeutung mehr. Die aktuelle Lage zeigt aber, dass das wohl eine Illusion war oder ist: Zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark gibt es wieder einen angeblich die Ausbreitung der Schweinepest von Deutschland nach Dänemark verhindern sollenden Grenzzaun. Im Südtirol tobt ein Namensstreit: „Provincia Autonoma de Bolzano“ mit oder ohne den Zusatz „Alto Adige“. Man denke auch an Katalonien oder Irland!

Vielleicht ist es dieser Aktualität evident nationalistischer Tendenzen und der Frage nach nationaler oder regionaler Identität in ganz Europa zuzuschreiben, dass sich der erste Band einer neuen Schriftenreihe des Arbeitsbereiches Baugeschichte und Denkmalpflege der Uni Innsbruck ausgerechnet diesem Thema widmet. Die darin versammelten Aufsätze gehen auf zwei Tagungen in Innsbruck und Dublin zurück, wo die Konsequenzen der politischen und territorialen Veränderungen in Architektur und Städtebau diskutiert wurden.

Leser in Norddeutschland werden vor allem die Ausführungen von Peter Dragsbø aus Sønderburg, über die Veränderungen der Architekturszene nach 1920 interessieren. Von Dragsbø liegt bereits ein umfangreicher Aufsatz im von Bernd Köster herausgegebenen Band „Grenzwerte Grænseværdier“ (2013) und der leider nur auf Dänisch verfasste Band „ Arkitektur til grænsen; Arkitektur og nation i europæiske grænselande 1850-1940“ (2014) vor. Dragsbø leitet auch den vorliegenden Band mit einer Übersicht über die Entwicklung in Europa ein.

Noch spannender als die Auseinandersetzungen beidseits der deutsch-dänischen Grenze sind die um das slowenische Vereinshaus Narodni Dom und die Italianisierung der slowenischen, 1918 von Österreich-Ungarn an Italien gekommenen Stadt Triest (Aufsatz von Monika Pemič), oder das „Tauziehen um das Stadtgesicht: französisch, deutsch, elsässisch?“ am Beispiel von Straßburg. In einer „Kaskade von Annexionen in der einen oder anderen Richtung“, d.h. die wechselnde nationale Zugehörigkeit 1871, 1918, 1940 und 1944/45. Nach jedem „Wechsel“ suchte die jeweils dominierende Macht ihre Vorstellung einer national gefärbten Stadtplanung und Architektur durchzusetzen, nicht immer mit Erfolg. Inzwischen ist die früher geschmähte deutsche Neustadt mit ihrer wilhelminischen Prachtarchitektur hochgeschätzt und 2017 in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen. (Aufsatz von Wolfgang Voigt) Mit Blick auf die neuerlichen Auseinandersetzungen in Südtirol (1919 an Italien) ist der Blick auf Bozen und deren Veränderungen während der faschistischen Herrschaft nicht weniger aufschlussreich, denn auch dort suchten die neuen Machthaber ihren Sieg baulich zu manifestieren. Die Architektursprache schwankt zwischen spätrömischem Monumentalismus (Siegesdenkmal, Bahnhof), Rationalismus (Sport- und Freizeitanlagen sowie Industriebau) und venezianischem Regionalismus (Wohnungsbau). Ein am ehem. Parteigebäude angebrachtes Relief zeigt noch heute den Duce hoch zu Ross als Sieger, durch eine neue Installation wird diese Szene allerdings konterkariert. (Aufsatz von Waltraud Kofler Engel)

Dragsbø beschließt seinen einführenden Aufsatz mit der Erwartung, dass das Kulturerbe mit der Entwicklung eines allgemeinen Bewusstseins über bestehende Grenzen hinweg zu einem gemeinsamen Kulturerbe werden möge. Dem ist nichts hinzufügen – viel Stoff zum Nachdenken zum politischen Charakter alles auch heute Gebauten!

Auf einen Blick: Klaus Tragbar und Volker Ziegler (Hrsg.): Planen und Bauen im Grenzraum; Planning and Building in Border Regions. Ibb+1 Innsbrucker Beiträge zur Baugeschichte Bd. 1. 215 Seiten mit zahlreichen s/w Abbildungen. 39,90 EUR. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2019

 

02.12.2019

 

 
Psycho-Geographie – Wie die Umgebung unser Verhalten und unsere Entscheidungen beeinflusst…

 Text: Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner Cover_Psychogeographie

Weshalb Menschen in einem Restaurant lieber am Rande – mit einer Wand im Rücken – Platz nehmen, ist inzwischen  hinlänglich bekannt. Es scheint sich um einen atavistischen Urtrieb zu handeln: Es könnte ja jemand von hinten  kommen und man sei dadurch in einer besseren Ausgangslage, sich zu verteidigen.

Es hat immer wieder Versuche gegeben zu erkunden, wie das Verhalten des Menschen durch räumliche und bauliche  Faktoren beeinflusst wird: im Positiven wie im Negativen. Die Literatur hierzu ist unerschöpflich und nicht immer  leicht zugänglich, häufig auch schwer lesbar. Es liegt nun ein kleines, locker geschriebenes Buch vor, das auf  verblüffend einfache Art die äußeren Einflussfaktoren auf menschliches Verhalten erklärt, ohne jemals ins Triviale  abzugleiten. Der Autor ist gem. Klappentext Neurowissenschaftler und Experimentalpsychologe, lehrt an der  kanadischen University of Waterloo und leitet dort das Urban Realities Laboratory, eine interdisziplinäre Einrichtung,  die kognitive Neurowissenschaften und Stadtplanung miteinander verbindet.
In sieben Kapiteln gibt er Einblick in seine Forschungstätigkeit und beschreibt anhand vieler praktischer Beispiele, wie Architektur und Stadtbild menschliches Empfinden und Verhalten konkret steuern und welche Faktoren für das Wohlbefinden oder dessen Gegenteil maßgeblich sind. Im Einzelnen beschäftigt er sich mit der Natur im Raum, Orten der Langeweile, der Lust und Langeweile, Räumen der Angst und Ehrfurcht sowie dem Zusammenhang von Raum und Technologie, konkret um die „Welt in der Maschine“ und die „Maschine in der Welt“.

Von besonderem Interesse für den Rezensenten ist das Kapitel über die Langeweile, weil es in die aktuelle Diskussion über die zeitgenössische Architektur eingreift. So gab es in Kiel per Leserbriefe, angeregt durch die lokale Presse, eine „Diskussion“ über Form und Gestaltung neuer Gebäude, denen man zu Recht oder Unrecht das Etikett „Klötzchenarchitektur“ anheftete. Mit Blick auf die funktional und gestalterisch als wohltuend empfundene Vielfalt alter Städte artikulierte sich dabei ein massives, aber recht diffuses Unbehagen vieler Leser an der Erscheinungsform heutiger Städte und Gebäude.

Einem Wissenschaftler wie Ellard kann das nicht genügen, er versucht vielmehr an konkreten Beispielen herauszufinden, wie Menschen reagieren, wenn sie auf eine als angenehm oder langweilig empfundene Situation stoßen. Die Probanden seiner Experimente tragen Armbänder, mit deren Hilfe die Hautleitfähigkeit gemessen wird, um zu erfahren, „wie es um die vegetative Erregung der Träger, um ihre Wachheit und ihre Bereitschaft zu handeln oder auf eine Bedrohung zu reagieren bestellt ist.“ (S. 147) An einem Testort (u.a. ein ödes, nach außen abgeschlossenes Einkaufszentrum) war der Erregungszustand auf niedrigem Niveau, die Leute waren gelangweilt und unzufrieden. An einem anderen, trubeligen Ort waren sie animiert und in Plauderlaune. Orte mit hoher Informationsdichte und gestalterischer Vielfalt werden deshalb gern aufgesucht, andere möglichst schnell verlassen – messbar an der unterschiedlichen Laufgeschwindigkeit um die „unangenehme Monotonie der Straße so rasch wie möglich hinter sich zu bringen“, worauf auch schon Jan Gehl hingewiesen hatte (zit. auf S. 148). Das mag vielfach bekannt sein. Aber Langeweile kann auch zu Zuständen hoher Erregtheit führen oder sogar von Stress begleitet sein, was sich in erhöhter Herzfrequenz und abnehmender Hautleitfähigkeit und sogar erhöhtem Cortisol-Pegel äußert. Letzterer ist ein wichtiges Symptom für zahlreiche stressbedingte Krankheiten wie Schlaganfall, Herzleiden und Diabetes. Sogar bei Tierversuchen konnte nachgewiesen werden, dass die Auseinandersetzung mit einer informationsreichen komplexen Situation der kognitiven Entwicklung förderlich ist. Spartanische Verhältnisse bewirken dagegen ein impulsives und maladaptives, sogar riskantes Verhalten. Ellard stellt aber zugleich beruhigend klar, dass sicher „eine kurze Begegnung mit einem langweiligen Gebäude noch kein ernsthaftes Gesundheitsrisiko“ sei, stellt aber die entscheidende Frage: „…wie verhält es sich mit der kumulativen Wirkung, wenn man Tag für Tag in dieselbe bedrückende Umgebung hineingezwängt wird?“ (S. 158)

Dieses ist nur ein Aspekt des überaus interessanten Buches, das anregen will, noch mehr als bisher über die Wirkung des Gebauten auf die Nutzer nachzudenken und tatsächlich wieder Städte und Gebäude mit „optimaler Komplexität“ so zu gestalten, dass sie den emotionalen Bedürfnissen der meisten Bewohner gerecht werden.

AUF EINEN BLICK:

Colin Ellard: Psycho-Geografie; Wie die Umgebung unser Verhalten und unsere Entscheidungen beeinflusst. 351 Seiten. 22,00 EUR. btb-Verlag. München 2017

 

22.06.2018

 

 
Raumwunder auf kleinster Fläche – Inspirationen und Konzepte aus Japan

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

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Das Thema des Fehlens von „bezahlbarem“ Wohnraum beherrscht in letzter Zeit nicht nur die Fachpresse, sondern hat auch das Feuilleton überregionaler Zeitungen erreicht. Das Problem wird noch dadurch verstärkt, dass aus vielerlei Gründen viele Menschen in Großstädten leben wollen, wo der Platz für Neubauten ohnehin recht knapp ist und die Grundstückspreise zugleich zusehends steigen. Die Landesbauordnungen lassen zwar geringere Abstände der Gebäude untereinander als früher zu, eine bauliche Verdichtung bestehender Wohnanlagen stößt trotz unbestreitbarerer städtebaulicher Vorteile auf heftigen Widerstand der Anwohner. Die Architektur reagiert zugleich kaum auf die veränderte Situation, so dass die eigentlich sinnvolle Verdichtung nur Beengtheit und Stress generiert.

Ein Blick nach Japan könnte Anregungen geben, wie auf kleinster Parzelle wahre Raumwunder entstehen könnten:  multifunktionale Raumnutzung (u.a. bewohnbare Treppen), Verwendung transluzenter, verschiebbarer Paneele, Anordnung von Lichtschächten (Voids), die einen Blick durch das ganze Haus zulassen, Beschränkung auf wenige Materialien, doppelte Fassaden – dazwischen gut nutzbare Räume oder Terrassen (Appartementhaus in Narima, S. 125, ). Zusätzlich zu den bekannten „Mini-Häusern“ auf wenigen Quadratmetern Grundstückfläche (bis zu 37qm, S. 62 ff.) und bis zu 1,80 m Breite (S. 48 ff.) behandelt das Buch auch mehrgeschossige Mehrfamilienhäuser wie Egato House B in Nakona, das Reihenhäuser mit jeweils eigener Außentreppe als Maisonettes stapelt (S. 126 ff.). In größeren Anlagen wie einem mehrgeschossigen Wohnkomplex in Manhuri sind die Grundrisse allerdings kaum lesbar, erkennbar aber die Lücken in der Blockrandbebauung, die es ermöglichen, die Wohnungen jeweils nach drei Seiten zu öffnen (S. 39 ff.).

Vieles davon ließe sich kaum auf unsere Situation übertragen. Es gibt nicht nur ein anderes Baurecht, schwerwiegender wirken Prinzipien wie Nachhaltigkeit (in Japan baut man bestenfalls für 30 Jahre) oder der Barierrearmut (Mehrgeschossigkeit mit schmalsten Treppen?). Wer sich mit den Grundlagen japanischer Architektur beschäftigen will, sei auf das Buch „Dialoge und Positionen“ verwiesen. Es zeichnet sich gegenüber anderen Veröffentlichungen dadurch aus, dass nicht ein Autor mit westlichen Augen die Architektur Japans interpretiert. Vielmehr kommen dreizehn japanische Architekten, darunter die Pritzker-Preisträger Fumihiko Maki und Toyo Ito, aber auch jüngere Architekten wie Go Hasegawa (von diesem das Appartementhaus in Narima) zu Wort, um ihre Arbeitsweise und Position sowie ihr Verhältnis zu Tradition und Landschaft und den Zusammenklang von Öffentlichkeit und Privatheit selbst zu erklären. Mit dem Haus NA in Tokio schlägt der Architekt Sou Fujimoto den Bogen zum Buch „Wohnkonzepte“ (dort S. 9): „… eine einfache Ordnung: eine Box in einer Box, wobei die Anordnung der Öffnungen variiert und eine Unordnung hineinbringt […] In meinen Projekten geht es stets um das Gegenüber von Ordnung und Unordnung oder besser gesagt, von Einfachheit und Komplexität.“ (S. 157)

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Dass man nicht „simpel“ und „einfach“verwechseln möge, würde man sich sicher auch hierzulande wünschen. Beide Bücher sind gut gemacht und zum Weiterdenken geeignet, so wie Hasegawa insistiert: „Immer weiterdenken, das ist wichtig.“ ( S. 202)

 

AUF EINEN BLICK:

Christian Schittich (Hg.): Wohnkonzepte in Japan;
Typologien für den kleinen Raum. 144 Seiten mit zahlreichen Abb. 39,90 EUR. Edition DETAIL. München 2016
Susanne Kothe, Hubertus Adam u.

Daniel Hubert (Hg.):
Dialoge und Positionen; Architektur in Japan. 272 Seiten mit zahlreichen Abb. 49.95 EUR. Birkhäuser Verlag Basel 2017

 

 

16.10.2017

 
Schleswig-Holstein im Hohen und Späten Mittelalter

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

Dass „Zukunft Herkunft braucht“, wie es der Philosoph Odo Marquard auf den Punkt gebracht hat, gehört zum Standardvokabular vieler Politiker und Planer. In der Praxis geht es aber nicht selten um pekuniäre Aspekte, und dann werden Gesichtspunkte wie Erhaltung und Sicherung historischer, die Identität unserer Städte und Dörfer prägenden historischen Zeugnisse und Spuren „weggewogen“. Häufig sind es aber auch Nichtwissen um schlichte Fakten oder das fehlendes Gespür der wirtschaftlichen, landschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge, die die Entwicklung unserer Städte geprägt haben und noch prägen.Cover_SH Mittelalter

Für zahlreiche Städte liegt eine große Fülle von qualitativ und inhaltlich unterschiedlichen Untersuchungen vor. Es fehlte jedoch eine Übersicht der Entwicklung in Schleswig-Holstein, denn für viele Autoren hörte Deutschland als Betrachtungsraum nördlich der Elbe oder Lübeck auf. Diesem Mangel wirkt nunmehr Dirk Meyer, als Geoarchäologe und Historiker an den Universitäten Kiel und Gießen lehrend, mit zwei Veröffentlichungen „Schleswig-Holstein  im Frühen Mittelalter“ (2011) und in Fortsetzung dieser „Schleswig-Holstein im Hohen und Späten Mittelalter“ entgegen.

Meier behandelt nach einer Einführung in Landschaft und Klima im Wandel die Geschichte der Grafschaft Holstein (1100-1460) und des Herzogtums Schleswig (1100-1460). Es folgen Abschnitte über Kirchen und Klöster, die für das Land kulturell prägend waren und das Bild unserer Städte und Dörfer noch heute prägen. Im Abschnitt über den ländlichen Raum wird die historisch bedingte Unterschiedlichkeit der Kulturlandschaften Elbmarschen, der friesischen Harden oder Alt- und Ost-Holstein u.a. beschrieben. Für mehr im städtischen Raum tätige Planer dürfte der vorletzte und recht umfangreiche Abschnitt von Interesse sein, denn es geht um Ökonomie, Marktsiedlungen und Städte. Wenn heute immer wieder beklagt wird, Stadtplanung erfolge zu stark unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, muss stets bedacht werden, dass Städte ohne Handel und Gewerbe nie entstanden wären und überlebt hätten. Stadtgeschichte ist deshalb immer auch Wirtschaftsgeschichte. In mehreren Unterabschnitten werden die wichtigsten Städte wie Lübeck und Hamburg in Holstein, sowie Schleswig, Flensburg, Eckernförde und Husum und einige heute dänische Städte wie Ripen und Tondern behandelt. Ein letzter Abschnitt beschreibt die Krisen der mittelalterlichen Lebenswelt, darunter die Wüstung zahlreicher Dörfer (z.B. zu Beginn des 16. Jahrhunderts in 53 von 213 Dörfern in Lauenburg) oder die Starkregenfälle, Sturmfluten und Landverluste, sowie deren katastrophale Auswirkungen auf Siedlungen und Landschaft. Wenn man will, kann man darin durch die demografische Entwicklung und den Klimawandel bewirkte Parallelen zu heute erkennen.

Das Buch vermittelt anschaulich bedeutsame, auch heute noch wirksame  Zusammenhange der Siedlungsentwicklung aus geoarchäologischer und historischer Sicht. Die Abbildungen sind nahezu durchgängig farbig, wenn auch teilweise etwas zu plakativ. Einem Architekten und Stadtplaner fehlen die für die Struktur der Siedlungen wichtigen Fragen der Bildung von Eigentumsverhältnissen  und der damit zusammenhängenden Parzellenstruktur als „cantus firmus“ der Stadtentwicklung. Eine umfassende Stadtbaugeschichte steht damit noch aus. Als Einstieg in die hoch interessante Materie ist das Buch aber unverzichtbar.

 

AUF EINEN BLICK:

Schleswig-Holstein im Hohen und Späten Mittelalter, Landesausbau – Dörfer – Städte
Dirk Meier: Schleswig-Holstein im Hohen und Späten Mittelalter, Landesausbau – Dörfer – Städte.
286 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Boyens Buchverlag, 2012. 24,00 EUR

 
Schleswig-Hol­stein-Spezial – Architektur und Bauen

Vom ältesten Haus in Schleswig-Holstein und den Herrenhäusern über den Arne Jacobsen-Bau auf Fehmarn bis zur Gartenstadt Elmschenhagen berichtet das Themenheft „Schleswig-Hol­stein-Spezial – Architektur und Bauen“ in mannigfaltigen Artikeln, die von namhaften Autoren, Architekten und Forschenden verschiedener Disziplinen verfasst wurden, so beispielsweise Dr. Klaus Alberts, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Architekten- und Ingenieurkammer Schleswig-Holstein. Die einzelnen Beiträge sind in Themenbereiche gegliedert; Bauten bedeu­tender Architekten wie Ernst Prinz und Heinrich Moldenschardt werden vorgestellt, ein Diskus­sionsaufsatz befasst sich mit der Frage nach den Perspektiven junger Architekturstudenten, Siedlungs- und Stadtplanung werden an Beispielen wie dem Wiederaufbau Kiels nach dem Zweiten Weltkrieg oder der Heimatschutzarchitektur erläutert, die Verbindung zum Wasser wird u. a. an den Seebrücken der Lübecker Bucht und der Marina SONWIK Flensburgs vor Augen geführt, Beispiele der schleswig-holsteinischen Kirchenarchitektur und der Kirchenneubauten nach 1945 werden angeführt, im Zeichen der Landschaftsarchitektur steht u. a. der Fürsten­garten in Gottorf und Bauten für alte Menschen sowie ökologische bzw. energiesparende Bau­prinzipien werden vorgestellt.

 

Themenübersicht

  • Editorial (Klaus Alberts)
  • Ältestes Haus in Schleswig-Holstein (Hermann Heidrich)
  • Chronologie der Architektur des Landes (Ulrich Höhns)
  • Schleswig-Holstein seit 1906 Herrenhäuser (Knoop, Lindaunis) (Hubertus Neuschäffer)
  • Ernst Prinz (Ulrich Höhns)
  • Heinrich Moldenschardt (Nicole Goerges)
  • „Beispiele schleswig-holsteinischer Kirchenarchitektur“ (Claus Rauterberg)
  • „Ausbildung für die Arbeitslosigkeit? – Bürogründungen, Wege in den Beruf“ (Dieter Richter)
  • Stadtplanung im Hamburger Umland (Matthias Baum)
  • Wiederaufbau Kiels (Jürgen Otterbei)
  • Helgoland (Ulrich Höhns)
  • Ländliche Siedlungsentwicklung (Joachim Heisel)
  • Heimatschutzarchitektur (Hans Günther Andresen)
  • Husumer Hafen und Rathaus (Bernhard Winking)
  • Arne Jacobsen-Bau auf Fehmarn (Diethelm Hoffmann)
  • Bauen am Wasser – Sonwik (Bauplan Nord)
  • Friedrichs-Werft, Hausboote aus Kiel (Anke Johansson)
  • Heinrich Moldenschardt als Schiffsarchitekt (Nicole Goerges)
  • Seebrücken in Schleswig-Holstein (Stefanie Janssen)
  • Kirchenneubauten nach 1945 (Jürgen Tietz)
  • Hörnbrücke in Kiel (Jörg Schlaich)
  • Fürstengarten in Gottorf (Jörgen Ringenberg)
  • Gartenstadt Elmschenhagen (Renko Buß)
  • Wohnen im Alter, Barrierefreies Bauen (Uwe Ferdinand)
  • Ökologisches Bauen (Dietmar Walberg)
  • „Die Architekten- und Ingenieurkammer Schleswig-Holstein“ (Klaus Alberts)
  • „Tag der Architektur“ (Klaus Alberts)
  • Entwicklung des Schleswig-Holsteinischen Baurechts (Gerd Möller)
  • Mutloser Bauherr Öffentliche Hand (Klaus Alberts)
  • Plakette „Das schöne Haus“ (Willi Diercks)

 

Als Vorabdruck erscheinen zwei der Beiträge von Klaus Alberts, um einen Eindruck vom Heft vorab zu vermitteln:

Zum Geleit

Schleswig-Holstein ist das Land der Schlösser und Herrenhäuser, der romanischen und gotischen Kirchen, der hansischen Backsteingotik. Auch. Aber nicht nur. Das Land ist kein riesiges architektonisches Museum, sondern spiegelt in seiner baulichen Erscheinung alle Jahrhunderte seiner Geschichte wider, so auch mit prägnanten Architekturbeispielen das 20. und das beginnende 21. Jahrhundert.

In der Pressekonferenz zum „Tag der Architektur“ im Juni 2005 führte deshalb auch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen aus:

„… unser Land zeichnet sich aber nicht nur durch herausragende Baukultur der Vergangenheit aus. Es sind auch moderne Architekturen, die Schleswig-Holstein immer mehr prägen und dafür sorgen, dass das Land auch außerhalb als ein Ort begriffen wird, der sich nicht hinter dem Architekturschaffen in anderen Ländern verstecken muss. Denken Sie an das neue Rathaus in Husum oder das Multimar Wattforum in Tönning, an die Mediadocks in Lübeck, aber auch die Fachhochschule Westküste in Heide, den Norwegenterminal und das Geomar in Kiel.“

Die Aufzählung ließe sich fortsetzen durch Klassiker der Moderne, die ihre baulichen Spuren im Land hinterlassen haben wie Arne Jacobsen auf Fehmarn und Richard Neutra in Quickborn. Ganz besonders stolz können die Schleswig-Holsteiner auch darauf sein, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Gemeinde Helgoland, die vollkommen zerstört war, nach einem Architektenwettbewerb „aus einem Guss“ wieder aufgebaut wurde und so als einmalig gelten kann.

Die Architekten- und Ingenieurkammer Schleswig-Holstein dankt dem Schleswig-Holsteinischen Heimatbund dafür, dass er sich mit dieser Veröffentlichung nicht nur, wie manche es beim Heimatbund vermuten, vergangener Größe zuwendet, sondern einen offenen Blick auf Gegenwart und Zukunft des architektonischen Geschehens in unserem Land wirft. Der Heimatbund mit seinem Einfluss trägt auf diese Weise entscheidend mit dazu bei, dass unser Land als lebendiges Gemeinwesen wahrgenommen wird, das sich mit seinem baukulturellen Anspruch und der Umsetzung dieses Anspruchs in die Realität sehen lassen kann.

Dieses Heft bietet ein hochwertiges Kaleidoskop unserer vielschichtigen Architektur in Vergangenheit und Gegenwart. Ich wünsche mir sehr, dass viele Schleswig-Holsteiner und Besucher des Landes mit diesem Heft in der Hand unser Land in Teilen ganz neu erfahren und entdecken.

Mutloser Bauherr öffentliche Hand

Architekturgeschichte wird geprägt von den Werken der Architekten, diese sind zugleich Zeugnis des Wagemutes oder der Verzagtheit von Bauherren.

Alle bemerkenswerten Gebäude der Architekturgeschichte sind entstanden durch mutige Bauherren.

Diese sind immer entweder in hervorragender Weise den geistigen Strömungen der Zeit gefolgt oder aber haben sich als Avantgarde begriffen, die ihrerseits dem Zeitgeist prägend voranging.

Es ist heute bedauerlicherweise festzustellen, dass der öffentliche Bauherr, der den Staat und damit das Gemeinwesen repräsentiert, offensichtlich jeden Mut verloren hat und in seiner baulichen Attitüde so unauffällig wie möglich daherkommen will. Die Angst, in Presse und Öffentlichkeit als Verschwender und Protz dazustehen, hat sich in den letzten Jahren tief eingewurzelt und dazu geführt, dass die Gebäude, die eigentlich etwas aussagen sollten über die Haltung des Staates, verwechselbar sind mit jedem mittelständischen gewerblichen schlichten Zweckbau.

Es scheint so, als habe der öffentliche Bauherr keinen Repräsentationswillen mehr, als fehle ihm jedes Bewusstsein dafür, dass die Staatsbürger geradezu erwarten, dass der Bauherr seine Auffassung von Staat in unverwechselbaren Bauten ausdrückt, da nur so eine Identität des Bürgers mit seiner Stadt, seinem Land oder dem Staat stattfinden kann.

Möglicherweise aber ist diese Erscheinung auch nur ein Spiegel der wirklichen Verhältnisse in unserem Land und anstelle des einstmals mutigen Staates, der sich im Bauen ausdrückte, sind die Bauten der wirklichen Machthaber getreten, der Banken, der Versicherungen, des Handels und der übrigen Wirtschaft.

Es ist zu beobachten, dass sich hier in den letzten Jahrzehnten ein starkes Gefühl für den Wert von Repräsentation entwickelt hat, so, als wollte die Wirtschaft dem Staat beweisen, dass er, sichtbar im Baulichen, nur noch die zweite Geige spiele. Augenfällig wird dieses extrem in Frankfurt, das in meiner Sicht die wirkliche Hauptstadt der Bundesrepublik ist.

Es ergeht die Aufforderung an alle öffentlichen Bauherren, diese Ängstlichkeit und Mutlosigkeit abzulegen und sich wieder ihrer Führungsrolle für die Gesellschaft bewusst zu werden, zu Stil zu finden, wie es Adolf Arndt der „Demokratie als Bauherr“ abverlangt. In einem gesunden Gemeinwesen kann die Führungsrolle nur übernommen werden von einer Struktur, die sich ethischen Maßstäben verpflichtet fühlt und nicht von Strukturen, die die Gewinnmaximierung als oberstes Ziel auf ihre Fahnen geschrieben haben!

Weitere Informationen zum Heft sind erhältlich beim Schleswig-Holsteinischen Heimatbund, Tel. 0431-98384-0.

 
Serie: Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland

Historische Ingenieurbauwerke erzählen von der Genialität vergangener Ingenieur-Generationen und spornen mit ihrem Beispiel zu neuen Leistungen an. Ingenieurbauwerke wie Brücken, Türme und Tunnel bilden einen wesentlichen Bestandteil unserer Baukultur. Und nur wer auf dem Besten vergangener Zeiten aufbaut, kann mit seiner Kreativität die Zukunft erfolgreich gestalten. Deshalb ehrt die Bundesingenieurkammer seit 2007 historisch bedeutende Ingenieurbauwerke mit dem Titel „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“. Die in Frage kommenden Bauwerke müssen sich auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland befinden und älter als 50 Jahre sein.

Hier geht’s zum Internetauftritt der Historischen Wahrzeichen; Sie finden auf den Internetseiten eine Übersicht zu allen bisher ausgezeichneten Bauwerken und können Exemplare der Schriftenreihe bestellen: http://wahrzeichen.ingenieurbaukunst.de/publikationen/

 
Serie: Jahrbücher der Ingenieurbaukunst

Seit 2001 gibt die Bundesingenieurkammer die Reihe Jahrbücher der Ingenieurbaukunst heraus. Die Bücher sind der zentrale Ort für die aktuellen Diskussionen der Bauingenieure unseres Landes. Die seit 2015 jährlich erscheinenden Bücher dokumentieren die beeindruckenden Leistungen des Bauingenieurwesens unseres Landes. Sie stellen ca. 20 herausragende Ingenieurbauprojekte vor. In Essays wird über neuste technische Entwicklungen informiert. Darüber hinaus werden historische bedeutende Bauingenieure mit Porträts gewürdigt.

Die ersten vier Bände erschienen unter dem Titel „Ingenieurbaukunst in Deutschland“. Seit 2010 erscheint die Reihe unter dem Titel „Ingenieurbaukunst – Made in Germany“.

Hier geht’s zur Seite des Verlages und zum aktuellen Jahrbuch 2017: https://www.ernst-und-sohn.de/ingenieurbaukunst-2017

 

 
Serie: URLAUBSARCHITEKTUR

URLAUBSARCHITEKTUR.de präsentiert architektonisch herausragende Ferien- und Gästehäuser. Der Auftritt ist nicht nur eine Webseite, sondern auch ein Netzwerk für Gäste und Gastgeber mit besonderem Anspruch. Unterkünfte, die bei URLAUBSARCHITEKTUR.de einen Platz finden, müssen verschiedene Kriterien erfüllen: Unabhängig davon, ob es sich um ein Ferienhaus, ein Apartment oder ein Hotel handelt, muss die Architektur überzeugen. Das gilt für historische Gebäude ebenso wie für neue. Es geht nicht darum, dass jedes Haus besonderen Luxus bieten muss. Ausschlaggebend ist der individuelle Anspruch, die konsequente Realisierung eines Konzepts, Authentizität und die persönliche Nähe der Betreiber zu ihrem Objekt. Die URLAUBSARCHITEKTUR-Häuser werden von Gastgebern getragen, die ihre außergewöhnlichen Häuser mit anderen teilen möchten und ein Urlaubserlebnis anbieten, das sich von anderen Häusern der Region absetzt. Neben der Homepage gibt es das Buchprogramm der Edition URLAUBSARCHITEKTUR. Am bekanntesten sind die „Selection“-Bücher, in der Presse gelobt als „Ferienbibel“. Alle Bücher sind im Buchhandel erhältlich oder können direkt im online-Shop auf der Seite bestellt werden.

Hier geht’s zum Internetauftritt rund um Urlaubsarchitektur und auch zur Übersicht verfügbarer Bücher: www.urlaubsarchitektur.de/de/book/

 
Sommerzeit – Architekturzeit | Reiseführer Aarhus

von Prof. D.-J Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

Pünktlich zum Beginn der Reisezeit und in der Mitte des Kulturhauptstadtjahres von Aarhus erscheint in der prominenten Reihe von Architekturführern des erst 12 Jahre alten Berliner Verlages DOM publishers ein Band über Aarhus, der ältesten und zweitgrößten Stadt Dänemarks, quasi ein Katzensprung von Schleswig-Holstein entfernt. Hier gibt es die größte Architektendichte Dänemarks.

Cover_Aarhus_klErfreulich ist, dass die Stadt dadurch nicht nur zahlreiche, sicher auch rivalisierende Architekturbüros hat, sondern dort auch ein kulturelles Klima herrscht, das Baukultur fördert. Einige Büros sind weltweit tätig und machen Architektur zum Exportschlager. Nicht unwesentlichen Einfluss darauf hat die erst 1965 gegründete Architekturschule, die sich aus kleinen, chaotischen Anfängen zu einem das städtische Leben belebenden Ausbildungszentrum mit engen Beziehungen zu den örtlichen Büros entwickelt hat. Die Architekturschule ist aber nur ein Baustein für Entwicklung zum Wissenschaftsstandort, ein anderer ist die 1928 privat gegründete. ab 1970 staatliche Universität. Derzeit leben 45.000 Studierende in der Stadt. Aarhus befindet sich zugleich in einem städtebaulichen Transformationsprozess allergrößten Ausmaßes, der insbesondere in der Konversion der aufgegebenen und verlagerten Hafenanlagen die Möglichkeit bietet, sich zum Wasser zu öffnen. Dank dem Zusammenwirken städtischer Behörden, der Architekturschule und der örtlichen Architektenschaft ist dabei eine Reihe weltweit beachteter Projekte entstanden, die in jedem Falle einen Besuch lohnen. Man kann natürlich fragen, ob es richtig sei, die gesamte Krankenversorgung Dänemarks auf nur acht Zentren zu beschränken (in Aarhus das noch in Entwicklung befindliche gigantische Universitätsklinikum, S. 186 ff.) oder ob die Wohnanlage Eisberg (S. 264f.) und das noch in Bau befindliche Lighthouse (S. 268) auch nach 20 Jahren noch so als spektakulär empfunden werden wird wie heute. Bewundernswert ist in jedem Falle die Vielzahl von Schulen, öffentlichen Kultur- sowie Handels- und Gewerbebauten mit hohem architektonischem Anspruch. Es gibt aber auch die auf Nachhaltigkeit zielenden und soziale Aspekte berücksichtigenden Wohnsiedlungen (für die Dänemark vor allem in den 1980er Jahren berühmt war) wie Sandbakken von C.F.Møller und Paul le Fevre Jacobsen (1990, S.320) ebenso wie die Energieplushäuser von RUBOW Arkitekter und die Wohnsiedlung von Vandkunsten (2014-2017, S. 222f.), beide in Lisbjerg Bakke, einem neuen Stadtteil für 25.000 Einwohner im Nordwesten der Stadt.

Breiter Raum wird in dem Führer dem Universitäts-Campus eingeräumt – für die Architektur in Schleswig-Holstein nach 1945 der Schlüsselbau schlechthin. Das ursprüngliche Bebauungskonzept von Kay Fisker, C.F. Møller und Povl Stegmann aus den 1930er Jahren hat bis heute Bestand, Neubauten des Nachfolgebüros Møllers fügen sich nahtlos in das Ensemble ein ohne ihr Entstehungsjahr zu verleugnen (C.F. Møllers Architects, 83 ff.). Insbesondere für Kieler ist die Wiederfreilegung des Flusses Aarhus Å mit dem Åboulevarden (Stadsarkitektens Kontor und Birk Nielsens Tegnestue, 1996) von Interesse, gilt diese doch als Vorbild für den sogenannten „Kiel-Kanal“. Es gibt jedoch einen grundlegend Unterschied: Bei der Å handelt es sich wirklich um einen Fluss. (S.124) Nebenbei erfährt der Leser, dass Arne Jacobsen nur wenig angetan war vom Turm seines Rathauses, einer Inkunable der Moderne des 20. Jahrhunderts: „Der Turm sollte [nach Willen des Stadtrates] auf dem Rathaus stehen, und daher steht er nun auf diese verzweifelte Art und latscht mit seinen Beinen direkt durchs Dach. Man kann nicht behaupten, dass das die glücklichste architektonische Lösung sei.“ (S.34 f.)

Der Architekturführer leitet den Leser auf mehreren Routen durch die Stadt, wobei sicher noch mehr zu entdecken ist, denn die Stadt gab es ja schon vor 1900; man denke nur an die herrliche Domkirke! Mehrere intelligente Aufsätze bieten Hintergrundwissen über historische und baukulturelle Zusammenhänge. Nach dem Rathaus ist das Kunstmuseum ARoS das zweite beschriebene Objekt – bekrönt durch eine fulminante Installation von Olaf Eliasson. Allein diese ist einen Besuch von Aarhus wert – mit dem gut gemachten Architekturführer in der Tasche ist man bestens informiert!

 

AUF EINEN BLICK:

Heiko Weissbach: Architekturführer Aarhus.
332 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Grafiken.
38,00 EUR. DOM publishers. Berlin 2017

 

16.10.2017

 
Stadtlandschaften verdichten. Strategien zur Erneuerung des baukulturellen Erbes der Nachkriegszeit.

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

Die Probleme bei Schaffung bezahlbaren Wohnraums insbesondere in den Ballungsräumen haben zu unterschiedlichen Strategien geführt. Im Focus des Interesses stehen neben der Nutzung unbebauter Grundstücke (neuerdings auch der Bau von Hochhäusern), die Verdichtung innerstädtischer Baublöcke, Dachausbau und Aufstockung älterer Gebäude. Nicht selten entstehen dabei nicht leicht zu lösende nachbarschafts- und baurechtliche Fragen. Bisher zu wenig Beachtung gefunden hat dagegen die Möglichkeit, bestehende, häufig locker, in Zeilenbauweise gebaute Siedlungen insbesondere der Nachkriegszeit weiter zu entwickeln und zu verdichten. Die großen Freiflächen bieten zahlreiche Möglichkeiten, dort neue kostengünstige Wohnhäuser zu errichten, nicht zuletzt weil Baugrund und Erschließung vorhanden sind und dadurch die Kosten erheblich gesenkt werden können. Bauliche Verdichtung heißt aber auch zugleich, die Bedingungen für den öffentlichen Personennahverkehr und die Versorgung zu verbessern: Wenn im Umkreis einer Bushaltestelle mehr Menschen leben, führt das zu höherer Inanspruchnahme und daraus folgend die Möglichkeit, das ÖPNV-Angebot zu verbessern. Eine win-win-Situation für alle!

Während Dachausbau und Aufstockung allgemein akzeptiert werden, ruft die Verdichtung bestehender Strukturen nicht selten Proteste der Anwohner hervor. In den ohnehin dichten, besonders nachgefragten innerstädtischen Quartieren ist es die zunehmende Enge, in den locker bebauten Gebieten wird vor allem der Verlust von Bäumen und Grünflächen befürchtet. In der Tat ist die intensive Durchgrünung für die dort lebenden Menschen ein Wert an sich: Wenn sie schon nicht die Architektur lieben, dann doch die hohen Bäume und den Blick ins Grüne.

Das hier besprochene Buch nimmt erstmals auch auf den (garten-) denkmalpflegerischen und ökologischen Wert der nach dem Prinzip der Stadtlandschaft entwickelten Siedlungen mit ihren fließenden Grünräumen Bezug.

Im ersten Kapitel wird nach dem Sinn der Nachverdichtung gefragt, im zweiten Kapitel werden die Qualitäten der Nachkriegssiedlungen dargelegt und im dritten die Begriffe Denkmalschutz, Stadtlandschaft und Ortsbildpflege thematisiert. Im vierten Kapitel werden Kriterien zur Bewertung von Verdichtungsmaßnahmen aufgestellt. Die Kapitel 5 und 6 beinhalten mehrere Fallstudien und Testverdichtungen, wobei das Beispiel Olympiadorf in München dabei allerdings nicht ganz überzeugen kann, weil zu den ursprünglichen 23.335 m² Wohnfläche gerade einmal 2 Prozent dazu kommen. Das siebte, abschließende Kapitel formuliert als Handlungsanleitung „Interessenabwägung statt Regelwerk“: Wichtig sei es, für jeden Einzelfall unter Abwägung unterschiedlichster Interessen und Belange die geeignete Lösung zu suchen, die Verdichtungspotenziale zu ermitteln und dabei die größtmögliche Varianz von Lösungsansätzen auszutesten. Diese Erkenntnis ist sicher nicht ganz neu, muss aber immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden: die realisierten Beispiele in vielen Orten werden doch noch zu sehr stark von rechtlichen und finanziellen Überlegungen bestimmt, nicht von den vorhandenen Qualitäten und den Interessen der Anwohner. Wichtig scheint es aber für viele Kommunen zu sein, sich der bestehenden Potenziale auch in den Siedlungen der 1960er und 1970er Jahre stärker als bisher anzunehmen.

Selten entsprechen Aufmachung und Format der auch typografisch sorgfältig gemachten Publikation so sehr dem Thema: bescheiden in einem Format von 14X18 cm, inhaltlich konzis und formal verdichtet. Besser kann es nicht sein!

Hinweis: Zum Thema der Nachverdichtung sei auch auf den Baukultur Bericht; Erbe-Bestand-Zukunft 2018/19, hg. von der Stiftung Baukultur, verwiesen. Auch dort wird auf die Strategien der Nachverdichtung eingegangen. Der Bericht kann bei der Bundesstiftung angefordert werden.

Auf einen Blick: Anke Domschky, Stefan Kurath, Simon Mühlebach und Urs Primas: Stadtlandschaften verdichten; Strategien zur Erneuerung des baukulturellen Erbes der Nachkriegszeit. Mit Beiträgen von Johannes Stoffler und Michael Hanak. 39,00 EUR. Triest Verlag für Architektur, Design und Typografie, Zürich 2018

 

 
TAUT BAUT – Bauen als kulturelle Investition

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

Max Taut (* 1884) hat immer etwas im Schatten seines berühmten und populären Bruders Bruno gestanden, auch wenn er mit diesem fast immer zusammen arbeitete: Sei es im gemeinsamen Büro, bei der Gründung des Arbeitsrates für Kunst oder als Koautor der von Bruno edierten Zeitschrift Frühlicht. Beide erlangten Goldmedaillen der legendären Baufach-Ausstellung 1913 in Leipzig. Er ging als Architekt aber auch eigene Wege. In den 1920er Jahren entwarf er eine Reihe von Gebäuden traditionell linker Organisationen wie das ADGB-Haus, das Verbandshaus der Buchdrucker, Großbäckereien und Kaufhäuser der Konsumgenossenschaft, zahlreiche Schulen und Wohnhäuser. Entgegen der allgemeinen Tendenz der Zeit zur ausdruckslosen Rationalisierung bewahrte sich Taut die Freiheit expressionistischer Experimente. Die Architektur verliert bei aller Rationalität nie an Ausdruckskraft: „Sie geht mit der rationalen Sinnhaftigkeit und der konstruktiven Logik eine eigentümliche, aber nie gezwungen erscheinende Ehe ein, die sich in vollkommene und […] zeitlose architektonische Poesie sublimiert“, wie Vittorio Magnago Lampugnani konstatiert. Die Wege der Brüder trennten sich mit Beginn der NS-Diktatur: Bruno emigrierte nach Moskau, später nach Japan und die Türkei, wo er 1938 starb. Max blieb in Deutschland, trotz Diskriminierung konnte er einige Bauten erstellen und an Wiederaufbauplanungen für die Region um Dresden mitwirken. Nach 1945 erhielt Taut eine Professur in Berlin und entwickelte zahlreiche Projekte wie das Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt, aber auch für Großsiedlungen im Ruhrgebiet und in Berlin. 1957 realisierte er für die INTERBAU eine drei- bis viergeschossige, sehr stark aufgelockerte Hauszeile mit Mietergärten und gemeinschaftsfördernden Räumen. Sein letztes Werk, 1963, war ein Kinderheim in Berlin-Kreuzberg. Schließlich ist er 1967 verstorben und in Chorin beigesetzt.

Cover_TAUT BAUT_klAn Max Taut und sein Werk erinnerte im Frühjahr 2017 eine Ausstellung des Deutschen Werkbundes. Zeitgleich ist ein kleines Buch erschienen, das sich erfreulich von sonst üblichen kopflastigen Monografien dadurch unterscheidet, dass zwölf Personen – nicht nur Architekten und Historiker! – sich dem Werk Tauts auf sehr persönliche Weise nähern. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, selbst aus dem Druckgewerbe kommend, widmet sich dem Buchdruckerhaus als einem Symbol für Handwerkerkunst und Aufklärung zugleich. Hier fand bis 1933 die Bildungsarbeit der Gewerkschaften statt und hatte die Büchergilde Gutenberg, die den Arbeitern den Zugang zu guter und hochwertig gestalteter Literatur öffnete, ihren Sitz. (S. 39ff.) Max Dudler beschreibt die nach ihrem Architekten benannte Schule in Berlin-Lichterfelde als kulturellen Mittelpunkt des Stadtteils. (S. 51 ff.) Der Filmemacher Wim Wenders reflektiert seine eigene, zehn Jahre andauernde Arbeit im Warenhaus der Konsumgenossenschaft in Berlin-Kreuzberg. (S. 59 ff.) Der Publizist Peter Cachola Schmal beschreibt das Gewerkschaftshaus in Frankfurt am Main – einst, 1929, ein das Mainufer dominierendes „funktional-nüchternes Hochhaus“, heute eingeklemmt von weit höheren Gebäuden: „Leise, fein detailliert und etwas zartgliedrig für unsere Zeiten, wie etwa ein historischer Porsche 911 zwischen muskelbepackten SUV´s. Er kann zwar nicht mithalten, aber man respektiert ihn.“ (S. 62 ff.) Der Publizist Gerd Heidenreich erinnert sich schließlich an das Darmstädter Gymnasium aus kindlicher Nutzerperspektive: „Das Gymnasium war mehr als ein Bau, es war ein Aufbruch – zu Klarheit, Zweckmäßigkeit, Offenheit.“ (S. 67 ff., Zitat: S. 67)

Insgesamt: ein kleines, gut gemachtes Buch, das einen die Architektur des 20. Jahrhunderts prägenden Architekten angemessen würdigt. Taut verstand das Bauen nicht als Geldanlage, sondern als kulturelle Investition. Bei ihm sind sicher noch heute vielfältige Anregungen zu gewinnen. Wer sich noch stärker auf das Werk von Max Taut einlassen will, sei auf die umfangreiche Monografie von Annette Menting, Bauhistorikerin und Professorin an der Leipziger HWTK, verwiesen (2003). Es lohnt sich!

 

AUF EINEN BLICK:

TAUT BAUT; Geschichten zur Architektur von Max Taut.
Mit Fotografien von Stefan Müller. Hrsg. vom Deutschen Werkbund Berlin.
78 Seiten mit vorwiegend s/w-Aufnahmen.
20,00 EUR. Verlag Klaus Wagenbach. Berlin 2017

 

16.10.2017

 
unterwegs zum Bauen – Ein Gespräch über Architektur mit Florian Aicher

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner 

Cover_unterwegs zum bauenAls im Jahre 2005 der Luzerner Quart Verlag ein Buch über das Werk des Architekten Gion A. Caminada mit dem befremdlichen Titel „Cul zuffel e l´aura dado“ (rätoromanisch soviel wie „zwischen Föhn und kalten Brisen“) herausbrachte, war das sogar dem nicht architektur-affinen SPIEGEL einen zweiseitigen Artikel wert. Denn dem Architekten war es zusammen mit dem Agrarökonomen Peter Rieder gelungen, die für abgelegene Dörfer charakteristische Abwanderungstendenz in seinem abgelegenen Heimatdorf Vrin umzukehren und dem Dorf eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Damals lebten 280 Einwohner dort, 20 Personen mehr als kurz zuvor, was einen Einwohnerzuwachs um 8 Prozent in kurzer Zeit bedeutete. Das mag wenig spektakulär wirken, ist aber ein Hoffnungsschimmer. Nicht geringen Anteil daran hat die im genannten Buch ausführlich beschriebene neuartige Architektur, die auf die regionalen Traditionen, in besonderem Maße der Strickbauweise, ein im Schweizer Kanton Graubünden beheimateter Typ des Blockbaus, aufbaut. Caminada verharrt aber nicht im Herkömmlichen, sondern generiert unter aktiver Mitwirkung einheimischer Handwerker innovative Formen.

In dem neuen Buch „unterwegs zum Bauen“ suchen der studierte Architekt und Journalist Florian Aicher – Sohn des bekannten Grafikdesigners und Mitbegründer der Hochschule für Gestaltung Ulm – und Caminada, weiterhin in Vrin lebend, zugleich an der ETH Zürich lehrend, im Dialog dem Geheimnis des eigentlich bescheidenen, aber erfolgreichen Werkes  (2018 war Caminada auf der Architekturbiennale in Venedig vertreten) näherzukommen. Auf dem ersten Blick scheinen die Bauten dem „kritischen Regionalismus“ nahe zu stehen, wie diese Spielart der „modernen Architektur“ durch Kenneth Frampton definiert und von so bedeutenden Architekten wie Alvaro Siza, Tado Ando oder Peter Zumthor vertreten wird. Neben der Form mit der Bezugnahme – nicht Kopie oder Nachahmung! – auf lokale Traditionen hatte für diese Architekten immer auch die soziale Dimension allergrößte Bedeutung. Partizipation ist für Caminada keine Leerformel, sondern vor Ort gelebte Praxis, anders ginge es nicht, denn es gilt den städtischen Einflüssen etwas Eigenes entgegen zu setzen, um die eigene Identität zu erhalten. Der Architekt, der als Bauernsohn selbst auf dem elterlichen Hof gearbeitet hatte, versteht die Menschen und deren Sorgen vor Ort, für sie will er etwas bewirken und deren Heimat bewahren. Das mag in der sich zunehmend vernetzenden Welt überholt klingen, es stellt sich aber auch die Frage nach dem, was aus der Landschaft und dem Dorf und seinen Bewohnern würde, wenn man die Entwicklung dem Selbstlauf – zum Beispiel der „Kolonisierung“ durch den Tourismus – überließe.

In seinem Vorwort bescheinigt Francois Burkhardt, Gründer der bekannten italienischen Zeitschrift domus, Caminada ein „vielschichtiges, an unterschiedlichen Wissenschaftszweigen orientiertes   Wissen und dieses lebendig werden [zu lassen], indem er baut, berät und lehrt, und damit beispielhaft zeigt, wie Gemeinschaften positiv beeinflusst werden können. Damit erfüllt Caminada eine Rolle, die im Berufsbild des Architekten nicht mehr vorgesehen ist: die eines Architektur- und Planungstherapeuten, ja eines Mentors.“ Caminada geht es bei umfassender Kenntnis der psychologischen Grundbedürfnissees und mittels traditioneller, teilweise vergessener Techniken und Materialien um die „Mobilisierung der Sinne“, dabei wahrt er immer den lokalen Kontext: „Die entscheidenden Dinge passieren im Lokalen, da finden wir den Halt, den wir brauchen“. Er spannt den Bogen von landesplanerischen und regionalwirtschaftlichen Überlegungen bis zum baulichen Detail. Noch wichtiger ist ihm die Vermittlung von Werten. Wenn das Funktionelle allen Ansprüchen genügt und dazu ästhetisch ist – umso besser. Nostalgikern oder Investoren, die das Regionale nur in der Wiederholung historischer Formen sehen, hält er entgegen: „Wir sollen nicht alten Bildern hinterherlaufen. Altes ist nicht besser als Neues.“ Und dass „ohne kulturelle Verankerung nichts Vernünftiges“ zustande zu bringen sei. Ein kleines Buch, das vieles zu denken gibt!

AUF EINEN BLICK:

Gion A. Caminada: unterwegs zum Bauen; Ein Gespräch über Architektur mit Florian Aicher. Hrsg. von Florian Aicher. 160 Seiten mit einem 31-seitigen, mehrfarbigen Fotoessay von Petra Steiner sowie schwarz-weiß Fotos und Illustrationen. 29,90 EUR. Birkhäuser Verlag, Basel 2018

 

20.09.2018

 

 

 

 
Vibrations. A Portrait of houses designed by Lundgaard & Tranberg Architects.

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

Die Architektur in unserem nördlichen Nachbarland gewinnt in letzter Zeit wieder einmal mehr großes Interesse. Das liegt sicher nicht nur an der unbestreitbaren Qualität, sondern auch an der Wertschätzung von Architektur im öffentlichen Leben. Offensichtlich haben die Architekten in Dänemark häufig mehr Freiheit bei der Umsetzung neuer Ideen. Es muss aber auch die Bauherren geben, die das mittragen. Man schaue nur zahlreiche Gewerbebauten entlang der Autobahn nördlich der Bundesgrenze an – man traut seinen Augen nicht, welcher hohen Qualität man dort begegnet (was nicht heißt, dass auch alles gut sei!).

Cover_Vibrations_klIm letzten Jahr wurde in Ribe ein großartiges Gebäude unmittelbar neben dem romanischen Dom eröffnet. Es dient in erster Linie der Kirchgemeinde als Pfarramt, beherbergt aber auch einen großen Veranstaltungs- und Ausstellungsteil, in den die während der Bauarbeiten freigelegten Reste eines Kanonikerstifts aus dem 11. Jahrhundert einbezogen sind. Die äußere Gestaltung mit Ziegelplatten an den geneigten Dächern und den Fassaden nimmt auf die Nachbarschaft Bezug ohne das Neue zu verleugnen – ein weiterer Beleg dafür, dass Moderne und Steildach sich nicht ausschließen!

Dieses Gebäude stammt von dem Kopenhagener Architektenbüro Lundgaard & Tranberg und lässt auf einzigartige Weise die Grundsätze erkennen, denen sich das Büro verpflichtet fühlt. Den Maximen spürt nun Karsten R.S. Ifversen, Herausgeber der renommierten Zeitschrift Politiken und Master der Philosophie, in einer eindrucksvollen Monografie nach. In erster Linie sind es die besonderen Bedingungen des Ortes, aber auch die Atmosphäre, die Zeit und die Natur, deren Berücksichtigung ganz besondere, unerwartete Orte generieren, denen man sich nicht entziehen kann und die geradezu vor Spannung vibrieren.

Der Autor beschränkt sich auf die Beschreibung nur weniger Projekte: ein Hochschulbau in Frederiksberg, ein Wohnhaus für Studenten in Ørestad, Nachbarstadt von Kopenhagen, das Kunstmuseum in Sorø, eine Villa in Hellerup, in Kopenhagen das Königliche Schauspielhaus, der Verwaltungssitz der SEB-Bank, der Umbau eines Lagerhauses und die Axel-Towers. Jedes Bauwerk, so unterschiedlich sie auch in Bezug auf Größe und Funktion sein mögen, lässt erkennen, wie sehr die Architekten sich auf die jeweiligen Bedingungen des Ortes einlassen und daraus besondere, eigentlich nicht wiederholbare Qualitäten gewinnen. Schiebt sich das Theater weit über das Wasser hinaus und bietet es vom Foyer und den das Gebäude umgebenden Terrassen einen weiten Blick auf den Hafen, so gestattet die Villa in Hellerup viel Offenheit nach innen, das ehem. Lagerhaus behält trotz Umbau die Hafengebäuden eigene Ruppigkeit. Die Architekten setzen entsprechend ihren Vorstellungen und Nutzung unterschiedliche Materialien ein: viel Holz in Hellerup, Backstein und Stahl beim Lagerhaus, Stahl und Glas beim Theater. Wo ihnen die handelsüblichen Materialien nicht genügen, lassen sie neue Backsteine entwickeln.

Das vorliegende Buch ist vor allem ein Buch zum Ansehen. Die hervorragenden, teilweise zweiseitigen Abbildungen bringen die Vibration zum Ausdruck, die aus dem Zusammenwirken von Bauwerk und Umgebung – sowohl im städtebaulichen Kontext wie auch bei Materialität und Detaillierung – ausgeht. Insgesamt ein visueller Genuss! Die Texte sind in Englisch geschrieben, und erklären kongenial die grundlegenden Gedanken der Architekten. Bedauerlicherweise fehlen völlig Lagepläne und Grundrisse, die es ermöglichen würden, den Zusammenhängen von Stadtgrundriss, Form und Funktion nachzuspüren. Vielleicht ist das Fehlen des Gebäudes in Ribe kein Nachteil, sondern Anregung, wieder einmal gen Norden zu fahren. Es ist ja nicht allzu weit, es lohnt sich!

 

AUF EINEN BLICK:
Karsten R.S. Ifversen:
Vibrations. A Portrait of houses designed by Lundgaard & Tranberg Architects.
272 Seiten mit zahlreichen farbigen Aufnahmen von Jens Markus Lindhe.
58,00 EUR. Hatje Cantz Verlag. München 2017

 

 

16.10.2017

 
Visionäre und Alltagshelden

Cover_Visionaere und Alltagshelden von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

Vor einigen Jahren fragte der Rezensent Studierende des Bauingenieurwesens nach ihrem Berufsverständnis und dem Verhältnis zu den Architekten. Verkürzt lautete die Antwort: Der Architekt entwirft, der Bauingenieur rechnet. Dieses (Miss-) Verständnis mag sich seitdem verändert haben. In der Außenwirkung wie beispielsweise in zahlreichen Veröffentlichungen erscheint aber der Architekt noch immer als der Kreative, die Namen der „sonstigen“ am Werk Beteiligten werden, wenn überhaupt, bestenfalls in zweiter Reihe genannt.

Das im Zusammenhang mit einer im Januar 2018 zu Ende gegangenen Ausstellung des Oskar von Miller Forums in München vorgelegte Buch will nun allgemein verbreiteten Vorurteilen entgegenwirken und öffnet den Blick auf die vielfältigen Aufgabenfelder von Bauingenieuren. Es ist kein spezifisches Fachbuch zum Nachschlagen, sondern ist auch für Angehörige von Nachbardisziplinen Laien zugleich gut lesbar mehr als interessant.

Ausgehend von allgemeinen Betrachtungen über die Verantwortung des Ingenieurs in der Gesellschaft und dem Beitrag zu Wahrung und Verbesserung der Umwelt- und Lebensbedingungen sowie Ausbildung und Historie des Bauingenieurwesens (besonders interessant der Beitrag über die Pionierinnen von Großbaustellen von Margot Fuchs, S. 26-29) behandelt das Buch drei Themenblöcke:

 

  • „Hülle und Raum“ mit Ausführungen über Bogen- und Schalentragwerke, zugbeanspruchte Konstruktionen, Holzbauweise, Türme und Hochhäuser,
  • „Wasser und Energie“ behandelt Themen der Ver- und Entsorgung, Nutz- und Schutzbauten sowie Offshore-Anlagen zur Energiegewinnung,
  • „Mobilität und Verkehr“ mit den Unterabschnitten Verkehrswegebau, Balkenbrücken, Tunnelbau, Seil- und Hängebrücken und Verkehrstechnik.

 

An dieser Aufzählung der Themen werden die Komplexität der Aufgabenfelder ebenso wie die notwendige Zusammenarbeit aller an der Gestaltung der gebauten Umwelt beteiligten Fachdisziplinen deutlich, zugleich aber auch deren Rollenverständnis bei der Planung und Durchführung ins rechte Licht gerückt.

Natürlich kann man fragen, ob es wirklich erstrebenswert oder sogar nachhaltig sei, immer an die Grenzen des Machbaren zu gehen, wie es Annette Böge, Christian Hartz und Bill Baker in den Beiträgen über Hochhäuser, u.a. am Beispiel des 828 m hohen Burj Khalifa in Dubai, beschreiben (S. 89ff.). Sicher ist es auch faszinierend, immer wieder neue technische Möglichkeiten zu erforschen und zu erproben oder neue Rekorde aufzustellen, wie bei der im Dezember 2017 eröffneten Seilbahn zur Zugspitze mit einem 3.200 langen Zugseil. Aber welche Auswirkungen auf die Umwelt wird eine derartige publikumsanziehende Anlage haben? (S. 145 ff.) Auch bei den Verkehrsbauten kann man fragen, ob die technisch meisterhaften Tunneldurchquerungen (S.166ff.) nicht doch das bestehende Kfz-gestützte Verkehrssystem verfestigen und sich kontraproduktiv auf die Entwicklung einer neuen Mobilität auswirken. (S.183 ff.)

Andere Aufgabenfelder rücken zunehmend verstärkt in den Fokus allgemeinen Interesses: „Der nachhaltige Umgang mit dem Ökosystem Erde und die scheinbar unlösbaren Zielkonflikte wie Wohlstand, Gesundheit und Versorgungssicherheit für alle bei gleichzeitiger, tiefgreifender  Reduktion des Ressourcenverbrauchs und Minimierung des CO₂-Ausstoßes sind die Aufgaben, denen sich alle  am Bauwesen beteiligten Akteure stellen müssen.“ (S.196)

Insgesamt ein spannendes, gut gemachtes Buch, das für alle Studienanfänger zur Pflichtlektüre gemacht werden sollte, bevor sich längst überholte Klischees über die beschränkten Aufgaben der Bauingenieure in den Köpfen festsetzen und letztlich die Kreativität behindern. Für die Reflexion der zivilisatorischen und kulturellen Verantwortung des Berufsstandes bietet das Buch darüber hinaus zahlreiche bedenkenswerte Hinweise auch für „ältere Semester“ und die Kollegen anderer Fachdisziplinen.


AUF EINEN BLICK:

Werner Lang und Cornelia Hellstern (Hg.): Visionäre und Alltagshelden, Ingenieure – Bauen – Zukunft. 216 Seiten mit zahlreichen s/w und farbigen Abb. | 39,90 EUR | DETAIL Business Information GmbH | München 2017

 

25.01.2018

 
Welche Denkmale welcher Moderne? Zum Umgang mit Bauten der 1960er und 70er Jahre

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

Am 10. September, dem Tag des offenen Denkmals, können zahlreiche Denkmale im Lande besichtigt werden. Das Programm reicht vom Steinzeitpark in Albersdorf bis zu einem Reetdachhaus in Wesenburg. Die Mehrzahl der zu besuchenden Objekte dürfte wegen ihres Alters und der ästhetischen Anmutung den Erwartungen der Interessierten entsprechen. Ob aber jedem die Unterschutzstellung der bereits mehrfach veränderten Alten Autobahnmeisterei in Bad Oldesloe nach dem Entwurf von Konstanty Gutschow 1937-1941, einsichtig ist, bleibt abzuwarten. Jüngere Baudenkmale der 1960 bis 1970er Jahre, man denke an das Ferienzentrum Burgtiefe auf Fehmarn, die Rathäuser in Ahrensburg und Elmshorn, auch das Schloss in Kiel lösen noch immer polemische Diskussionen aus. Der Denkmalwert wird dabei heftig bestritten! Eine vorurteilslose und wertneutrale Bewertung und Kategorisierung ist aber sehr schwierig und bedarf intensiver Aushandlungsprozesse der Denkmalpfleger und der Öffentlichkeit. Worin besteht das öffentliche Interesse an der Erhaltung der ungeliebten und häufig als seelenlos empfundenen Architektur jener Epoche?Cover_WelcheDenkmale_kl

Für diese Diskussion liefert das hier besprochene Buch mit zahlreichen Aufsätzen von Autoren mit aus unterschiedlicher Perspektive zahlreiche Anregungen. Es beruht auf einer Forschungsarbeit der Hochschulen in Dortmund und Weimar. Der erste, titelgebende Beitrag stammt von Wolfgang Sonne, der die Vielfalt moderner Konzepte aufzeigt. Dabei kommt er nicht umhin, auch diese zu kategorisieren: konstruktive, funktionalistische, formalistische, expressionistische Moderne. Natürlich bleibt auch Sonne nicht verborgen, dass es immer wieder notwendigerweise Überschneidungen und Zwischenstufen gibt. Ja, welche Moderne steht für die Zeit? „Was nun erscheint aus der gebauten Umwelt der 1960er, 70er und 80er Jahre denkmalwert?“ (S. 37)

Besonders interessant ist der Beitrag von Sonja Hlinica über Großstrukturen: Stadt in einem Haus (Nordweststadt-Zentrum in Frankfurt a.M.), Großform (Uni Bochum), Bausystem (Uni Marburg), Megastruktur (Metastadt Wulfen), und der Umgang mit diesen. Zur Uni Marburg meint sie: „Begreift man das Bauwerk  [… ] als momentane Ausformung eines dynamischen Systems, widerspricht eigentlich jegliche Konservierung dem Entwurfsgedanken.“ Weiter: „eine Kombination von konservatorischen und einem dem Systemgedanken verpflichteten Weiterbauen“ entspräche den ursprünglichen Entwurfsgedanken der Architekten. (S. 238f.)

Andere Aufsätze weiten den Blick ins europäische Ausland, vor allem nach Polen, England und Frankreich. Ein Aufsatz von Simone Berger beschäftigt sich mit dem Denkmalschutz in der DDR. Hier hatte der Gedanke, ein „geschichtlich fundiertes Staatsbewusstsein sowie ein Gefühl der Nationalzugehörigkeit zu schaffen“, primäre Bedeutung, weshalb nicht wenige Bauwerke wie der Fernsehturm in Berlin oder das Gewandhaus in Leipzig bereits kurz nach Fertigstellung unter Schutz gestellt worden sind. (S. 168 ff.) Ein Fotoessay mit dem Thema „Erhaltungsformen“ schließt die Aufsatzfolge mit Erklärungen über die Qualität, den Erhaltungszustand und den Schutz (oder Nicht-Schutz) mehrerer herausragender Werke der Architektur. (S. 273 ff.)

Wer eine konkrete Handlungsanleitung für den Umgang mit dem baulichen Erbe der 1960er und 1970er Jahre sucht, wird diese nicht finden, dafür aber viele Anregungen zum Weiterdenken. Bezüglich der Auswahl und Bewertung einzelner Bauten wird auch weiterhin und notwendigerweise ein gewisses Dilemma bestehen bleiben. „Die pluralistische Welt ist kompliziert und verschließt sich einfachen Lösungen“. (S. 264).

Die Texte, mit denen nicht jeder einverstanden sein muss, sind gut lesbar und hervorragend illustriert. Es lohnt sich, sich mit der Materie zu beschäftigen: Das Thema zwingt auch in Schleswig-Holstein zur Auseinandersetzung damit!

 

AUF EINEN BLICK:
Welche Denkmale welcher Moderne? Zum Umgang mit Bauten der 1960er und 70er Jahre.
Hg. von Frank Eckardt u.a. 323 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Grafiken.
38,00 EUR. Jovis Verlag. Berlin 2017

 

16.10.2017

 
WENZEL HABLIK – Expressionistische Utopien – Malerei Zeichnung Architektur

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

Hand auf´s Herz: Wer von den Lesern/innen dieser Besprechung hat sich schon intensiv mit der Person von Wenzel Hablik und dessen Werk beschäftigt? Weiß, dass einer der innovativsten und phantasievollsten Köpfe des deutschen Expressionismus in Itzehoe gelebt und gearbeitet hat?

Wenzel_Hablik_Cover_klDen 1881 in Nordböhmen geborenen Hablik zog es zunächst zum Studium an die Kunstgewerbeschulen in Teplitz und Wien, 1907 an die Kunstakademie in Wien, zugleich nach der Bekanntschaft mit dem  Holzhändler und Mäzen Richard Biel in die Kleinstadt Itzehoe, wo er bis zum Ende seines Lebens 1934 verbrachte. Hablik war bekannt mit den führenden Köpfen der Zeit wie Bruno Taut oder Walter Gropius, korrespondierte mit diesen und stellte in der „Galerie Der Sturm“ von Herwarth Walden neben Pablo Picasso und Oskar Kokoschka aus. Viel Zeit verbrachte er auch in Berlin, dem damals führenden Kulturzentrum Europas.

Prägende Eindrücke empfing er an der See, aber auch im Gebirge, wo ihn die Weite des Horizontes bzw. die bizarren Formen der Berge faszinierten. Insbesondere die Formen von Kristallen regten ihn immer wieder zu fantastischen Inventionen und architektonischen Entwürfen an: „Nordisches Glashaus und Siedlungen“, „Hochschule für Himmels- und Licht-Wissenschaften“, „Freitragende Kuppel mit fünf Bergspitzen als Basis“. In seinem Haus in Itzehoe hatte er eine reiche Sammlung seltener Steine, die ihn wohl immer wieder angeregt haben dürften. In nicht wenigen Zeichnungen und Gemälden verband er die Elemente Wasser und Kristall wie im dem schönen Bild „Kristallschloss im Wasser“. Realitätsnäher, wenn auch immer noch utopisch, waren Entwürfe für Mehrfamilienhäuser oder Ausstellungsbauten, die die Nähe zu Bruno Taut und der Künstlergemeinschaft „Die gläserne Kette“ oder den Brüdern Luckhardt erkennen lassen. Während sich die meisten Künstler und Baumeister der 1920er Jahre den drängenden Problemen des Wohnungsbaus und der Großstadt zuwandten, konzentrierte sich Hablik stärker auf das Design, d.h. Kunstgewerbe und Innenraumgestaltung, entwarf ebenso Besteck, Tintenfässer und Tapeten wie auch Notgeld für die Stadt Itzehoe. Für diese Beschränkung als Designer mag u.a. die Ehe mit Elisabeth Hablik-Lindemann, eine begnadete Weberin, den Ausschlag gegeben haben. Das innenarchitektonische Werk umfasste die Ausstattung mehrerer Innenräume von Bürgerhäusern, eines Hotels und eines Ausstellungsraumes. In seinem eigenen Haus kulminierte die Farb-Raum-Gestaltung in einer Art Gesamtkunstwerk mit faszinierender Wirkung. Letzteres ist 1933 von Hablik kurz vor seinem Tod aus nicht nachvollziehbaren Gründen durchgreifend verändert worden. Diese Veränderung scheint auf eine künstlerische, in dem Buch zu wenig reflektierte Neuorientierung des an Krebs erkrankten Hablik am Jahrzehntwechsel 1920/1930 hinzuweisen, denn auch das Äußere des eigenen Hauses erfuhr zugleich eine Neugestaltung in nüchtern-sachlichem Stil. Die ursprüngliche Farbigkeit wurde durch japanische Furniertapeten, die farbig gestalteten Türen durch nüchterne Sperrholzplatten überdeckt. Erstaunlicherweise blieb aber die ursprüngliche Gestaltung darunter erhalten und konnte vor ein paar Jahren wieder freigelegt werden.

Das Gesamtwerk von Wenzel Hablik ist in dem nach ihm benannten Museum, einem Spätbarockhaus in Itzehoe, Reichenstraße 21, zu besichtigen. Vieles von dem, was üblicherweise nur im Depot lagert, kann nun noch bis zum 14. Januar 2018 in einer fulminanten Ausstellung im Berliner Gropiusbau angesehen und studiert werden. In großzügigen Räumen eröffnet sich ein umfassendes Bild des vielfältigen und vielschichtigen Schaffens des Universalisten. Im Mittelpunkt steht das rekonstruierte Esszimmer, daneben machen Gemälde, Grafiken, Objekte die Vorstellung Habliks vom Gesamtkunstwerk anschaulich. Die Ausstellung wird durch einen gut gemachten Katalog begleitet, der mit intelligenten Aufsätzen den Vorstellungen Habliks nachspürt und dem Künstler in der schleswig-holsteinischen „Provinz“ den ihm gebührenden Platz in der deutschen Kunstgeschichte einräumen wird.

 

AUF EINEN BLICK:

Wenzel Hablik: Expressionistische Utopien – Malerei Zeichnung Architektur.
Hrsg. von Katrin Maibaum und Katharina Gräbner für das Wenzel-Hablik-Museum Itzehoe.
207 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. 49,95 Euro (Museumsausgabe in Berlin: 25.00 Euro),
Prestel Verlag München 2017

 

02.11.2017

 
Wohngenossenschaften in Zürich. Gartenstädte und neue Nachbarschaften.

Cover_Wohngenossenschaften_Zuerichvon Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

Über die Möglichkeiten, die Kosten im Wohnungsbau zu senken und dadurch die Belastungen für Mieter oder Käufer erträglich zu machen, sind in der letzten Zeit zahlreiche Vorschläge gemacht und publiziert worden. Dort ist von Präfabrikation, Abschaffung von Vorschriften, Senkung der Standards, Optimierung der Planungs-und Produktionsabläufe u.a. die Rede. Auch eine stärkere Förderung des Wohnungsbaus durch Staat und Kommunen wird gefordert. Eine solche Subventionierung würde sicher die Mieten für Geringverdienende mindern, aber nicht die Kosten für den Wohnungsbau, sondern eher noch steigern. Der Markt nimmt eben mit, was mitzunehmen ist.

Andere Überlegungen gehen in Richtung selbstorganisierten Wohnungsbaus. In der Fachpresse wird über Architekten berichtet, die selbst als Projektentwickler auftreten. Auch die aus dem 19. Jahrhundert stammende Idee von Selbsthilfeorganisationen in Form von Wohngenossenschaften lebt wieder auf, wobei sich die Genossen privatwirtschaftlich, aber ohne finanzielle Gewinnorientierung zusammenfinden und in nicht selten mühsamen Diskussionsprozessen ihren eigenen Lebensraum selbst gestalten, später auch verwalten und weiterentwickeln. Der Züricher Verlag PARK BOOKS legt nunmehr einen opulenten Band über die Wohnungsbau-genossenschaften in Zürich vor, der auch hierzulande Beachtung verdient.

Zürich ist wie andere Städte der Schweiz sehr stark vom genossenschaftlichen Bauen geprägt und verfügt über nicht weniger als 40.000 Wohnungen in diesem Sektor, naturgemäß zumeist in peripherer Lage rund um das Zentrum (Karte auf S.8). Für den erwarteten Zuzug in eine der weltweit reichsten und teuersten Städte reichen die zur Verfügung stehenden Grundstücke bei weitem nicht aus. In diesem Zusammenhang kommt den Aktivitäten der Baugenossenschaften besondere Bedeutung zu. Stadt und Genossenschaften befinden sich in einer wohnungspolitischen Symbiose. Die Erfolge der Bemühungen oder auch zu diskutierende Fragen werden in dem vorliegendem Band dokumentiert bzw. thematisiert.

In den ersten Abschnitten wird ausführlich auf die Begründung, Geschichte und die Erfolge der Züricher Wohnungsbaugenossenschaften eingegangen. Die Dokumentation zahlreicher Projekte erfolgt nach inhaltlichen Aspekten: Verdichtung, Weiterentwicklung der Parkstadt und von Häuserblocks, Bestätigung der Straße und Bildung neuer Nachbarschaften. Insbesondere die Projekte zur Nachverdichtung sind trotz der durchweg hohen, aus Wettbewerben hervorgegangenen Qualitäten nicht ganz unproblematisch, beruhen sie doch auf dem Prinzip des Ersatzbauens, sprich Abriss der Alt- und Ersatz durch Neubauten, was betriebswirtschaftlich wohl Sinn macht, weil Grundstücke und Erschließung vorhanden sind und die Modernisierung sich angeblich nicht rechnet. Die Verschleuderung bereits verausgabter Materialien und Energie stellt die Prinzipien der Nachhaltigkeit jedoch auf den Kopf. Man erfährt auch nichts, was für die bisherigen Mieter, die ihre Wohnung verlassen müssen, getan wird. (S. 48-85) Vielleicht ist das in Zürich auch kein großes Problem, weil die Genossen ohnehin über alle Fragen mitbestimmen dürfen.

Dass sich die Genossenschaften auch den veränderten Wohnvorstellungen der postindustriellen Gesellschaft wie Durchmischung, Verschiedenheit und Urbanität ebenso wie auch kollektiven Wohnformen zuwenden, macht die ungebrochene und zunehmende Kraft der Genossenschaftsbewegung in Zürich evident. International viel beachtete Projekte sind beispielsweise „Kalkbreite“, die Überbauung eines Srraßenbahndepots (S. 217ff.) oder „Zwicky-Süd“, die Konversion eines Industrieareals, wo sich die Genossenschaft sogar entschloss, Gewerbeflächen zu schaffen, um dort die unzureichende Infrastruktur zu verbessern (S.223ff.).

Alles in Allem ein auch für deutsche Städte anregendes, gut gemachtes Buch, das zeigt: Es gibt viele Wege, die Qualität des Wohnungsbaus zu fördern und zugleich die Kosten einzudämmen!

 

AUF EINEN BLICK:
Hrsg. von Dominique Boudet. 254 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen und Grafiken,
68,00 €. PARK BOOKS. Zürich 2017

 

25.01.2018

 
Wohnen neu denken! – Über „ein soziales Totalphänomen existentieller Art“

von Prof. D.-J. Mehlhorn, Architekt und Stadtplaner

 

Cover_Wohnen_1Dass es vor allem in den größeren Städten immer weniger preisgünstige Wohnungen gibt, ist hinlänglich bekannt. Von der Bauindustrie, den Berufsverbänden und einigen Politikern wird auf die zahlreichen Bauvorschriften verwiesen, die das Bauen erschweren und vor allem verteuern würden. Unisono wird die Forderung erhoben: „Wir brauchen weniger Bürokratie beim Bauen“, so u.a. auch Bundesbauministerin Barbara Hendricks. Zugleich fordert sie die stärkere Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Abschaffung von Vorschriften und Übernahme der Baukosten durch den Staat und die Kommunen sind jedoch nur bedingt geeignet, die Kosten tatsächlich zu mindern und das „Wohnungsproblem“ in den Griff zu bekommen. Soll die bundesweite Vereinheitlichung der bisher unterschiedlichen Höhen von Treppenläufen in den LBO´n wirklich ein Beitrag sein, die Kosten zu beschränken, wie die Ministerin anregt? Der relativ hohe Standard der Wohnungen, auch der geförderten, ist ein sozialpolitischer Fortschritt, der offenbar einigen ein Dorn im Auge ist. Alle diese Vorschläge sind wohl eher geeignet, ein paar Symptome zu beheben, nicht jedoch die Lage grundlegend zu verändern. Man denke nur an die enormen Preissteigerungen auf dem Grundstücksmarkt, auf die weder Bauordnung noch Bürokratie Einfluss haben.

Es gibt seit einiger Zeit eine Reihe von Veröffentlichungen, die das „Wohnen“ grundsätzlich in den Blick nehmen und Strategien entwickeln, wie auch für Menschen mit geringem Einkommen wieder erschwinglicher Wohnraum ohne Verlust an Wohnwert geschaffen werden kann. „Denn Wohnen ist nicht nur eine dem liberalen Markt unterworfene Ware, sondern ein soziales Totalphänomen existentieller Art […] Einsparungen bei den Baukosten haben nur noch einen geringen Einfluss auf die Gesamtkosten.“ (Dömer, S. 262) Schlüsselbegriffe sind für Dömer: Partizipation (bis zu Rohbauregalen mit individuellen Ausbauoptionen), selbst bestimmter Ausbaustandard, Minderung von Wohnflächen durch Auslagerung einzelner Funktionen zugunsten von gemeinschaftlichen Räumen, Vorfertigung und Massenwohnungsbau. Dömer und seine Koautoren entwickeln in ihrem Buch eine komplexe Strategie auf der Basis einer systematischen Untersuchung von gebauten Beispielen bis hin zur Qualifizierung von bisher geschmähten Plattenbauten in Bordeaux.

Cover_Wohnen_2„Zukunft: Wohnen“ richtet den Fokus ebenfalls auf die Wohnraumfrage, erweitert jedoch zugleich den Blick auf die Stadt als Ganzes. Die Autoren fragen nach den Anforderungen der sich verändernden Gesellschaft an zukunftsfähige Wohnungen und gehen von den in den letzten Jahren entwickelten Modellen integrativen Wohnens für Flüchtlinge aus. Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Stadt auf Dauer nachhaltig und sozial organisiert werden kann. Also: weg von der Einzelhausbetrachtung hin zur sozialverträglichen, integrativen und kooperativen Stadt! Wie im ersten Buch werden konkrete Beispiele analysiert, wobei es nicht ausbleiben kann, dass sich einige wie das Ausbauhaus in Berlin von Praeger Richter Architekten oder das Magdas Hotel in Wien von AllesWirdGut ZT GmbH in beiden Büchern wiederfinden. Ergänzt werden die Beispiele durch studentische Entwürfe. Schlüsselbegriffe für eine Realisierung sind Modularisierung, Verdichtung, Transformation bestehender Wohngebäude und wiederum die Partizipation der Nutzer.

Im Vorsatz des Buches „Zukunft: Wohnen“ wird Albert Einstein zitiert. Das Zitat trifft nicht nur auf beide Bücher zu, sondern auch generell auf die aktuelle Notwendigkeit, nicht nur ein paar überflüssige Vorschriften abzuschaffen, sondern über das Wohnen wieder grundsätzlich nachzudenken: „Probleme lassen sich nicht mit den Denkweisen lösen, die zu ihnen geführt haben.“ Wie wahr – siehe oben! 

 

AUF EINEN  BLICK:

Klaus Dömer, Hans Drexler und Joachim Schultz-Gramberg:
Bezahlbar.Gut.Wohnen; Strategien für erschwinglichen Wohnraum. 295 Seiten mit zahlreichen Abbildungen.
25 EUR. jovis Verlag. Berlin 2016.
Jörg Friedrich, Peter Haslinger, Simon Takasaki u.a. (Hg):
Zukunft: Wohnen; Migration als Impuls für die kooperative Stadt. 318 Seiten mit zahlreichen Abbildungen.
32 EUR. jovis Verlag. Berlin 2017

 

16.10.2017

 

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